Prof. Dr. Jochen Rozek hält vor einem Bücherregal das Gesetzbuch über Ausländerrecht in Händen.
Jochen Rozek, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Leipzig Bildrechte: MDR/Sabine Cygan

10.07.2019 | 09:30 Uhr Verfassungsrechtler: "Landeswahlausschuss hat keine Willkürentscheidung getroffen"

Die Entscheidung des Landeswahlausschusses zur eingeschränkten Zulassung der AfD-Landesliste für die Landtagswahl hat für viel Diskussion gesorgt. MDR SACHSEN hat mit dem Verfassungsrechtler Jochen Rozek von der Universität Leipzig über den Fall gesprochen.

Wie rechtssicher ist die Entscheidung des Landeswahlausschusses aus Ihrer Sicht?

Fest steht, dass sich die AfD sicherlich ungeschickt verhalten und die zumutbare Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten vernachlässigt hat. Der Umstand, dass zunächst zwei Landeslisten und zwei Niederschriften über die Versammlung, die der Aufstellung der Liste diente, abgegeben worden sind, deutet darauf hin. Ich halte die getroffene Entscheidung für nachvollziehbar, da die AfD letztendlich nicht hat entkräften können, dass es sich nicht mehr um eine einheitliche Aufstellungsversammlung (an zwei Terminen) gehandelt hat. Andererseits ist das Ganze anhand von verschiedenen Indizien so bewertet worden und es gibt auch bei den Regularien des Landeswahlgesetzes und der Landeswahlordnung gewisse Auslegungsspielräume. Ob man das nicht vielleicht auch anders sehen könnte, möchte ich auch mangels näherer Kenntnis der Aktenlage einmal offen lassen.

Was konkret lässt sich juristisch anzweifeln?

Es ist grundsätzlich nicht unstatthaft, eine Aufstellungsversammlung auf zwei Termine aufzuteilen, etwa wenn man auf dem ersten Termin wegen der Dauer des Wahlprozederes nicht zu Potte kommt. Dann kann man die Versammlung auf einem weiteren Termin fortsetzen. Man sollte in diesem Fall freilich hieb- und stichfest dokumentieren, dass es sich um die Fortsetzung der bisherigen Versammlung handelt. Dann der Punkt der fehlenden Personenidentität vom Versammlungsleiter sowie der beiden Personen, die noch ergänzend eidesstattliche Versicherungen über die Ordnungsgemäßheit des Wahlprozederes zu geben hatten. Hier kann man die Frage stellen: Muss das zwingend so sein oder darf man nicht die Personen austauschen, wenn der Versammlungsleiter auf dem zweiten Termin aus irgendwelchen Gründen verhindert ist.

Ein entscheidender Punkt für die Gültigkeit eines Parteitages ist die Schlussabstimmung. Hier hat es eine Fortsetzung eines Parteitages mit wechselnden Teilnehmern gegeben. Können die über zwei Veranstaltungen abstimmen, wenn sie in Teilen nicht bei beiden Parteitagen anwesend waren?

Wenn die Versammlung tatsächlich an den beiden Terminen unterschiedlich zusammengesetzt war, dann spricht vieles für die Sichtweise des Landeswahlausschusses. Von einer Fortsetzungsversammlung kann man nur dann sprechen, wenn die Identität der Versammlung im Wesentlichen an beiden Terminen gewährleistet bleibt.

Der Landeswahlausschuss stört sich an den unterschiedlichen Wahlverfahren auf den beiden AfD-Listenparteitagen. Dadurch sei die notwendige Chancengleichheit nicht gegeben gewesen. Ist es unüblich, dass inmitten eines Parteitages die Wahlmodi gewechselt werden?

Es ist durchaus üblich, dass nur die aussichtsreichen Plätze im Einzelwahlverfahren vergeben werden, zumal es ja dort auch zu Kampfabstimmungen kommen kann. Ebenso ist es grundsätzlich zulässig, dass für die weniger aussichtsreichen Listenplätze ein Blockwahlverfahren gewählt wird. Wenn das von Anfang an so feststeht, dann können sich alle Bewerber darauf einstellen. Wenn erst im Laufe der Versammlung das Wahlverfahren geändert wird, dann ergeben sich durchaus Bedenken in Bezug auf die Wahrung der Chancengleichheit aller Bewerber. Es kommt also darauf an, ob bei dem zweiten Termin die Einführung des Blockwahlverfahrens zu Beginn beschlossen worden ist oder erst im Laufe des Termins, nachdem schon weitere Einzelwahlverfahren stattgefunden haben. Das hat Bedeutung für die Frage, ob man von einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit ausgehen kann oder nicht.

Hätte der Landeswahlausschuss auch anders entscheiden können?

Nach Einschätzung des Landeswahlausschusses waren hier die Verstöße so gravierend, dass die Liste ab Platz 19 nicht zugelassen werden konnte. Es gibt freilich auch bei der Anwendung der Regelungen des Landeswahlrechts gewisse Auslegungsspielräume, die man möglicherweise zugunsten der AfD hätte nutzen können. Wenn man jedoch im Wege der Auslegung zu der Überzeugung kommt, dass ein Verstoß vorliegt, verfügt der Landeswahlausschuss in der Folge weder über einen Ermessensspielraum noch über einen Spielraum, um Verhältnismäßigkeitserwägungen anzustellen. In der Gesamtschau lässt sich sagen, dass der Landeswahlausschuss jedenfalls keine Willkürentscheidung getroffen hat.

Quelle: MDR SACHSEN

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 09.07.2019 | 18:00 Uhr im Radioreport

MDR SACHSENSPIEGEL | 09.07.2019 | 19:00 Uhr

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