Verkündigungssendung Das Wort zum Tag vom 01.-07.04.2019

Täglich hören Sie das Wort zum Tag. Montags bis freitags gegen 5:45 Uhr und 8:50 Uhr, am Sonnabend gegen 8:50 Uhr, sonntags 7:45 Uhr. Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche Pfarrer Holger Treutmann.

Sonntag, 07.04.2019: Würde Jesus wählen gehen? (Textbezug: Joh. 18,28-19,5 Jesus vor Pilatus)

Nun hängen sie wieder. Sie säumen die Straßenränder. Gesichter, Thesen, Veranstaltungen. Sie lachen uns auf Plakaten entgegen und rufen uns ins Bewusstsein: bald gibt es Wahlen. In diesem Jahr sind es sogar eine ganze Menge: Kommunalwahlen, Europa-Wahlen im Frühjahr und die Landtagswahl im Herbst. Wichtige Weichenstellungen für die Entwicklung unserer Städte und Gemeinden, unseres Landes und in Europa sind damit verbunden.

Würde Jesus wählen gehen? Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Wie politisch war Jesus?

Zunächst ist festzustellen: Jesus hatte nicht die Möglichkeit, zur Wahl zu gehen. Er lebte in einer Zeit und an einem Ort ohne demokratische Regierungsform. Das Land war von den Römern besetzt. Die Juden hatten eine begrenzte eigene Gerichtsbarkeit. Kleinere Dinge konnten sie unter sich regeln. Aber wenn es wichtig wurde, wenn es um Leben oder Tod ging, waren sie von der Entscheidung der römischen Verwaltungsmacht abhängig. Der römische Verwaltungsbeamte, der für die Provinz Judäa und Jerusalem zuständig war, hieß Pontius Pilatus. Wir wissen das, weil von ihm in der Bibel berichtet wird. Er ist derjenige, der juristisch gesehen für den Tod von Jesus verantwortlich ist.

Äußerlich betrachtet wurde Jesus als politischer Aufrührer hingerichtet. Er war der Anführer einer messianischen Bewegung. Davon gab es auch noch andere. Und die Römer fanden das nicht lustig. Da wurde kurzer Prozess gemacht.

Allerdings geben sich alle Evangelien große Mühe darzustellen, dass es anders gewesen sei. Jesus war gar nicht in dieser Weise politisch unterwegs, wie das die Römer aufgefasst hatten. Wenn man die biblischen Texte liest, wird deutlich: Jesus hatte andere Ziele. Es ging ihm nicht darum, die Besatzungsmacht abzuschütteln. Das war das Anliegen der Zeloten – einer anderen Gruppe unter den Juden. Das Anliegen von Jesus war ein anderes, es liegt sozusagen auf einer anderen Ebene. Er möchte die Menschen wieder mit Gott in Verbindung bringen. Seine Predigt ist die vom Reich Gottes.

Reich Gottes – das ist ein ganz zentraler Begriff in der Verkündigung von Jesus. Immer wieder spricht er davon. Zahlreiche seiner bildhaften Gleichnisse sollen Wirklichkeiten im Reich Gottes illustrieren. Aber dieses Reich Gottes, von dem Jesus erzählt, ist etwas ganz anderes, als was wir schon kennen. Deshalb bleibt es auch schwer zu fassen.

Fest steht: Jesus meint mit dem Reich Gottes nicht einfach eine andere irdische Herrschaftsform. Es gibt christliche Gruppen, die stellen sich das so vor: Wenn man in einer Monarchie einfach den König wegnimmt, und an dessen Stelle Gott selbst einsetzt, dann hat man eine Theokratie, eine Gottesherrschaft. Da bestimmt dann alleine Gott, was gemacht wird.

Das klingt vielleicht am Anfang gut. Aber das große Problem aller solcher Modelle ist, dass Gott für Menschen nicht verfügbar ist. Er regiert nicht wie ein menschlicher König. Gott gibt keine Befehle und unterschreibt keine Dekrete. Weil diese Menschen es sich aber denken, dass es so sein müsse, erfinden sie Stellvertreter. Sie setzen Menschen an die Stelle Gottes, die dann mit angeblich göttlicher Autorität die anstehenden Fragen entscheiden. Wo so etwas geschieht, kann schnell eine schlimme Diktatur daraus werden. An so einem Herrscher ist ja keinerlei vernünftige Kritik möglich, weil er beansprucht, unmittelbar mit göttlicher Autorität zu regieren. So etwas kann nicht gut gehen. Das Reich Gottes, von dem Jesus gesprochen hat, sieht jedenfalls anders aus.

In den evangelischen Kirchen wird heute über einen Text aus dem Johannesevangelium gepredigt. Es erzählt davon, wie Jesus nach seiner Verhaftung zu Pilatus geführt wird. Dieser will herausfinden, welche Verbrechen Jesus vorgeworfen werden. Und so entsteht ein eigentümliches Gespräch zwischen den beiden, zwischen dem römischen Prokurator und Jesus, dem gefangenen jüdischen Aufrührer.

"Bist du der König der Juden?" will Pilatus wissen. Jesus antwortet erstmal ausweichend mit einer Rückfrage: "Sagst du das von dir aus oder haben dir's andere über mich gesagt?"

Pilatus wirkt, als wolle er sich nicht in die diffizilen jüdischen Religionsstreitigkeiten hineinziehen lassen. Und dann kommt ein wichtiger Satz von Jesus: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; nun aber ist mein Reich nicht von dieser Welt."

Würde Jesus wählen gehen, wenn sein Reich gar nicht von dieser Welt ist? Liegen die Kirchen falsch, wenn sie die Bürger aufrufen, zur Wahl zu gehen? Was meint Jesus mit diesem Satz, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist?

Einen Schlüssel dazu könnten gleich die nachstehenden Sätze liefern, die Jesus als Erklärung selbst mitgibt: "Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen."

Als Jesus verhaftet wurde, wollte ihn einer seiner Jünger mit Waffengewalt verteidigen. Jesus stellt sich dem entgegen. Das Reich Gottes kann nicht mit Gewalt errungen werden. Nicht einmal zur Selbstverteidigung lässt Jesus den Waffengebrauch zu. Das liegt ziemlich konträr zu der Art, wie die Reiche dieser Welt ihre Macht aufbauen und zu sichern versuchen.

Die Welt – das ist in der Bibel manchmal auch ein Gegenbegriff zum Reich Gottes. In der Welt habt ihr Angst. Aber seid getrost: Jesus hat die Welt überwunden. In der Welt herrschen Habgier und Eigennutz. Das Modell des Reiches Gottes, das Jesus entwirft, ist von anderen Bildern bestimmt.

Diese inhaltlich sehr berechtigte Gegenüberstellung vom Reich Gottes und dem Bereich der "Welt" hat in der Vergangenheit mitunter auch eine falsche Sichtweise befördert. Manche Christen wollten den Glauben als völlig losgelöst von der Welt verstehen. Sie meinten, besonders großen Glauben könne man daran erkennen, dass man sich aus aller Verstrickung mit irdischen Belangen heraushält. Im reinen Gottesdienst, in der Anbetung des Höchsten, in Liturgie und Gebet sahen sie die alleinige Bestimmung der wahren Christen. Das wirkt dann sehr fromm und Gott hingegeben. Aber an dem Leben, das Jesus beschreibt, geht es komplett vorbei.

Jesus spricht davon, dass die Christen nicht von der Welt sind, aber sehr wohl in der Welt sind. Nicht von der Welt zu sein, das bedeutet, sich nicht der Logik von Gewalt und Eigennutz hinzugeben.

In der Welt zu sein, das bedeutet durchaus auf die Nöte dieser Welt zu reagieren. Darin ist Jesus auch mit gutem Beispiel vorangegangen. Er hat Kranke geheilt, Ausgestoßene in die Gemeinschaft zurück gebracht, sich für Arme eingesetzt.

Jesus spricht davon, dass die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nächsten gemeinsam die Zusammenfassung aller sonstigen göttlichen Gebote darstellen. Darin stecken auch diese beiden Blickrichtungen:

Auf der einen Seite der Blick weg von der Welt zu Gott hin. Dieser Blick kann befreien von egoistischer Sorge um das eigene Wohl und von der Angst, zu kurz zu kommen, weil Gott alles schenkt. Solchermaßen im Glauben gestärkt gehört es auf der anderen Seite aber nun ebenso dazu, gewissermaßen von Gott her den Blick wieder in die Welt zu richten. Es geht darum, sich dort derjenigen anzunehmen, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Wo das geschieht, wird zeichenhaft schon etwas vom Reich Gottes mitten in dieser Welt sichtbar.

Das Reich Gottes ist für uns nicht leicht zu fassen. Die einen Christen erwarten es erst im Himmel. Das entspricht nicht der Botschaft von Jesus, wie wir gesehen haben. Dem gegenüber gibt es andere, auch christlich motivierte Menschen, die gewissermaßen auf der anderen Seite vom Pferd fallen und so tun, als müssten sie selbst das Reich Gottes herbeischaffen.

Sie nehmen den Auftrag, sich für eine bessere und gerechtere Gesellschaft einzusetzen, sehr ernst. Das ist gut. Aber mitunter kann sich auch in solch einer Haltung eine Verbissenheit einschleichen, vor der uns Jesus warnen möchte. Er sagt, dass sein Reich nicht von dieser Welt ist und nicht durch Kämpfen zu erringen ist. Das verstehe ich jedenfalls auch so, dass er uns damit zu etwas mehr Gelassenheit ermutigt. Wir müssen nicht mit eigener Kraft das Reich Gottes auf Erden errichten. Das wird uns nicht gelingen. Das ist Gottes Sache. Es ist gut und ganz im Sinne von Jesus, wenn jeder in seinem Umfeld das Seine tut und anderen Menschen nahe ist, die Hilfe brauchen. Es ist auch gut, wenn wir uns dafür einsetzen, dass die Strukturen gerechter werden. Aber wir müssen das nicht verbissen tun. Jesus wendet sich gegen einen ideologisierenden Aktionismus, der die Liebe aus dem Blick verliert. Er möchte uns vor permanenter Selbstüberforderung bewahren.

Würde Jesus wählen gehen? Die Frage bleibt spekulativ. Ich kann sie nicht mit Sicherheit beantworten. Aber ich denke, Jesus würde wollen, dass WIR wählen gehen. In der Demokratie geht die Macht vom Volk aus. Damit ist auch eine Verantwortung verbunden. Diese sollte wahrgenommen werden.

Im Übrigen glaube ich, dass dass diese von Jesus vertretenen Elemente ganz gut zu einer demokratischen Wahl passen: Auf Gott schauen, und dann ohne Verbissenheit gemäß dem eigenen Platz im Leben Gutes für die Mitmenschen bewegen - das passt zu Jesus. Keine Partei erfüllt alles, was man sich jeweils wünschen mag. Aber das muss sie auch nicht. Sie wird nicht das Paradies auf Erden errichten. Mit dem eigenen Kreuz auf dem Wahlzettel dazu mithelfen, dass die Welt ein kleines Stück gerechter wird und die Menschenwürde für jeden respektiert wird – ich denke schon, dass das im Sinn von Jesus ist. Und deswegen schaue ich mit Interesse auf die Wahlplakate die auch hier in der Stadt allmählich immer mehr werden.

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.