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Sonntag | 21.01.2024Thomas Billhardt - unser Gast im Sonntagsbrunch

"Ich habe gelebt und gesehen",

sagt Thomas Billhardt. Der Mann, dessen Sichten den Blick von Generationen auf und in die Welt geprägt haben. Denn Thomas Billards Fotos aus Vietnam oder Kuba, aus Chile oder der Sowjetunion, aus Italien oder auch dem Braunkohletagebau waren in allen Zeitschriften der DDR zu sehen - und später auch international, als sichtbar wurde, dass der Mann aus Chemnitz, der sich immer mit seiner Kamera als Dokumentarist und nicht als Künstler verstanden hatte, mit einem besonderen Blick auf die Situationen schaute, die er fotografierte.

Thomas Billhardt fotografiert in Sibirien 1964 Gesichter und Menschen

"Solche Bilder mache ich gerne", sagt Thomas Billhardt. Die jungen Studenten in Irkutsk. "Viele Mädchen trugen Blumen im Haar - weil sie dort keinen Schmuck hatten. Das fand ich sehr schön." Hier entdeckt der Fotograf eine große Leidenschaft: Schöne Frauen zu fotografieren. Dabei setzt er gern auf einen Überraschungseffekt. Er fotografiert die Menschen unbemerkt, "um die Ecke", wie er es nennt, um ein echtes Lachen einzufangen. Gestellte Fröhlichkeit mag er nicht. Bildrechte: CameraWork
Dieses Bild kam damals gar nicht gut an. "Das passte so gar nicht in das Bild des typischen Sozialisten, welches die Leute damals sehen wollten. Der Mann ist dreckig, unrasiert, hält eine Zigarette in der Hand. "Was ich fotografieren sollte, waren Menschen, die lachen - alles lacht im Sozialismus, das sollte ich zeigen." Ein SED-Funktionär über den Fotografen: "Billhardt hat nicht das gemacht, was wir wollten. Aber er hat Bilder gemacht, die um die Welt gegangen sind - und wir haben ihn benutzt." Bildrechte: CameraWork
Auch dieses Bild wurde als antikommunistisch aus dem geplanten Bildband herausgenommen. "Da waren sie böse", erinnert sich der DDR-Fotograf Thomas Billhardt an den Moment, an dem er dem DDR-Jugendverlag und dem Sowjetverlag seine Bilder zeigte. Diese wollten lieber Denkmäler abbilden und singende und tanzende Menschen zeigen und nicht das wirkliche Leben, das Billhardt in seinen Bildern eingefangen hatte. Bildrechte: CameraWork
"Meine Madonna", so nennt Thomas Billhardt diese junge sibirische Studentin. Das Teleobjektiv lässt das Chaos um sie herum unscharf wirken. "Sie sah so edel aus, hatte so schöne Augen. Diese Frau verfolgte mich." Bildrechte: CameraWork
Auch dieses Bild wollten die Sozialisten nicht veröffentlichen: Es zeigt einen Mann aus dem südlichen Sibirien, der eine Wodkaflasche leert. "Das gehörte dazu", erzählt Billhardt. "Da herrschten keine guten Manieren. Auch in einer Kneipe wurde da eine Flasche Wodka auf den Tisch gestellt, aus der die Männer dann einfach so getrunken haben - ohne Gläser. Ich empfand das aber als lustig und liebenswert." Bildrechte: CameraWork
Eine selbstgebaute Parkbank, die sich unter ihrer Last biegt. "Ich dachte immer, bestimmt bricht sie noch zusammen", so Billhardt. Doch die jungen Zuschauer, die den beiden anderen Kindern beim Federball zuschauen, kümmert das nicht. Bildrechte: CameraWork
Ein junges Paar sitzt auf der Parkbank in inniger Zuneigung. Direkt daneben eine Frau, die unberührt in ihrem Buch schmökert. "Ich habe damals viele Parkbänke fotografiert. Auf Parkbänken war immer was los. Vielleicht hatte das damit zu tun, dass die Wohnungen in der Sowjetunion so klein waren und sich die Menschen draußen aufhalten mussten", erinnert Thomas Billhardt sich. Bildrechte: CameraWork
Die Bauarbeiter an den Staudämmen haben ihre Omas und Mütter mitgebracht, die sich um die Kinder kümmern konnten. Dort wurden im Nichts ganze Städte gebaut. Er erinnert sich, wie er im Irkutsker Stausee nackig baden ging und bei der plötzlichen Kälte im reißenden Wasser plötzlich Todesangst bekam. "Wäre ich nicht rechtzeitig aus diesem Wasser wieder herausgekommen, wäre ich, nackig wie ich war, vor diese Mütterchen geschwemmt worden." Bildrechte: CameraWork
Thomas Billhardt erinnert sich "mit Herzklopfen" an die Freundlichkeit der Menschen in Sibirien. "Nach ein paar Wodkas konnte ich plötzlich russisch und wir haben viel zusammen gelacht. Beim Abschied wurde dann immer viel geheult. Ich wusste ja, die Menschen sehe ich nie wieder."

Über dieses Thema berichtet der MDR in MDR Kultur, 29.04.2017, 09.05 Uhr.
Bildrechte: CameraWork

Sein Blick ist ein humanistischer, ein menschenfreundlicher, ein mitfühlender. Egal ob es Punker am Alex in Berlin waren, die er mit ein paar Tricks und einer besonderen Kamerahaltung vergessen ließ, dass er sie fotografierte, oder die Großmutter, die im Vietnamkrieg ihr totes Enkelkind beweint.

Sie wollten Heldenbilder, ich habe aber die Opfer fotografiert. Wer nicht weint, liebt nicht, lebt nicht.

Thomas Billhardt

Fotografien Thomas Billhardt: Kinder der Welt (1975-1989)

1975. Es toben die letzten Kämpfe um die Eroberung Südvietnams. Dieses berühmte Foto zeigt einen Vater in einfacher Uniform in Nordvietnam, der schützend sein Kind umfasst. Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
Foto: Vietnam 1975. In Vietnam wird Thomas Billhardt zu einem Kriegs-Bildreporter. Von Ende der sechziger Jahre an reist er immer wieder in Kriegs- und Krisengebiete. So zum Beispiel nach ... Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
Beirut. 1977 werden Kinder hier mit scharfer Munition für den Kriegsdienst ausgebildet und sie sind stolz darauf. Für Billhardt ist das Foto eine Anklage gegen den Krieg, bei dem die Kinder immer die ersten Opfer sind. Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
Nicaragua 1979. Thomas Billhardt fährt in das südamerikanische Land, um dabei zu sein, wenn die sandinistische Revolution den Diktator Somoza aus dem Land jagt. Der Vater dieses Kindes ist vor acht Tagen von Soldaten Somozas ermordet worden. Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
In Guinea soll Thomas Billhardt eigentlich ein neugebautes Kongresszentrum fotografieren. Er nimmt den Auftrag an, jedoch nur unter der Bedingung, dass er in dem afrikanischen Land, in dem ansonsten ein striktes Fotografier-Verbot für Ausländer herrscht, herumreisen und fotografieren darf. Und so entsteht 1985 diese Aufnahme von dem Jungen aus Guinea mit seiner Ziege. Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
Dieses berühmte Foto, das auf UNICEF-Plakaten in aller Welt verbreitet wurde, entsteht 1985 in Mosambique. Es ist die Zeit des Bürgerkriegs. Viele Männer lassen sich damals militärisch ausbilden und wie selbstverständlich läuft ein kleiner Junge durch das Geschehen. Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
Kind in Tibet 1987 Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
Für das Time-Magazin "Life" fotografiert Thomas Billhardt Kinder beim Abkühlen in einer Sauna in Berlin. Wochen später druckt "Die Welt am Sonntag" das Foto. Die Zeitung schreibt dazu, hier sähe man Kinder, die in einer Sauna bei 70 Grad misshandelt würden. (Foto: DDR 1988). Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
1988 fährt Billhardt nach New York. Die UNICEF, für die er seit Jahren arbeitet, präsentiert seine Fotos in einer großen Ausstellung. In diesen Tagen entsteht eines der wenigen Fotos von Kindern in den Vereinigten Staaten. (Foto: USA 1988) Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG
Im Sommer 1989 finden die "Weltfestspiele der Jugend und Studenten" in Pyöngyang, Nordkorea, statt. Billhardt fährt als Fotograf mit. Auf einem Meeting der DDR-Delegation stimmt ihn Margot Honecker, die er schon seit über dreißig Jahren gut kennt, auf die Reise mit folgenden Worten ein: "Du fährst in ein wunderschönes Land mit wunderbaren Menschen und Kim Il Sung ist ein weiser, gutmütiger, guter Mann. Ich wünsch dir viel Glück."

Bei allem Furchtbaren was Billhardt auf der Reise erlebt, sind es auch dort Kinder, deren Abbild für ihn Hoffnung vermittelt. (Foto: Nord Korea 1989).
Bildrechte: Thomas Billhardt/CAMERA WORK AG

Die Fotos aus dem Vietnamkrieg haben Thomas Billhardt weltweit bekannt und berühmt gemacht, und in ihm Erinnerungen an seine Kindheit im zerstörten Chemnitz nach dem Krieg wach gerufen. Diese Zeit und Ereignisse, prägen ihn bis heute, wenn er mit 87 sein Lebenswerk betrachtet. Ein Werk, das längst von der renommierten Galerie CameraWork weltweit sichtbar gemacht wird.

Gerade entdecke ich Bilder, die ich vergessen hatte, weil sie nicht gezeigt werden durften in der DDR. Die neue Technik und die Arbeit der Galerie machen ganz neue Sichten möglich. 

Thomas Billhardt

Besondere (Ein-)Sichten

Mit diesem Blick entdeckt der Mann, der mehr als sechs Jahrzehnte lang als Augenmensch unterwegs war, seine eigenen Arbeiten selbst wieder neu und beginnt zu verstehen, warum Sammler seine Fotos als Kunstwerke sehen -nicht nur als Zeitdokumente. Ein großes Glück seien diese Momente des Entdeckens und Neusehens, sagt Thomas Billhardt, der immer noch der bescheidene Mann ist, der einfach lebt und sieht, und der seine besonderen Sichten wie seine Einsichten teilt.

Ich bin kein Künstler, sondern Dokumentarist. Ich wollte immer die graue Maus sein, die nicht auffällt, damit ich wahrhaftige, nicht gestellte Fotos machen kann.

Thomas Billhardt

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