Dienstags direkt | 24.01.2023 | 20 - 23 UhrKrawallmacher: Fehlender Respekt oder gezielte Angriffe auf den Staat?
Feuerwerkskörper, die auf Menschen abgefeuert werden - auf Menschen, die gekommen sind, um zu helfen. Was in der Silvesternacht in Berlin, aber auch in Borna, geschah, ist kein Einzelfall. Kann man daraus schließen, dass unser Zusammenleben in der Gesellschaft zunehmend von Hass und Gewalt geprägt ist? Wer sind die Krawallmacher? Welche Rolle spielen Migration und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben? Wir haben mit Menschen gesprochen, die solche Entwicklungen beobachten oder am eigenen Leib erleben.
Wenn der Jahreswechsel zum Chaos-Tag wird
Die Bilder aus der Silvesternacht in Berlin waren am Neujahrstag in allen Medien: Feuerwehrleute, die brennende Mülltonnen löschen und dabei von Polizisten vor Angriffen geschützt werden müssen. Polizeibeamte und Rettungskräfte, die mit Böllern und Raketen attackiert werden. Weit mehr als 100 Strafanzeigen gingen ein. Es ging um den gezielten Einsatz von Pyrotechnik oder Waffen und um Sachbeschädigung und Zerstörung.
Im Landkreis Leipzig gab es ebenfalls Ausschreitungen, wenn auch in geringerem Ausmaß. Auf dem Marktplatz von Borna hatten sich in der Silvesternacht etwa 200 Menschen versammelt. Weil es schon in früheren Jahren Probleme gab, war die Polizei mit mehreren Streifenwagen vor Ort. Auch hier wurden Beamte mit Pyrotechnik angegriffen. Außerdem beschossen einige Randalierer die Rathausfassade mit Raketen, die nun für mehrere tausend Euro einen neuen Anstrich benötigt. Bornas Oberbürgermeister Oliver Urban will so etwas nicht noch einmal erleben. Die Stadt diskutiert ein Bündel an Maßnahmen: Von einem eigenen Feuerwerk und Böllerverbotszonen bis hin zu Jugendprojekten und Präventionsmaßnahmen, die kriminellen Entwicklungen entgegenwirken sollen.
Verbale Attacken gehören leider zum Alltag im Rettungsdienst
Die tätlichen Angriffe auf Sanitäter in den Berliner Stadtteilen Neukölln und Kreuzberg sind zwar zum Glück die Ausnahme. Nur selten fliegen - wie hier geschehen - Feuerlöscher oder Bierkisten auf Rettungswagen. Aber auch in Sachsen gab es schon Fälle brutaler Attacken auf Notfallsanitäter.
Im vergangenen Jahr erlitt im Vogtland ein Mitarbeiter der Johanniter Unfallhilfe durch einen Fausthieb einen Kieferbruch. Wochenlang fiel er krankheitsbedingt aus, und die Tat wirkt nach. Wie Pressesprecher Sebastian Späthe vom Johanniter Landesverband Sachsen sagte, löste das Medieninteresse nach der Tat bei dem Kollegen einen Flash-Back aus. Kaum auszumalen, was ein erneuter Angriff anrichten würde. Dem sollen sich die Kolleginnen und Kollegen im Einsatz gar nicht erst aussetzen, sagt Kai Kranich vom DRK Sachsen. Inzwischen schule man alle Notfallsanitäterinnen und -sanitäter darin, zuerst zu prüfen, ob man beim Einsatz selbst in Gefahr geraten könne. Das sei Teil von Aus- und Weiterbildung, wie auch der Umgang mit verbalen Attacken. Die erlebe jedes Team ein- bis zweimal wöchentlich, habe ein Feldversuch in einem Rettungsdienstabschnitt in Sachsen ergeben.
Extremismus hat die Mitte der Gesellschaft erreicht
Der Landespräventionsrat Sachsen warnt auf seiner Internetseite: Extremisten gefährdeten den Zusammenhalt und das friedliche Miteinander in unserem Land. Um dem entgegenzuwirken, unterstützt er zahlreiche Projekte. Diese Projekte sollen dabei helfen, Hass erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dieser Hass breite sich inzwischen in allen gesellschaftlichen Schichten aus und überlagere eigentlich selbstverständliche Tugenden wie Toleranz, Verständnis und Solidarität. Wie dramatisch ist die Lage? Führt uns der Weg direkt ins Chaos oder gibt es Grund zur Hoffnung?
Für Sachsens Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping, ist klar: Es geht nur gemeinsam! Die Krisen unserer Zeit - wie sie zum Beispiel durch die Corona-Pandemie ausgelöst wurden - aber auch der Krieg gegen die Ukraine hätten gezeigt, wie solidarisch sich der größte Teil der Menschen in Sachsen verhält. Mit Projekten für Kinder aber auch für Jugendliche will man einem Auseinanderdriften der Gesellschaft entgegenwirken. Vor allem Initiativen, die aus der jungen Generation selbst heraus entstehen, müssten auch umgesetzt werden, so Köpping.
Dr. Alexander Yendell, der an der Universität Leipzig zu Extremismus forscht, geht von einem differenzierten Bild aus. In der öffentlichen Wahrnehmung nähmen Rechtsextremismus und Rassismus immer mehr zu. Das läge aber vor allem daran, dass solche Meinungen häufig in den sozialen Medien kursieren, sagt der Soziologe vom Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Er will das allerdings keineswegs als Entwarnung verstanden wissen. Vielmehr habe man auf Grundlage repräsentativer Bevölkerungsumfragen festgestellt, dass vor allem im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise die Rechtsextremen radikaler und gewaltbereiter wurden. Während Ausschreitungen auf der Straße nicht so oft vorkommen, seien Hass und Hetze im Netz eher die Regel.
"Hate Speech" - auch das habe eine Studie ergeben - werde oft von Menschen mit sadistischen Persönlichkeitsmerkmalen verbreitet. Aus der Forschung wisse man, dass auch Missbrauchserfahrungen in der Kindheit eine Rolle spielten. Das entschuldige die Taten nicht, könne sie aber zum Teil erklären. Klar sei, die Diskussion über die Beweggründe von Krawallmachern und Gewalttätern müsse öffentlich geführt werden, so Yendell.
Unsere Gäste:
- Dr. Alexander Yendell | Universität Leipzig, Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt
Aus der Forschung wissen wir, dass Gewalttäter häufig aus dysfunktionalen Familien stammen. Dazu brauchen wir eine öffentliche Diskussion.
Dr. Alexander Yendell
- Cathleen Martin | Landesvorsitzende Deutsche Polizeigewerkschaft Sachsen e.V.
Als Polizist fühlt man sich als Prellbock der Gesellschaft, wird angegriffen, beleidigt, verhöhnt und ist selbst dann noch an etwas schuld, wenn man nicht am Ort sein konnte.
Cathleen Martin
"Ricardo" | Aussteigerprogramm Sachsen, Geschäftsstelle Landespräventionsrat
Veränderung tut weh. Aber nicht so weh, wie dort zu bleiben, wo man nicht mehr hingehört.
"Ricardo"
Interviewpartner:
Petra Köpping | Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt
Kai Kranich | Deutsches Rotes Kreuz
Oliver Urban | Oberbürgermeister von Borna
Olaf Hoppe | Sprecher Polizei Leipzig
Redaktion & Moderation:
Leitung: Ines Meinhardt