Dienstags direkt | 31.05.2022 | 20:00 - 23:00 Uhr Vielfalt – quer durch die Generationen
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Frei nach Goethe fragen wir: Wie hältst Du es mit der Toleranz? Vielfalt und Vielfältigkeit ist vielschichtig. Eine eingeengte Sichtweise - nur reduziert auf die sexuelle Ausrichtung oder die Geschlechtsidentität - wird dem Begriff Vielfalt nicht gerecht. Menschen mit all ihren Unterschieden zu akzeptieren und trotzdem gleich und fair behandeln, darüber haben wir bei Dienstags direkt diskutiert. Und wir sind der Frage nachgegangen, warum wir mit diesem einfachen Ziel immer noch scheitern.
Zu einer vielfältigen Gesellschaft gehören gleichberechtigt Frauen und Männer - egal welchen Alters - Kinder, queere Menschen, Menschen mit Behinderung, nationale Minderheiten, Menschen mit Migrationshintergrund, Flüchtlinge usw. Aber ist das nicht schon Schubladendenken? Auch Menschen mit Behinderung sind Männer oder Frauen und können einen Migrationshintergrund haben, um nur ein Beispiel zu nennen. Niemand von uns sollte aufgrund eines Merkmals "einsortiert" werden.
queer bedeutet,
...einer anderen als der heterosexuellen Geschlechtsidentität zugehörig
Quelle: Duden
Vielfältige Gesellschaft – aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Generationen
Keine Vorurteile haben, nicht in Klischees denken – das ist eine tägliche Herausforderung. Geprägt von unseren Lebenserfahrungen sind unterschiedliche Ansichten normal. Doch wie tauschen wir uns darüber aus und welche Werte sind aus Sicht der verschiedenen Generationen bewahrenswert? Was sollte uns auch in Zukunft wichtig sein? Wie gehen wir mit aktuellen Themen um und welche Ideen für die Lösung setzen sich durch bei den vielfältigen Problemen von Klimaschutz über Pandemiebekämpfung bis hin zu kriegerischen Konflikten oder dem krankenden Sozialsystem? Bedeuten unterschiedliche Sichtweisen auch einen Generationen-Konflikt?
Zusammenleben auf dem Land anders als in der (Groß-)Stadt?
Die Anonymität der Großstadt wird oft als negativ empfunden, weil Menschen sich zwar begegnen, sich aber dennoch fremd bleiben.
Wer sich unerkannt "ausleben" möchte, für den bietet die Großstadt auch Schutz, denn hier kennt nicht jeder jeden. Im Gegensatz zum Leben auf dem Land oder im Dorf. Doch ist es wirklich im Jahr 2022 immer noch problematisch, wenn etwas oder jemand nicht der "Norm" entspricht, nicht ins Weltbild passt oder fremd ist? Bringt das Zusammenleben auf dem Land nicht eher große Vorteile: Man kennt sich, man hilft sich, steht in Notsituationen zueinander, ist unkompliziert füreinander da. Oder besteht darin auch die Gefahr, dass die Gemeinschaft geschlossen agiert und nicht mehr offen für Neues ist?
Toleranz = Duldung = Stärke oder Hochmut?
Gespräche über Vielfalt und vielfältiges Leben münden unweigerlich in eine Diskussion über Toleranz. Toleranz stammt vom lateinischen Wort "tolerare" ab, was tolerieren, dulden oder aushalten bedeutet. Seit jeher ist Toleranz ein viel diskutierter Begriff - in der Philosophie und in der Sprachwissenschaft genauso wie in den Sozial- oder Kulturwissenschaften.
Schon im 18. Jahrhundert beschreibt der Philosoph Immanuel Kant den Begriff Toleranz als "hochmüthigen Namen" in seiner Abhandlung "Was ist Aufklärung?" von 1784. Interpretiert man Kant, steckt darin seine Kritik an Toleranz. Denn wer toleriert, der duldet. Ist Dulden und damit Tolerieren also ein Zeichen der Schwäche oder gerade ein Zeichen der Stärke?
Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet, zu sagen: daß er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmüthigen Namen der Toleranz von sich ablehnt: ist selbst aufgeklärt, und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens von Seiten der Regierung, entschlug, und Jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen.
Führen Krisen zu Intoleranz?
Wir sind schnell dabei, schwierige Situationen als Krisen zu bezeichnen: Finanzkrise 2008, Flüchtlingskrise 2015, seit 2020 Corona-Pandemie und seit Ende Februar 2022 Russlands Krieg in der Ukraine.
Macht ein permanenter Krisenmodus und die Suche nach Erklärungen und Alternativen Menschen anfällig für alternative Erklärungen, Fake-News, Verschwörungstheorien und extreme Meinungen? Führen Krisen zu mehr Intoleranz oder sind sie als Herausforderung zu verstehen, toleranter zu sein und ein breiteres Meinungsspektrum zu akzeptieren?
Ist es schon intolerant, wenn man sich über den Nachbarn aufregt, weil der die Hausordnung nicht erledigt hat? Wie intolerant sind Gespräche über den viel jüngeren Mann, den "die" aus dem 1. Stock jetzt hat? Wo fängt Intoleranz an? Ab wann ist Intoleranz eine Gefahr für die Gesellschaft?
"Zeiten gendern Dich"
Die Debatte über gendergerechte Sprache ist seit knapp einem Jahrzehnt in vollem Gange. Ist es nur eine Debatte einer intellektuellen Minderheit, oder eine Debatte der jungen Generation? Unser Gast Carola de Groote, Dozentin für Erziehungswissenschaften an der Universität Leipzig, ist der Meinung "Sprache ist unser zentrales Werkzeug, um unser Erleben von Welt auszudrücken. Und Sprache wirkt auf unser Denken und Handeln und erzeugt damit Wirklichkeit."
Im vergangenen Sommer ergab eine Befragung durch das Meinungsbarometer "mdrfragt", dass 86 Prozent der Befragten in Mitteldeutschland die Debatte um gendergerechte Sprache unwichtig finden. Fast 26.000 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen hatten sich beteiligt (mehr als 13.000 aus Sachsen). Für Frauen (18 Prozent) war bei dieser Befragung das Gendern wichtiger als für Männer (10 Prozent). Bei den Unter-30-Jährigen war die Akzeptanz mit 38 Prozent am höchsten. Sie nahm mit dem Alter der Befragten kontinuierlich ab. Bei den über 65-Jährigen lag sie nur noch bei sieben Prozent. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Zu Gast bei "Dienstags direkt":
Lilly Keilig | Studentin aus Limbach im Vogtland
Carola de Groote | Dozentin für Erziehungswissenschaften an der Universität Leipzig
Marco Wegner | Sozialarbeiter aus Gröditz
Volkmar Kretzschmar | Rentner aus Radebeul
Im Interview:
Sofie Donges | Korrespondentin im ARD-Studio Stockholm
Julia Kastein | Korrespondentin im ARD-Studio Washington
Lena Bodewein | Korrespondentin im ARD-Studio Singapur
Moderation:
Redaktionelle Mitarbeit: Alexander Schubert
Leitung: Ines Meinhardt
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 31. Mai 2022 | 20:00 Uhr