Folgen des Corona-Lockdowns Einzelhändler in Sachsen: Mit dem Rücken zur Wand
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Viele Einzelhändler in Sachsen sehen wegen des Corona-Lockdowns ihre Existenz bedroht. Laut Hauptgeschäftsführer des sächsischen Handelsverbandes, René Glaser, ist es dringend nötig, Unterstützungsprogramme schnellstmöglich anzupassen. Ansonsten drohten Insolvenzen. Der Verband fordert, dass Bedingungen für eine Wiederöffnung der Geschäfte klar benannt werden. Außerdem mahnt er die Zulassung von kontaktlosen Abholservices an.

Skijacken, Wintermützen, Handschuhe, Skihosen - alles ist akkurat aufgebügelt und nach Konfektionsgröße sortiert. Es gibt keine Kunden im Geschäft, die die Ordnung im Regal durcheinanderbringen. Doch genau die wünscht sich Margitta Timm vom gleichnamigen Sporthaus in Bautzen ganz dringend. Seit 27 Jahren betreibt sie mit ihrem Mann das Geschäft und das Ehepaar hat so manche Krise überstanden. Doch ob sie nun die Corona-Krise überstehen, da sind sich die beiden nicht sicher.
Kontaktloser Verkauf in Sachsen verboten
Der zweite Lockdown trifft das Geschäft hart. Dazu kommt, dass in Sachsen Möglichkeiten eines kontaktlosen Verkaufs verboten sind. "Wir sind mittlerweile das einzige Bundesland, wo dem Handel untersagt ist, dass der Kunde die Ware am Laden abholen kann", kritisiert Margitta Timm. Gerade die Wintermonate sind für das Sportgeschäft die umsatzstärksten. Im März vergangenen Jahres hatte Margitta Timm die Winterware eingekauft. Jetzt im zweiten Lockdown müssen die Rechnungen beglichen und eigentlich auch schon die ersten Bestellungen für die nächste Wintersaison ausgelöst werden.
Während Margitta Timm spricht, holt eine Mitarbeiterin Handschuhe und eine Winterjacke von einem Kleiderständer. Sie wurden online bestellt. Rund 18 Prozent ihrer Waren verkauft das Sportgeschäft derzeit über einen großen Online-Versandhändler. Sie müsse jetzt sehen, wie sie ihre Ware loskriege und wenn sie nur den Einkaufspreis dafür erhalte, berichtet die Einzelhändlerin.
Auch wenn wir keinen Gewinn einfahren, kann ich den Einkaufspreis der Ware wenigstens in Geld umtauschen. Damit ich die Ware, die jetzt neu kommt, bezahlen kann.
Handelsverband befürchtet viele Insolvenzen
Der sächsische Einzelhandel hat wegen der Corona-Krise im vergangenen Jahr ein Umsatzminus von rund 1,5 Milliarden Euro hinnehmen müssen. Mehr als ein Drittel davon habe der Lockdown zum Weihnachtsgeschäft im Dezember verursacht, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Sachsen, René Glaser.
Er warnt, dass einer Vielzahl von Geschäften im Freistaat das gleiche Schicksal drohe wie der bundesweiten Modekette "Adler". Diese hat wegen der Corona-Krise Insolvenz angemeldet. In einer Verbandsumfrage hätten drei Viertel der Geschäftsinhaber in den Bereichen Bekleidung, Textilien, Lederwaren und Schuhe erklärt, sie seien in ihrer Existenz bedroht. Genauso viele erklärten demnach, die staatlichen Hilfen reichten nicht aus. So fehle den Geschäften das Geld, um die schon vor Monaten bestellte Saisonware zu bezahlen, die nun geliefert werde.
Uns erreichen täglich dramatische und hoch emotionale Hilferufe von Einzelhandelsunternehmen, die zusehen müssen, wie ihr Lebenswerk und ihre wirtschaftliche Existenz völlig unverschuldet verloren gehen.
Laut Glaser ist es dringend nötig, dass Unterstützungsprogramme schnellstmöglich angepasst werden. "Ansonsten drohen noch mehr Insolvenzen und in der Folge verödete Innenstädte." Der Handelsverband fordert unter anderem, dass Bedingungen für eine Wiederöffnung der Geschäfte klar benannt werden. Außerdem fordert er die Zulassung von kontaktlosen Abholservices.
Gewerbetreibende machen auf_merksam
Unter dem Titel "Wir machen auf_merksam" haben viele Einzelhändler in Sachsen am Montag auf ihre schwierige Lage im Corona-Lockdown hingewiesen. So auch die Filialleiterin Kelly Beier von der Parfümerie Thiemann in Pirna, deren größter Umsatz zu Weihnachten durch den Lockdown zunichte gemacht wurde. Dass große Drogerieketten öffnen dürfen, ihr kleines Geschäft aber weiter zubleiben muss, ist Kelly Beier unverständlich. Zumal sie in ihrem Geschäft die Hygienebestimmungen viel besser einhalten könne als ein großer Markt, ist sie überzeugt.
Wir haben ja gar keine Chance. Jeder große Drogeriemarkt darf unsere Düfte verkaufen, unsere Pflege verkaufen und wir dürfen es nicht. Das ist für uns unverständlich und für viele andere auch.
Die Parfümhändlerin betrachtet sich als optimistischen Menschen. Sie habe versucht, aus dem vergangenen Lockdown das Beste zu machen. Doch nun, im zweiten Lockdown, der immer wieder verlängert wird, verliere sie den Glauben, so Kelly Beier.
Ursula Nitzschner, Inhaberin eines Pirnaer Schuhgeschäfts, fühlt sich von der Politik total verlassen, wie sie sagt. Im Frühjahr habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn noch großmundig getönt, dass diese Fehler, wie die Ladenschließung im Frühjahr, nicht wieder erfolgen. Doch nun mache er genau dasselbe und ohne Hilfen, sagt Ursula Nitzschner, die ihre Situation als schlecht beschreibt. "Ich werde einige Lieferanten anschreiben und anrufen, dass sie auf ihr Geld warten müssen. Ich weiß nicht, wo ich es derzeit hernehmen soll."
Die ganze Winterware ... es ist eine total kaputte Saison.
Der sächsische Handelsverband betont, dass die Aktion "Wir machen auf_merksam" trotz des ähnlichen Namens nichts mit der Initiative "#wirmachenauf" zu tun habe. Letztere hatte in sozialen Medien aufgerufen, am Montag Läden und Restaurants trotz staatlichen Verbots für Kunden zu öffnen. Verbände von Handel und Gastronomie hatten sich von dieser Aktion distanziert und an die Unternehmer appelliert, sich an geltendes Recht zu halten.
Sportgeschäft schickt der Landesregierung den Ladenschlüssel
Ja, sie stehe mit dem Rücken zur Wand, sagt Margitta Timm vom Bautzener Sportgeschäft. Deshalb gibt sie nun symbolisch den Ladenschlüssel an die Landesregierung ab. Es ist eine weitere Einzelhändleraktion, mit der die Gewerbetreibenden wachrütteln wollen. Per Brief geht der Schlüssel an Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD). Dazu schreibt Margitta Timm, wie viele Steuern sie in den vergangenen 27 Jahren gezahlt hat: circa 2,5 Millionen Euro - Gewerbe- und Einkommensteuer.
Quelle: MDR/ma/dpa
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN
MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 12.01.2021 | 16:30 Uhr im Regionalreport aus dem Studio Bautzen
MDR SACHSENSPIEGEL | 12.01.2021 | 19:00 Uhr