Von Spanien über Moldawien nach Sachsen "Europa ist super - aber auf Jobsuche in Dresden weit weg"

08. Mai 2019, 22:57 Uhr

Zu Hause reden sie Englisch miteinander, leben seit eineinhalb Jahren in Dresden und haben sich zuvor in einer Partynacht in Spanien kennengelernt. Benjamin Telms Freundin Judith van Himbergen-Fuentes stammt aus Spanien und hat ein Jahr lang in Moldawien gearbeitet. Nun sucht sie an der Elbe eine neue Perspektive. Im Gespräch mit MDR SACHSEN sagen beide: "Wir wünschen uns mehr Unterstützung und weniger Barrieren mitten in Europa."

Benjamin Telm: "Ich habe Soziologie in Halle studiert und hatte eine kleine Krise, wollte einfach weg. 2014 bin ich mit dem Erasmus-Programm nach Salamanca in Spanien gegangen. Ich hätte auch nach Schweden gehen können, aber das wäre zu teuer geworden. Ich wollte zwei Semester studieren. Sagen wir mal so: Der Aufenthalt war dann sehr sozial geprägt mit vielen Partys. Ich habe viele Leute kennengelernt. Interkulturalität in Europa, da fängt es ja an (lacht und blickt zur Freundin). Auf einer Party habe ich ganz unromantisch Judith getroffen."

Judith van Himbergen-Fuentes: "Ja, nach dem Kennenlernen bin ich für ein Jahr nach Moldawien gegangen. Nach dem Ende meines Anglistik-Studiums habe ich dort ein Jahr lang freiwillige Sozialarbeit geleistet und für ein Hospiz im Fundrasing gearbeitet. Da ist Benjamin dann öfter nach Moldawien gekommen."

Benjamin: "Meine Familie hat sich gefreut, dass ich eine Freundin in Spanien kennengelernt habe."

Judith: "Meine Mutter ist mit einem Holländer verheiratet und hatte Vorurteile gegen Deutsche. Viele Spanier denken zum Beispiel, dass sich alle Deutschen so benehmen und herumschreien wie die Deutschen auf dem Ballermann auf Mallorca. Deutsche gelten in Spanien auch als kalte Typen, mit denen man keine Freundschaften pflegt."

Benjamin: "Da hatte ich ja keine andere Wahl und habe allen das Gegenteil bewiesen… Heute chatten unsere Eltern per Whatsapp miteinander. Der Google-Translator macht's möglich. Nach dem Erasmus-Jahr haben wir entschieden, dass ich in Dresden meinen Masterabschluss mache und Judith herkommt. Die Jobaussichten erschienen uns hier besser als in Spanien."

Aushilfsarbeit statt Traumjob in Deutschland

Judith: "Tja, und jetzt liefere ich bald zwei Jahre Pizza aus. Dabei spreche ich vier Sprachen und habe einen Master in Anglistik. Es ist schwierig, Fuß zu fassen. Einen Sprachkurs gibt es vom Jobcenter nur, wenn man arbeitet. Wenn ich arbeite, habe ich aber keine Zeit, jeden Mittag oder Nachmittag in die Schule zu gehen. Ich würde gern Altenpflegerin werden und wünsche mir als arbeitswillige EU-Bürgerin mehr Unterstützung."

Benjamin: "Wir wollen uns gern als selbstständige Wesen etablieren. Aber sobald man auf Jobsuche ist, ist Europa ganz weit weg. Es gibt wirklich kaum Unterstützung. Den ersten Brief, den Judith nach ihrer Ankunft in Dresden bekommen hat, war der von der GEZ. Im Grunde ist das Konzept Europa super. Sobald es jedoch um nationale Angelegenheiten geht, wird es schwierig. Ich verstehe sowieso nicht, warum man so viel auf die Nationalstaaten setzt."

Judith: "Ich finde es toll, einfach reisen zu können und dass wir den Euro als gemeinsame Währung haben und nicht überall Geld wechseln müssen. Der Stress fällt beim Reisen schon mal weg."

Europa für alle - nicht nur für Eliten

Benjamin: "Was mich an der EU wirklich stört, ist das Elitengebolze. Die Vorteile von Europa dienen oft nur höher gebildeten Leuten. Das müsste alles viel volksnäher sein. Auch für Lehrlinge und Azubis müsste es so etwas wie einen Erasmusaustausch geben, viel mehr europäische Angebote für alle. Es tut nicht weh, sich in Europa kennenzulernen oder eine Sprache nicht perfekt zu sprechen. Man muss sich nur trauen. Es ist unglaublich, wie schnell man eine Sprache lernt, wenn man muss. Ich habe so viele Leute in Spanien aus anderen EU-Ländern kennengelernt, aber auch aus der Türkei und Mexiko und dabei festgestellt: Wir sind uns so ähnlich im Sozialen, beim Feiern, beim Freundschaften halten."

Das Gespräch notierte Kathrin König.

ERASMUS - was ist das? Die Europäische Union hat das Förderprogramm 1987 gestartet.
Es soll die Mobilität und Sprachkenntnisse von Studenten fördern und das Studieren in 33 Ländern ermöglichen.

Der Name erinnert an Erasmus von Rotterdam, einen Humanisten der Renaissance.

Seit 2014 gibt es das Programm ERASMUS + das für allgemeine und berufliche Aus- und Weiterbildung, Jugend und Sport. Dabei fördert die EU Praktika, berufliche Weiterbildungsmaßnahmen. Damit bekommen auch Berufstätige die Möglichkeit, mit einem Mobilitätsprojekt einen Kostenzuschuss für einen Sprachkurs im Ausland. Das Programm läuft noch bis 2020.

Quelle: Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD)

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSENSPIEGEL | 26.05.2019 | ab 19:00 Uhr

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