Verkündigungssendung Das Wort zum Tag bei MDR SACHSEN vom 21.12. bis 27.12.2020

Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche unter anderem Pfarrer Michael Markert.

Sonntag, 27.12.2020: Damit ich singen und sagen kann

Michael Markert
Michael Markert spricht das Wort am Sonntag. Bildrechte: Michael Markert

… davon ich singen und sagen will. Was wäre Weihnachten ohne die schönen Lieder und die Musik. Aber dieses Jahr frage ich mich: Kann man das Singen eigentlich verlernen? Geht das? Was denken Sie? Ich sage Ihnen ehrlich, im vergangenen Herbst gab es Momente, da dachte ich das von mir. Ich war mir plötzlich nicht mehr so sicher, ob ich mich auf meine Stimme verlassen kann. Sie krächzte und hüpfte und war wie verschleiert, obwohl ich nicht erkältet war. Aber ich habe einfach viel seltener gesungen. Gottesdienste und Seminare in Präsenz, bei denen immer gesungen wird, sind rar geworden. Und singen mit Mund-Nasen-Schutz ist auch speziell. Es ist ein bisschen stiller geworden und ganz allein für mich, ehrlich, singe ich nur manchmal. Aber ich habe den Eindruck, die fehlende Übung macht sich bemerkbar.

Wie muss es denen gehen, die beruflich mit ihrer Stimme arbeiten, singen und sagen? Was tun Sängerinnen und Sänger, die vielleicht noch gelegentlich proben, aber eigentlich nicht auftreten im Moment? Wann macht sich das bemerkbar in der eigenen Kunst? Oder gelingt es den Profis einfach, mit Disziplin und Stimmübungen geschmeidig zu bleiben?

Ich bin inzwischen dankbar für jede sichere Gelegenheit, einmal mit anderen zu singen, meine Stimme und die Stimmen anderer zu hören. Denn Singen kann man manches, was sich gar nicht so einfach sagen lässt. Und davon gibt es doch in der Weihnachtszeit genug. Das Herz und die körperlichen Sinne sind beim Singen dabei und es kommt etwas ins Schwingen. Stimmt das nicht? Ich warte schon, dass es sich wieder richtig frei singen lässt.

Aber manchmal gibt es dann doch die, die sehr lange auf ihren Auftritt warten. Zwei, die ihre Stimme lange wach und geschmeidig halten konnten, begegnen uns heute im Evangelium. Zwei Menschen, die schon lange auf ihr Lied gewartet haben. Und jetzt können Sie singen: Simeon und Hanna.

Es wird erzählt, dass die Eltern Maria und Josef mit ihrem inzwischen schon einige Tage alten Kind in den Tempel gehen, um ihn in Gottes Nähe zu bringen. Der jüdische Junge wird beschnitten und so in den Bund Gottes gestellt. Und am Tempel wird ein Opfer für ihn gebracht. Für arme Menschen wie die Eltern Jesu sind das zwei junge Tauben, die sie geben und durch die sie in gewisser Weise das Kind noch einmal empfangen. Sie bringen Dankbarkeit zum Ausdruck, dass das erstgeborene Kind am Leben bleiben kann. Das ist nicht selbstverständlich (vgl. Ex 13,2ff). Jede und jeder, die selbst schon ein Neugeborenes gehalten haben, wissen, wie zart und fragil das Geschenk des Lebens ist. Und als die Eltern so mit sich und ihren familiären Ritualen beschäftigt sind, kommen Simeon und Hanna ins Spiel.

Sie sehen das Kind, nehmen es auf den Arm und beginnen zu singen von Gottes Taten und der Hoffnung auf sein Handeln. Maria, die junge Mutter, stelle ich mir ziemlich überrumpelt vor. Die nehmen einfach ihr Kind und zeigen es herum und sagen wunderliche Dinge über diesen Jungen.

Simeon lebte aus der Überzeugung, dass er nicht eher sterben werde, bis er den Messias gesehen habe. Und mit dem Kind Marias auf dem Arm singt er: Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen (Lk 2,29-32). Man hat deshalb immer gemutmaßt, dass er ein alter Mann sei. Aber das wissen wir gar nicht genau. Er weiß nur: Was ich jetzt sehe, reicht für das ganze Leben. Das ist genug. Mehr brauche ich nicht.

Was für ein weihnachtlicher Blick, ganz erfüllt zu sein von dem Geschenk des Lebens, von dem Versöhntsein mit dem Augenblick. Das ist es, das ist er, das ist genug. Und was für ein nachdenkenswerter Moment für die Wege die weiterführen: Was ist genug? Und wieweit soll die Spirale noch höher oder weiter gedreht werden, in meinem Leben, auf dieser Erde. Was lehrt uns der Blick auf dieses Kind?

Hanna, die Prophetin ist tatsächlich eine betagte Frau, die viele Jahre ihres Lebens mit Gebet verbracht hat. Sie ist auch zur Stelle und preist Gott und redet von der Hoffnung für Jerusalem, die sich mit dem Kommen des Messias verbindet. Hanna und Simeon haben ihre Herzen und Stimmen wachgehalten  als wäre es für diesen Moment, für diese Begegnung mit dem Kind Jesus im Tempel.

Für die Eltern, Maria und Joseph, war das sicher sehr überraschend. An einer Stelle heißt es: sie wunderten sich über das, was von ihrem Kind gesagt wurde.

Hast Du das geahnt, Maria? Was mit diesem Kind in die Welt gekommen ist? Maria hörte und staunte, heißt es immer wieder und sie bewegte das Gehörte in ihrem Herzen. Und Josef wird es wohl nicht viel anders gegangen sein. Das Lobsingen der beiden bringt einen ganz neuen Ton in das Leben der jungen Familie. Das Wunder dieses Kindes ist noch größer und noch unbegreiflicher, als ihnen ohnehin schon klar war.

Ich stelle mir das nicht nur einfach vor, denn junge Eltern mit ihrem Kind auf dem Arm müssen sich auch heute hin und wieder unverlangt Weisheiten über Kinder anhören. Das ist nicht immer erbauend.

Aber doch sagen auch die aufmerksamen Blicke von außen Wichtiges über unsere Kinder und über uns, was unserem eigenen Wahrnehmen gar nicht zugänglich ist.

Maria und Joseph haben ein Kind, aber es gehört ihnen nicht. Es geht seinen eigenen Weg. Das Kind braucht diese Eltern und diese Mutter, aber es wird nicht bei ihnen bleiben. Die Eltern kennen das Kind und wissen doch bei weitem nicht alles. So ist es mit diesem Jesuskind. Und ist es nicht ein wenig so mit jedem Kind?

Mary, did you know. Hast Du gewusst, Maria, dass dein Sohn einst übers Wasser gehen würde, mit seiner Hand einen Sturm verstummen lässt? Hast Du geahnt, Maria, dass Deine Lippen auf dem Gesicht dieses Babys direkt ins Antlitz Gottes küssen?

Was Simeon sagt und singt, ist nicht nur freundlich und leicht. Er spricht auch den leidvollen Weg dieses Kindes und seiner Mutter an. Die Eltern Jesu und auch andere Eltern müssen ihre Kinder bewahren und loslassen in dem Vertrauen, dass im Guten und Schweren letztlich Gottes Wege ans Ziel führen.

Maria, hast Du das geahnt? Ich sehe, welche Bedeutung die beiden Singenden Hanna und Simeon für die junge Familie bekommen. Und mich bewegt das auch im Blick auf unsere jetzige Zeit. Welche Bedeutung hat das, wenn Kunst und Kultur trotz aller kreativen Speziallösungen so heruntergefahren und gebremst sind. Geht uns damit nicht eine wesentliche Dimension der Wahrnehmung über uns selbst verloren? Brauchen wir  nicht die, die für uns singen und musizieren, spielen und zeigen, vertiefen und überhöhen? Die uns die Augen öffnen für die Weite des Himmels, für die Farbe der Hoffnung und die tausend Seiten der Liebe. Wir leben alle jetzt ein wenig stiller, ein wenig eingesponnener in unsere vertraute Umgebung, ein wenig isolierter und vorsichtiger. Das ist sehr gut und richtig so, um solidarisch und achtsam den Schwachen gegenüber zu bleiben. Aber das kann nicht so bleiben.

Wir hoffen auf die, die ihre Stimme wach und geschmeidig halten, obwohl sie nicht auftreten können. Wir brauchen sie. Wir warten auch, dass die, die uns kritisch aufs Korn nehmen und den Spiegel vorhalten, wieder Bühne und Publikum bekommen. Wir brauchen die Wertschätzung der Kultur und all der Menschen, die dort mit ihrem eigenen Leben und Streben tätig sind, bestimmt genau so nötig wie eine gut funktionierende Wirtschaft. Weil wir sonst zu eng und zu schmal und zu vorsichtig denken und fühlen. Der fremde Blick, der neue Klang führt uns ins Weite und bringt uns der Wahrheit näher.

Simeon und Hanna haben ihre Stimmen geschmeidig gehalten und bringen die Eltern Jesu zum Staunen. Ich frage mich auch, was meine Stimme macht. Kann ich denn eigentlich noch singen? Wir brauchen solche Begegnungen wie die mit den beiden oder mit den Menschen, die für uns singen, musizieren, spielen. Damit wir das Singen nicht verlernen. Damit wir singen und sagen können, was unser Leben hell macht inmitten aller Dunkelheit. Mein Leben genauso wie Ihr Leben.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

Kurzvita Michael Markert

Michael Markert

1964 geboren und aufgewachsen in Karl-Marx-Stadt | 1983 Gas- und Wärmenetzmonteur mit Abitur | 1983-1989 Studium am Theologischen Seminar Leipzig | 1997-2009 Gemeindepfarrer in Leipzig | 2009 Studienleiter am Pastoralkolleg Meißen und im Kirchlichen Fernunterricht | verheiratet, 3 Kinder, 1 Enkelkind

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.