Fakt ist: Verpflichtendes Dienstjahr für alle? "Wenn man wirklich will, kann man es machen"

25. September 2018, 15:19 Uhr

Zu Zeiten der Wehrpflicht mussten Männer zum Bund oder Zivildienst. Konservative wünschen sich heute wieder mehr Engagement von der Jugend. Über eine "Dienstpflicht für alle" diskutierte Moderator Andreas F. Rook bei Fakt ist! mit dem sächsischen CDU-Generalsekretär Alexander Dierks, mit Bert Rürup vom Handelsblatt, Markus Kremser, dem Führer einer Katastrophenschutzeinheit, sowie der ehemaligen Bundesfreiwilligen Dominique Brandt und der Sprecherin der Bundesfreiwilligen Carolin Göhler.

Es könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht. In einem Dienstjahr für alle, könnten sich junge Menschen engagieren, einen sozialen Dienst leisten und viele Lebensbereiche kennenlernen, zu denen sie sonst keinen Zugang hätten. Hilfe wird zudem dringend gebraucht: in der Pflege, beim Deutschen Roten Kreuz oder auch bei der Feuerwehr.

Dierks: Grundsätzliche Debatte

Dass der Vorschlag der CDU, ein verpflichtendes Dienstjahr einzuführen, eher einer Utopie als einem realistischen Vorstoß gleicht, wird schnell klar. "Es ist ziemlich schwierig, in die persönlichen Freiheitsrechte einzugreifen", erklärte Bert Rürup , Chefökonom des Handelsblattes gleich zu Beginn der Sendung. Ein verpflichtendes Dienstjahr lasse sich mit der Verfassung schwer vereinbaren. Der Zivildienst sei als Ersatzdienst zur Bundeswehr ein völlig anderes Konstrukt und rechtlich mit dem Wehrdienst absolut verbunden gewesen. "Der Pflichtdienst bei der Bundeswehr ist damals unter der Annahme einer realen militärischen Bedrohung eingeführt worden", erinnerte Rürup . "Mit dem Kollaps des Warschauer Pakts hat die Bundeswehr eigentlich ihre Legitimation verloren." Wenn überhaupt, sei ein verpflichtendes Dienstjahr nur mit einer strengen Definition für bestimmte Bereiche verfassungskonform denkbar.

Davon wollte sich der sächsische CDU-Generalssekretär Alexander Dierks nicht so schnell beirren lassen. "Man muss die positiven Effekte eines Dienstjahres benennen", erklärte er optimistisch. Es gehe auch um eine grundsätzliche Debatte darüber, "welche Pflichten wir in einem Staat haben, der uns sehr viele Rechte zugesteht". "Ein allgemeines Dienstjahr kann auch einen sehr positiven Effekt haben bei der Orientierung junger Menschen und der Frage, was sie mit ihrem Leben anfangen", sagte Dierks. Hinzu komme eine zusätzliche Reife, die durch das eine Lebensjahr gewonnen werde.

Göhler: Fachkräfte werden ersetzt

Den Einwand, das verpflichtende Dienstjahr sei eine Konkurrenz zu Fachpersonal, wischte Dierks vom Tisch. Der Fachkräfteschlüssel verhindere, dass die Betreuung durch ausgebildete Fachkräfte von jungen Menschen im Dienstjahr ersetzt würde. Dabei hatte er allerdings nicht mit Carolin Göhler, der Sprecherin der Freiwilligen im Bundesfreiwilligendienst, gerechnet. Die junge Frau hatte selbst ein freiwilliges soziales Jahr absolviert und nicht nur Positives zu berichten.

"Wir haben Fachkräfte ersetzt", schilderte sie ihre Erfahrungen. "Natürlich nicht offiziell, doch einige Kollegen waren immer krank oder im Urlaub. Die Betreuung konnte nur mit Freiwilligen abgesichert werden." Es solle jedem freigestellt werden, ob er helfen möchte. "Wenn jemand gezwungen wird, wie gut soll dann die Hilfe sein? Was passiert, wenn die Aggression über den Zwang an den Schutzbefohlenen ausgelassen wird?", fragte Göhler.

Kremser: Kontakt mit anderen Milieus

Hier – und das war ein wirklich interessanter Aspekt des Abends – kam in der Diskussionsrunde eine völlig andere Perspektive dazu. "Ich kann diese Erfahrungen nicht teilen", erklärte Dominique Brandt, die ebenfalls ein Jahr als Bundesfreiwillige absolviert hatte. "Wir haben keine Fachkräfte ersetzt, hatten Ansprechpartner, konnten in verschiedene Bereiche hineinsehen und Fortbildungen wahrnehmen." Brandt sieht in dem Dienstjahr für alle einen "großen gesellschaftlichen Nutzen". "Durch das allgemeine Dienstjahr komme ich mit Menschen aus anderen Lebensbereichen zusammen."

In diesen Tenor stimmte auch Markus Kremser mit ein. "Wir berauben uns der Chance, Menschen für ein Ehrenamt zu gewinnen und der Möglichkeit, mit Realitäten und anderen Milieus in Kontakt zu kommen", sagte der Zugführer einer Görlitzer Katastrophenschutzeinheit zur jetzigen Situation. "Wenn wir uns die Frage stellen 'Was hält die Gesellschaft zusammen?' ist es auch wichtig, andere Lebenswelten kennenzulernen. Es geht nicht darum, Löcher in der Personaldecke zu stopfen, sondern junge Menschen für Arbeit in anderen Lebensbereichen zu begeistern."

Dierks: Wertvolle Lebensrealitäten

Dieser Rückenwind ließ CDU-Generalsekretär Dierks aufatmen. "Wir müssen etwas tun, damit die Gesellschaft nicht weiter auseinanderdriftet", erklärte er. Das Leben anderer Menschen kennenzulernen, könne unheimlich wertvoll sein. Zudem hätten in Umfragen etwa 70 Prozent der Befragten für ein Dienstjahr votiert. "Ich glaube, dass der gesellschaftliche Nutzen ein sehr großer sein kann", sagte Dierks. Jugendliche könnten sozusagen "den Appetit beim Essen bekommen". Der Freiwilligendienst sei so "bunt, wie das Leben selbst". Wichtig sei es, erst einmal die gesellschaftliche Debatte zu führen.

Chefökonom Bert Rürup vom Handelsblatt schien dabei mehrmals innerlich die Hände über den Kopf zusammenzuschlagen. "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden. Wie wollen Sie das verfassungskonform machen?", fragte er. Gleichzeitig verwies er auf die Folgen für Ökonomie und Rente. "Mit einem Pflichtjahr nehmen Sie 700.000 Menschen gleichzeitig aus dem Erwerbsleben heraus und verschärfen die demographischen Auswirkungen immens", sagte er. Der demographische Wandel würde sich ohnehin ab 2025 gravierend bemerkbar machen. Zudem dürfe man nicht automatisch mit einer Hochkonjunktur rechnen. "Es ist nie diskutiert worden, was die Konsequenzen eines Pflichtjahres sind."

Wer soll das bezahlen?

Ach ja, und dann war da noch das liebe Geld. Ein Obolus von 330 Euro reicht nicht, da waren sich alle Gäste einig. "Ein Dienstjahr unter diesen Bedingungen kann man nicht der breiten Bevölkerung anbieten, das geht auf keinen Fall", sagte Brandt. "Wenn wir über einen Pflichtdienst sprechen, kann es nicht mit einem Taschengeld abgetan werden. Dann wird es eine Bezahlung geben müssen, die auch nicht unter dem Mindestlohn liegt", erklärte Dierks von der CDU. Das stieß bei Rürup auf Kritik. "Man sollte bedenken: Sie entwerten die Arbeit schlecht bezahlter hauptberuflicher Pflegekräfte, wenn sie jungen Menschen fast das gleiche Geld geben". Zudem müsse geklärt werden, wer das Geld bereitstelle. Rürup blieb skeptisch: "Ich wage die Voraussicht: Die juristischen und ökonomischen Hindernisse für ein Dienstjahr sind wahrscheinlich zu hoch."

Dierks zeigte sich trotzdem optimistisch. "Wenn man es wirklich will, dann kann man es machen." Zunächst sei erst einmal wichtig, dass die Debatte angestoßen worden ist. Nun bliebe Zeit, Details zunächst in der Partei ergebnisoffen zu erörtern. "Dann sehen wir, wie die Debatte weitergeht", sagte der CDU-Generalsekretär.

Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR "FAKT IST!" | 25.09.2018 | 22:05 Uhr

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