Einblicke Pflege-Managerin: "Ausnahmezustand schweißt zusammen - wie damals zur Flut in Freital"
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Corona-Ausbrüche wurden in 18 Gemeinschafts-Einrichtungen in Freital registriert. Schulen, Werkstätten und Pflegeeinrichtungen sind davon betroffen. Aber was heißt das genau für die, die trotz des Ausnahmezustands Pflege und Versorgung organisieren müssen? Claudia Kögler vom gleichnamigen Pflegehaus in Freital sagt: "Wir haben uns alle Mühe gegeben, das Schlimmste zu verhindern. Aber die Auswirkungen einer Pandemie hat gerade keiner wirklich im Griff."
Am Dienstagmorgen haben zehn Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten ihren Dienst im Pflegeheim Kögler in Freital angetreten. Sie sollen die Pflegekräfte entlasten helfen. Ihre Aufgabenliste im Dreischicht-System umfasst Hilfe beim Essen verteilen, Gespräche mit den Senioren, Hilfen beim Transport und Desinfizierungen. "Wir sind so froh, dass sie uns helfen kommen. Dadurch können sich unsere Pflegekräfte auf die Pflege konzentrieren", sagt Claudia Kögler. Sie ist als Assistentin der Geschäftsführung fürs Kaufmännische und die Dienstplanung im Familienbetrieb der Eltern zuständig.
Stundenlang hat sie in den vergangenen Tagen mit Dienstplänen jongliert, seit dem Coronau-Ausbruch in ihrem Unternehmen vorige Woche. 63 von 90 Heimbewohnern wurden positiv aufs Coronavirus getestet. Innerhalb der Einrichtung wurden Infizierte und Nichtinfizierte voneinander getrennt. Auf einer Etage gibt es eine Isolierstation. Besuche sind derzeit behördlich untersagt.
Mein allergrößter Wunsch ist, dass wir keine schweren Verläufe bekommen, weder bei unseren Bewohnern noch bei den Mitarbeitern. Das ist mein einziger Wunsch.
Wie soll man die Pflege absichern?
Rund die Hälfte der 75 Mitarbeiter ist ebenfalls infiziert. Das Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge hat für das Pflegehaus Kögler und weitere Pflegeheime in Freital eine Arbeitsquarantäne angeordnet. Heißt: Die Mitarbeiter ohne Symptome dürfen ihre Wohnungen nur für ihre Arbeitstätigkeit verlassen und sollten keinen Kontakt zu anderen Menschen als denen ihres eigenen Hausstandes haben.
Positiv aufs Coronavirus getestetes Pflegepersonal darf laut Verfügung nur Bewohner versorgen, bei denen auch eine Infektion festgestellt wurde. "Viele Mütter, die Kinder zu Hause betreuen, können aber nicht arbeiten. Manche fühlen sich wegen der Infektion krank und fallen aus. Die Dienstplanabsicherung bleibt das größte Problem", sagt Claudia Kögler. Sie fügt nachdenklich hinzu: "Ohne diese Arbeitsquarantäne wäre gar nicht genug Personal da, das die Bewohner versorgen könnte."
Wir sind jedem Einzelnen dankbar für die Hilfe. Egal, ob es die Angehörigen sind, die ohne zu fragen für alle Pflegekräfte Kuchen vorbeibringen, die Bundeswehr oder das Gesundheitsamt. Aber vor allem ist jeder unserer Mitarbeiter einsatzbereit und sucht nach Lösungen, wie wir die Sache gemeinsam stemmen können.
Ausnahmezustand ein bisschen wie in Fluttagen in Freital
Die Stimmung im Haus beschreibt Kögler als "besonders". "Der Ausnahmezustand schweißt uns zusammen, ein bisschen wie damals zur Flut in Freital 2002. Da haben wir uns auch alle gegenseitig geholfen." Die coronafreien Kollegen helfen den Coronainfizierten beispielsweise beim Einkaufen und bei Erledigungen. "Mut sprechen uns auch manche Heimbewohner zu. Sie sagen, das wird schon. Wir haben schon viel Schlimmeres überlebt", erzählt Claudia Kögler. 70 der insgesamt 90 Bewohner seien älter als 85 Jahre, dement und sehr pflegebedürftig. Manche erfassten die aktuelle Lage auch nicht mehr.
Viele Einrichtungen in Freital betroffen
Warum oder wie die Coronainfektionen in die Gemeinschaftseinrichtungen gelangten, wisse keiner. "Wir hatten unser Hygienekonzept, das monatelang funktionierte", blickt die Freitalerin zurück. Immer wieder habe es Tests im Haus gegeben, alle seien negativ verlaufen. Und dann gab es Dutzende Ausbrüche in ganz Freital, in mehreren Pflegeheimen, Heimen, Schulen - insgesamt 18 Gemeinschaftseinrichtungen zählt die Stadt auf.
Claudia Kögler ärgert sich darüber, dass sich ihre Mitarbeiter in der Öffentlichkeit für die Auswirkungen einer Pandemie rechtfertigen müssten, "die hierzulande gerade keiner so wirklich im Griff hat". Am Montagabend waren in Sachsen knapp 2.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden gemeldet worden - der Höchstwert seit Beginn der Pandemie.
Blick nach vorn
Noch etwa zehn Tage müssten alle im Pflegehaus die Zähne zusammenbeißen, dann sollten die häuslichen Quarantänen auslaufen und Tests hoffentlich negative Ergebnisse bringen. "Dann geht es aufwärts und Weihnachten haben wir vielleicht das Gröbste überstanden", macht Claudia Kögler sich und den Beschäftigten Mut.
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN
MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 24.11.2020 | ab 13:30 Uhr in den Regionalnachrichten aus dem Studio Dresden
MDR SACHSENSPIEGEL | 24.11.2020 | 19:00 Uhr mit aktuellen Corona-Zahlen und Übersichten
lk2001 vor 8 Wochen
Arbeitsquarantäne. Was für ein Menschenverachtender Begriff für Leute die sich auch noch auf der Arbeit angesteckt haben. Entweder ich habe Quarantäne, die man auch bezahlt bekommt oder nicht. Werden die Pflegekräfte jetzt doppelt entlohnt. Gerecht wäre es. Es zeigt sich wieder mal wo die Politik der letzten Jahre hinführt.