Schreiben zum häuslichen Lernen Lehrer am Pranger - Verbände kritisieren Kultusministerium

26. Februar 2021, 14:53 Uhr

Vor zwei Wochen hat das sächsische Kultusministerium Standards für die Gestaltung der häuslichen Lernzeit veröffentlicht. Darin ist festgeschrieben, wie das Zusammenspiel zwischen Lehrern, Kindern und Eltern besser funktionieren soll. Die Diskussion über diesen sogenannten Erwartungshorizont hält an. Mehrere Lehrergewerkschaften haben sich nun zu Wort gemeldet und kritisieren, dass das Papier nicht nur den Schulen zugestellt wurde, sondern auch im Internet publiziert wurde. Lehrkräfte würden in den sozialen Medien nun zum Teil einem regelrechten Shitstorm ausgesetzt. 

Mädchen beim Homeschooling
Statt in der Schule findet für viele Schüler der Unterricht in Zeiten von Corona am heimischen Laptop statt. Bildrechte: imago images/ Jochen Tack

Es sind nur wenige Seiten, die jetzt für zum Teil heftige Diskussionen sorgen. "Erwartungshorizont für die Gestaltung der häuslichen Lernzeit" steht als Titel auf dem Papier. Kurz und bündig sind darin Standards für den Distanzunterricht zusammengefasst. Online-Angebote und regelmäßiges Feedback sollen Lehrerinnen und Lehrer danach geben, außerdem sollen sie zu festgelegten Zeiten erreichbar sein. Eigentlich seien das Selbstverständlichkeiten, sagt auch Jens Weichelt vom Sächsischen Lehrerverband. "Als ich diese Empfehlungen zum ersten Mal gelesen habe, habe ich festgestellt, dass wir das eigentlich schon seit dem Frühjahr machen."

Lehrergewerkschaften gehen auf die Barrikaden

Und trotzdem gehen die Lehrergewerkschaften nun auf die Barrikaden. Der Grund: Der Erwartungshorizont wurde nicht nur den Schulleitungen zugeschickt, sondern etwas später auch auf einer Internetseite des Kultusministeriums veröffentlicht, dem SMK-Blog. Das sei ein Fehler gewesen, sagt Jens Weichelt vom Lehrerverband. Auch der Philologenverband und die GEW teilen diese Kritik. Das Schreiben hätte intern bleiben müssen, denn nun würden Lehrkräfte zum Teil in den sozialen Medien zur Zielscheibe gemacht, einen sogenannten Shitstorm erleben.

Jens Weichelt, Landesvorsitzender des Sächsischen Lehrerverbandes
Jens Weichelt Bildrechte: Stephan Wiegand

Mit diesen Diskussionen, die jetzt über Social Media laufen, wird ein Keil zwischen Lehrerinnen und Lehrern und die Elternschaft getrieben und das können wir in dieser schwierigen Zeit nicht gebrauchen.

Jens Weichelt Vorsitzender des Sächsischen Lehrerverbandes

Auch bei MDR SACHSEN haben sich zahlreiche Schüler und Eltern gemeldet, die von eher negativen Erfahrungen beim Distanzunterricht berichten - von Lehrern, die kaum zu erreichen seien oder davon, dass für sie kaum Videokonferenzen stattfinden würden. Manche dieser Beschwerden landen auch beim Landesamt für Schule und Bildung. An dieses können sich Schüler oder Eltern wenden, wenn sie bei der Klassen- oder Schulleitung nicht weiterkommen. Der Pressesprecher des Landesamtes Roman Schulz ist auch für solche Bürgeranfragen zuständig.

Distanzunterricht führt zu 100 Beschwerden pro Monat

"Die Hinweise, positiven Anmerkungen oder Beschwerden haben zugenommen. Wir versuchen auch, auf jede einzelne einzugehen, es ist nur schwer, von der Dimension einzuordnen." Denn auch wenn es nun mit rund 100 Beschwerden pro Monat deutlich mehr als noch vor der Pandemie gebe, sei diese Zahl angesichts von rund 400.000 Schülern in Sachsen trotzdem nicht riesig, erklärt Roman Schulz.

Auch Frank Haubitz, Schulleiter des Gymnasiums Dresden-Klotzsche, geht davon aus, dass der Großteil der Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen die schwierige Situation im Moment gut meistert. Er hat allerdings kein Problem damit, dass die Standards für das häusliche Lernen veröffentlicht wurden, im Gegenteil:

Frank Haubitz
Frank Haubitz Bildrechte: IMAGO / Max Stein

Ich fand die Sache sehr hilfreich und habe das deshalb auch meinen Lehrern und Eltern geschickt. Es ist ja nicht eine Weisung gewesen, die sagt: Lieber Lehrer, das hast du alles zu tun. Jeder Lehrer muss sich mit seiner pädagogischen Freiheit auch weiterhin Methoden suchen, die der Klassenstufe und deren Leistungsstand entsprechen.

Frank Haubitz Schulleiter des Gymnasiums Dresden-Klotzsche

Zehn Eltern hätten sich bei ihm mit konkreten Bitten gemeldet, nachdem sie den Erwartungshorizont gelesen hatten, erzählt Schulleiter Frank Haubitz. Man sei darüber ins Gespräch gekommen und überlege nun gemeinsam, wie man den Distanzunterricht weiter verbessern könne. Kommunikation und Offenheit sei in der derzeitigen Situation wichtiger denn je, ist Frank Haubitz überzeugt.

Kontrolle der Lehrer ist Sache der Schulleitung

An manchen Stellen ist allerdings auch Kontrolle gefragt. Wie die Lehrer und Lehrerinnen ihre Lehraufträge verteilen und dass entsprechender Unterricht stattfindet, müssten zuallererst die Schulleitungen kontrollieren, erklärt Roman Schulz vom Landesamt für Schule und Bildung. Manche Schulleiter würden deshalb beispielsweise immer montags eine Übersicht von ihrem Kollegium verlangen, was für diese Woche an Unterricht geplant sei. So könnte auch sichergestellt werden, dass alle Lehrer an ihren Klassen dran seien, erklärt Roman Schulz von der Schulaufsichtsbehörde. Ob solch eine Kontrolle – auch zur Einhaltung der neu definierten Standards für das häusliche Lernen – sinnvoll oder nötig ist, das könne aber jede Schulleitung selbst entscheiden.

Quelle: MDR

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSENSPIEGEL | 26.02.2021 | 19:00 Uhr

10 Kommentare

ChristianK am 28.02.2021

Die Position ist berechtigt. Aber warum finden sich in der Kritik der Lehrerverbände keine konstruktiven Vorschläge in die Richtung? Also ich meine abseits von allgemeinem Beschuldigungen, wie dass das Papier viele Monate zu spät kommt. Das ist auch korrekt, bringt uns aber jetzt nicht weiter.

Es fällt auch auf, wie sowohl Lehrer als auch das Kultusministerium vehement behaupten, dass es in vielen/den meisten Fällen ja gut laufe. Da stellt sich dann schon auch die Frage, warum bei den übrigen "Problemfällen" (nur) das Kultusministerium "dran Schuld" soll?

Ich möchte gar nicht das Kultusministerium verteidigen. Ich finde die generelle Vorgehensweise und Kommunikation von Herrn Piwarz in der Pandemie sehr schlecht. Aber da kommt ein mal ein Schritt in die richtige Richtung, und statt jetzt zu sagen, "Hey das ist ein gutes Konzept, bitte unterstützt uns jetzt bei A, B, C damit wir es auch umsetzten können", kommt so diese Reaktion.

W. Schmidt am 28.02.2021

@Frank 1,@SyHi
Ich kann Ihnen verraten, wogegen ich mich (so etwas von) aufrege ... nicht gegen verbindliche Standard ... oder gegen eine gute Schulbildung ... oder die Verantwortung der Lehrer*innen ...
Ich rege mich darüber auf, dass das Kultusministerium Standards veöffentlich, ohne die geringsten Voraussetzungen (und das habe ich gerade ohne Übertreibung geschrieben) für deren Umsetzung zu schaffen.
Dieses "Haltet den Dieb-Spiel!" ermöglicht es dem Kultusministerium sich geschickt aus der Verantwortung zu ziehen und den Eltern die Lehrer*innen als Ventil anzubieten. Deswegen wurden z.B. dieses Papier mit den Standard auch zuerst im Internet veröffentlicht, bevor es den Lehrer*innen überhaupt zur Kenntnis gebracht wurde.

ChristianK am 28.02.2021

Die Verwendung des Begriffes Pranger ist, genau wie die ablehnende Haltung der Lehrerverbände, schon extrem weit her geholt. Transparente Vorgaben - um nichts anderes geht es hier - so dermaßen negativ umzudeuten ist wiederum ein Angriff auf alle Eltern und diejenigen im Ministerium die sich hier konstruktiv für besseres Homeschooling einsetzen.

Immerhin gibt es eine Petition mit > 5000 Unterschriften von Eltern für ein einheitliches Konzept. Sollt man den Eltern sagen: "Ja wir haben das Konzept ausgearbeitet und mit den Lehrern Intern geklärt, aber wir verraten euch den Inhalt nicht."?

Auch als Elternteil, der extrem Unglücklich damit war, wie bei uns bislang das Homeschooling läuft bin ich sehr dankbar für die Vorgaben. Ich hätte das nicht so präzise artikulieren können. Das ist überhaupt erstmal eine Grundlage für Kommunikation mit der Schule.

An der Stelle mal Respekt an den Journalisten, der das Interview mit der GEW-Chefin geführt hat. Von Ihr kam leider nichts neues.

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