Kundgebungen und Polizeieinsatz Corona-Demo in Leipzig endet im Polizeikessel
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Leipzig war am Sonnabend erneut Schauplatz mehrerer Demonstrationen. Eine Kundgebung von Corona-Maßnahmen-Gegnern wurde kurzfristig abgesagt. In der Innenstadt trafen sie auf Demonstranten aus dem gegnerischen Lager.

Auf dieser Seite:
- Anmelder von Corona-Demo erfüllt Auflagen nicht
- Stadt erteilt Spontandemonstrationen Absage
- Rechtsextreme reisen aus Thüringen an
- Unübersichtliche Lage in der Innenstadt
- Gegenprotest auf dem Augustusplatz
- "Demo-Verbot ist keine Lösung"
- Polizei registriert zahlreiche Verstöße
- Versammlung hinter Gittern
Zwei Wochen nach einer "Querdenken"-Demonstration haben sich am Sonnabend in Leipzig erneut zahlreiche Menschen in der Innenstadt versammelt. Polizei und Versammlungbehörden versuchten, Kritiker der Corona-Politik und Gegendemonstranten strikt voneinander zu trennen. Nach Auflösung der Versammlung der Corona-Maßnahmen-Gegner trafen Anhänger gegnerischer Lager jedoch in der Innenstadt aufeinander.
Anmelder von Corona-Demo erfüllt Auflagen nicht
Die angemeldete Kundgebung von Kritikern der Corona-Politik war am Nachmittag kurzfristig abgesagt worden. Laut Polizei erfüllte der Anmelder die Auflagen für die Versammlung nicht. Er habe ein unvollständiges Attest zur Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes vorgelegt. Laut Oberbürgermeister Burkhard Jung fehlte die Diagnose eines Arztes. Eine Maske wollte der Anmelder nicht tragen. Statt einen anderen Versammlungsleiter zu benennen, habe er seine Anmeldung zurückgezogen, sagte Polizeisprecher Olaf Hoppe MDR SACHSEN.
Bereits zuvor hatte die Polizei den Zugang zu der Versammlung auf dem Kurt-Masur-Platz abriegeln müssen, weil der Platz mit 500 Personen seine Maximalkapazität erreicht hatte. Die Gruppe "Mitteldeutschland bewegt sich" hatte für die Veranstaltung 250 Teilnehmende angemeldet. Die Anhänger kritisieren die Maßnahmen gegen die Eindämmung der Corona-Pandemie. Sie seien "übertrieben", sagte ein Demonstrant dem MDR. Ein anderer erklärte, er halte es nicht für richtig, wenn in Sachsen-Anhalt mit geringeren Fallzahlen beispielsweise auf dem Land die gleichen Einschränkungen gelten wie in stark betroffenen Metropolregionen etwa in Nordrhein-Westfalen. Beide trugen im Gespräch mit dem MDR eine Mund-Nase-Bedeckung. Viele Demonstrierende vor dem Zugang zum Masurplatz trugen dagegen keinen Mundschutz.
Stadt erteilt Spontandemonstrationen Absage
Nach der Auflösung der Versammlung am Masurplatz zogen Corona-Maßnahmen-Gegner durch die Innenstadt in Richtung Markt. Per Megafon hatte ein Teilnehmer zur "Demonstration am Rathaus" aufgerufen. Bis dorthin kamen mehrere Hundert Demonstranten nicht: In der Großen Fleischergasse saßen sie über Stunden in einem Polizeikessel fest. An den Ausgängen trennte sie die Polizei von Gegendemonstranten. Die eingekesselten Demonstrierenden versuchten, die Polizeiketten zu durchbrechen. Die Polizei setzte nach Reporterangaben Pfefferspray ein. Vereinzelt flogen laut Polizei Steine auf die Beamten.
Der von den Kritikern der Corona-Politik geforderten Demonstration auf dem Ring erteilte die Stadt Leipzig eine klare Absage.
Fakt ist: Die Versammlungsbehörde hat entschieden, heute gibt es keine Spontandemonstration.
Wie Polizeisprecher Hoppe sagte, wurden den Demonstranten Maßnahmen angedroht, sollten sie ihre Versammlung nicht beenden. Dazu gehören laut Hoppe Identitätsfeststellungen, die Androhung von Zwang und schließlich die Durchsetzung des Zwangs. Die Einsatzkräfte forderten die Teilnehmer am Abend per Lautsprecherdurchsage auf, die Große Fleischergasse in kleinen Gruppen in Richtung Markt zu verlassen und dort in die S-Bahn zu steigen. Identitätsfeststellungen würden dabei keine durchgeführt.
Auf Twitter kritisierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Sächsischen Landtag, Marco Böhme, das Konzept der Polizei. Die Demonstrierenden seien nicht kontrolliert; Passanten und Journalisten nicht ausreichend geschützt und von Demonstrierenden bepöbelt worden, so Böhme.
Rechtsextreme reisen aus Thüringen an
Am Hauptbahnhof hatten sich am Nachmittag auch Rechtsextreme zur Corona-Demonstration versammelt. Leipzigs Oberbürgermeister Burkhardt Jung (SPD) sprach von Hooligans und Anhängern von Kameradschaften. Sie seien aus Thüringen und anderen Regionen nach Leipzig gekommen. Die Hälfte sei wieder abgereist. Der sächsische Verfassungsschutz hatte bereits im Vorfeld berichtet, dass sowohl im rechts- als auch linksextremistischen Lager mobilisiert werde.
Die Bundespolizei kontrollierte am Hauptbahnhof und an umliegenden Bahnhöfen 40 Versammlungteilnehmer, die verdächtigt wurden, unerlaubte Pyrotechnik bei sich zu tragen. Bei zehn Personen wurden die Beamten fündig. Sie registrierten mehrere Körperverletzungen und erteilten 616 Platzverweise. Rund 1.300 Versammlungsteilnehmer kamen den Angaben zufolge mit der Bahn.
Unübersichtliche Lage in der Innenstadt
Polizeisprecher Hoppe beschrieb die Lage in der Stadt am Nachmittag als "unübersichtlich". Anhänger der linken Szene hätten die Auseinandersetzung mit den Gegnern gesucht. Es habe mehrere Ansammlungen in der Innenstadt gegeben. Die Versammlungsbehörden hätten jedoch keine einzige weitere Versammlung genehmigt.
Nach Reporterangaben zog am Nachmittag eine spontane Antifa-Demonstration mit etwa 200 Teilnehmern durch die Innenstadt. Eine andere Versammlung des linken Lagers nahe der Thomaskirche wurde wenig später von der Polizei eingekesselt.
Gegenprotest auf dem Augustusplatz
Zur Demonstration gegen die Maßnahmen-Kritiker hatten sich nach Polizeiangaben seit Mittag etwa 1.000 Menschen auf dem Augustusplatz versammelt. Aufgerufen hatte das Aktionsnetzwerk "Leipzig nimmt Platz" zu drei verschiedenen Veranstaltungen.
Irena Rudolph-Kokot von "Leipzig nimmt Platz" äußerte sich am Abend zufrieden. Viele Leipzigerinnen und Leipziger seien auf der Straße gewesen und hätten aktiv verhindert, dass Querdenker und Rechte auf den Ring gelangen konnten, sagte die Leipziger SPD-Politikerin. Sie schätzt die Zahl der Teilnehmenden bis in die Abendstunden auf etwa 4.000 bis 5.000.
Es ist ein Erfolg der Demonstrantinnen und Demonstranten, die gesagt haben: Wir möchten klar und deutlich Stellung beziehen - für körperliche Unversehrtheit, für Masken, für Abstand, für Regelungen - damit wir die Schwächsten schützen können.
"Demo-Verbot ist keine Lösung"
Kokot sprach sich trotzdem gegen ein generelles Demonstrationsverbot in Zeiten der Corona-Pandemie aus: "Ein Verbot ist keine Lösung."
Stattdessen wünsche sie sich Antworten für die Verunsicherten. Unter den Gegnern der Corona-Maßnahmen seien Menschen, deren Existenz bedroht sei oder die psychisch belastet seien. Sie brauchten Angebote, Unterstützung und Solidarität. Gegen die wiederum, die andere gefährden, indem sie zum Beispiel keinen Mund-Nase-Schutz trügen oder Abstände nicht einhielten, müsse konsequenter vorgegangen werden, so Kokot.
Die Lage in der Innenstadt kritisierte Kokot am Abend als unübersichtlich. Es sei eine Versammlungsteilnehmerin angegriffen und ins Krankenhaus gebracht worden. Details nannte Kokot zu dem Vorfall nicht.
Polizei registriert zahlreiche Verstöße
Der Polizeibilanz zufolge wurden am Sonnabend in Leipzig 23 Straftaten registriert, darunter mindestens zehn Körperverletzungsdelikte und drei Landfriedensbrüche. Neun Tatverdächtige wurden bislang ermittelt. Ein Journalist sei angegriffen, eine Polizeibeamtin im Einsatz leicht verletzt worden.
Eine am Boden liegende Person sei durch Tritte und Sprünge gegen den Kopf im Bereich der Richard-Wagner-Straße verletzt worden. Ein Beamter gab laut Polizei einen Warnschuss ab, um die unüberschaubare Menschenmenge von weiteren Tritten abzuhalten. Die Tatverdächtigen konnten unbekannt fliehen. Die geschädigte Personen wurde laut Polizei mit eher leichten Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Angaben darüber, ob es sich bei dem Geschädigten um einen Kritiker der Corona-Maßnahmen oder einen Gegendemonstrierenden handelte, machte die Polizei nicht.
Zudem habe es eine Wohnungsdurchsuchung auf der Höhe des Barfußgässchens gegeben, nachdem eine Personengruppe eine Bedrohung durch eine Schusswaffe gemeldet hatte. Nach Polizeiangaben konnte in der Wohnung eine Softairwaffe beschlagnahmt und eine Tatverdächtige gestellt werden. Darüber hinaus habe es zwei Festnahmen, 113 Ordnungswidrigkeitsanzeigen wegen Verstoßes gegen die Coronaschutzverordnung, fünf Beschädigungen von Dienstfahrzeugen und 44 Platzverweise gegeben.
Polizeisprecher Olaf Hoppe sagte dem MDR, der Einsatz sei mit dem vom 7. November nicht zu vergleichen gewesen. Es sei diesmal gelungen, die Versammlungsteilnehmer besser zu lenken. Auch seien weniger und ganz andere Menschen auf der Straße gewesen.
Die sächsische Polizei wurde von Einsatzkräften aus Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Bremen, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und der Bundespolizei unterstützt. Die Polizei hatte Wasserwerfer und Räumpanzer in Stellung gebracht, eine Reiterstaffel war im Einsatz, ein Hubschrauber kreiste über der Stadt.
Versammlung hinter Gittern
Am Sonnabend waren in Leipzig entsprechend der aktuellen Corona-Schutzverordnung des Landes Sachsen nur stationäre Kundgebungen für maximal 1.000 Teilnehmer genehmigt worden. Nach Angaben der Stadt Leipzig wurde jeder Versammlung entsprechend der angemeldeten Teilnehmerzahl und des angemeldeten Ortes ein abgegrenzter Raum zugewiesen. Rund um den Kurt-Masur-Platz setzte die Polizei Sperrgitter ein und kontrollierte den Zugang: Rein kam nur, wer eine Maske trug oder ein Attest vorweisen konnte.
Eskalation am 7. November
Vor zwei Wochen hatte eine große, teils chaotische "Querdenken"-Demonstration für Ärger und heftige politische Debatten gesorgt. Mehr als 20.000 Menschen aus der gesamten Bundesrepublik waren nach Leipzig gekommen, um gegen die Corona-Einschränkungen zu protestieren. Kaum jemand hielt sich an die Maskenpflicht. Es kam zu Rangeleien und es flog Pyrotechnik, als die Masse versuchte, einen Gang über den Leipziger Ring zu erzwingen. Am Ende ließ die Polizei die Menschen ziehen, obwohl Aufzüge derzeit wegen der Corona-Pandemie nicht gestattet sind.
Quelle: MDR/ms/jr/dpa
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN
MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 21.11.2020 | 09:00 Uhr in den Nachrichten
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