Dienstags direkt | 15.02.2022 | Nachhören Kleine Helden – Diagnose Krebs im Kindesalter
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Eine Krebsdiagnose verändert das Leben – nicht nur für die Patientin oder den Patienten, sondern für die ganze Familie. Vor allem, wenn Kinder betroffen sind, brechen Welten zusammen und die Angst ist groß, aber eben auch die Hilfsbereitschaft. Am internationalen Kinderkrebstag haben wir mit Betroffenen, Unterstützern und Medizinern darüber gesprochen, wer hilft, wenn der Fall eintritt, wie andere mit diesem Schicksal umgehen und auch darüber, wie der aktuelle Stand der Forschung ist.
Jährlich erkranken in Deutschland etwa 2.200 Kinder unter 18 Jahren an einer Form von Krebs. Das geht aus Zahlen des Robert Koch Instituts hervor. Bei fast jedem dritten betroffenen Kind lautet die Diagnose Leukämie. Auch im zentralen Nervensystem oder im lymphatischen System von Kindern bilden sich häufiger Tumore. Viele der Erkrankten sind erst zwei oder drei Jahre alt. Die Statistik sagt allerdings nichts über die Ängste und Sorgen der kleinen Patienten und ihrer Familien aus.
Der Psychologe Dr. Florian Schepper leitet das psychosoziale Team auf der Kinderkrebsstation am Uniklinikum Leipzig. Nach seiner Erfahrung brauchen nach einer Krebsdiagnose zunächst die Eltern die Unterstützung seines Teams. Wenn der erste Schock überwunden sei und sich eine Ahnung darüber forme, wie es weitergeht und klar werde, dass es auch viel Unterstützung gibt, gehe es darum, den Kindern zu helfen. Die reagierten oft stärker auf die Angst, die sie bei ihren Eltern wahrnehmen, als auf die Krankheit selbst.
Der Teddy bekommt die Spritze und die Puppe den Verband
Ein Weg, Kindern mehr Sicherheit in der ungewohnten Krankenhausumgebung zu geben, sei das sogenannte "medical play", sagt der Psychologe Dr. Schepper. Wenn das Kind selbst Ärztin oder Arzt sein könne und mit Puppe oder Teddy durchspiele, was an Untersuchungen, Operationen oder Behandlungen ansteht, helfe das, die Angst zu nehmen.
Neben Schmerzen und der Unsicherheit wie es weitergeht, belastet die Kinder auch, dass ihr Umfeld auf Station meist sehr sachlich und ernst daherkommt. Trotz aller Freundlichkeit steht oft nur dann jemand im Zimmer, wenn er etwas will: die Schwester muss Blut nehmen, der Arzt eine anstehende Untersuchung erklären, die Eltern wollen wissen, wie sich das Kind fühlt.
"Hier kommen wir ins Spiel", sagt Heiko Fischer, der als Klinik-Clown im Einsatz ist und sonst als Kulturmanager arbeitet. Neben ihm bilden fünf Frauen und ein weiterer Mann die "Leipziger Gesundheitsclowns". Sie bringen etwas Farbe und das Lachen auf die Stationen. Erst schauten sie mit ihrem Kostüm ins Zimmer und warteten, ob sie denn auch wirklich willkommen seien. Danach seien sie erst einmal nur da, sagt Fischer. Alles geschehe spielerisch und auf Augenhöhe.
Empathie sei nötig, um zu erspüren, ob die kleine Patientin, der kleine Patient, lustig bespaßt werden wolle oder lieber in Interaktion treten möchte. Nur selten würden sie Ablehnung erfahren. Meist seien sie sehr willkommen.
Der Spaß ist das, was am schnellsten verloren geht!
Der brutale Einschnitt ins Leben, den eine Krebsdiagnose mit sich bringt, belastet nicht nur die Erkrankten und die besorgten Eltern. Häufig fällt es auch Geschwisterkindern schwer, die sonnigen Seiten des Lebens zu genießen.
Als das den Initiatoren des "Waldpiraten-Camps" der Deutschen Kinderkrebsstiftung vor Jahren auffiel, luden sie in dieses Kinderfreizeit-Camp für genesene Kinder auch deren Geschwister mit ein. Das brachte nicht nur den Spaß zurück, sondern half auch den Nichterkrankten, Ängste abzubauen. Sie lernten "kleine Helden" kennen, die nicht zur eigenen Familie gehören und Geschwisterkinder, die sich um ihre Schwestern oder Brüder sorgten, sagt Ariane Dietze-Böhm, die in dem Projekt arbeitet. Dem Camp folgten Wochenendseminare mit Workshops, kreativen Angeboten und gemeinsamen Erlebnissen. Der Wunsch, sich gegenseitig zu unterstützen sei so groß, dass aus der Gruppe heraus die Idee eines Geschwister-Netzwerks entstand. Gerade laufe die Abstimmungen, wie es organisiert werden soll und was es im Idealfall einmal leisten kann.
Helfen dringend erwünscht - Geld fehlt überall!
Zwar ist die medizinische Versorgung in der Regel gesichert, viele Unterstützungsangebote, die oft auch auf die Zeit nach der Behandlung abzielen, sind dagegen auf Spenden angewiesen.
Es gibt zahlreiche Vereine, Stiftungen und Benefizaktionen. Gerade kleinere Initiativen, die ganz nah am Geschehen sind, haben es zuweilen nicht leicht, für ihr Anliegen zu werben. Organisationen wie "it's for kids" haben sich deshalb auf die Fahnen geschrieben, Spenden zu organisieren und dann auf die unterschiedlichsten Initiativen zu verteilen. Immer getreu dem Gründungsmotto: "Den Schwächsten helfen - heißt, die Gesellschaft stärken".
Neben Aktionstagen wie dem internationalen Kinderkrebstag am 15. Februar, der 2002 ins Leben gerufen wurde, und den großen Galas, sind es oft spontan entwickelte Aktionen, die sich zu einer Tradition entwickeln. So war es vor 16 Jahren an der Oberschule Waldheim. Da hatte sich Sportlehrerin Iris Raasch ein Schülerprojekt überlegt: "rauchfrei". Es ging um gesundes Leben, und die Kinder hatten die Idee, zum Abschluss einen Spendenlauf zu veranstalten. Mit dem gesammelten Geld sollte die Kinderkrebsforschung unterstützt werden. Fast 3.500 Euro brachte das erste RUNNING FOR HELP ein und die Oberschule Waldheim unterstützt seither Jahr für Jahr die Stiftung Mitteldeutsche Kinderkrebsforschung. Der Lauf im Mai entwickelte sich über die Jahre zur festen Größe im Kalender der Region. Immer mehr Sponsoren brachten sich ein - die Spendensumme wuchs. Auch Promis liefen mit, wie Thomas Rühmann, der in der TV-Serie "In aller Freundschaft" den Dr. Heilmann spielt. Er engagiert sich wie die Sportlehrerin für die Stiftung. Leider habe Corona auch das Engagement der Waldheimer eingeschränkt, sagt Iris Raasch. 2020 fiel der Lauf dem Lockdown zum Opfer. Als das im vergangenen Jahr wieder absehbar war, hatten die Schüler erneut eine Idee: Sie organisierten virtuelle Läufe und sammelten so doch noch Spenden ein. In diesem Mai soll es aber wieder ein Event in Waldheim geben.
Gäste der Sendung:
Yvonne Jäschke | Sozialarbeiterin, Leiterin der Beratungsstelle Ambulante Psychosoziale Nachsorge des Elternhilfe für krebskranke Kinder Leipzig e. V.
Prof. Dr. Meinolf Suttorp | Sonnenstrahl e.V., em. Prof. Pädiatrische Hämatologie & Onkologie Medizinische Fakultät Technische Universität Dresden
Im Interview:
Iris Raasch | Sportlehrerin Oberschule Waldheim (organisiert jährlichen Benefizlauf)
Jan Marx | Vater eines kleinen Krebspatienten
Dr. Florian Schepper | Psychologe und Leiter des psychosozialen Teams der Kinderkrebsstation am Uniklinikum Leipzig
Heiko Fischer | Klinik-Clown aus Leipzig
Ariane Dietze-Böhm | Deutsche Kinderkrebsstiftung - baut Netzwerk für Geschwisterkinder auf
Redaktion & Moderation:
Leitung: Ines Meinhardt
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | Dienstags direkt | 15. Februar 2022 | 20:00 Uhr