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Sopranistin Susanne Haupt (l.) und Andrea Schmetzstorff leiten den Sing&Sign-Chor. Bildrechte: Miamedia/mdr

Inklusives MusikprojektSing&Sign: Wie Hörende und Gehörlose miteinander singen und gebärden

Stand: 17. Juni 2022, 08:56 Uhr

Teil des Sing & Sign Chors zu sein, bedeutet: Hörende und hörbeeinträchtigte Menschen singen und gebärden Musik. Im April wurde in Leipzig die erste inklusive Johannespassion aufgeführt. Doch ob es das inklusive Musikprojekt weitergeben wird, ist offen. Ein Grund sind fehlende Fördermittel.

Teil des Sing & Sign Chors zu sein, bedeutet: Hörende und hörbeeinträchtigte Menschen singen und gebärden Musik, zum Beispiel von Johann Sebastian Bach. Der Chor hat sich während der Coronavirus-Pandemie gegründet. Das Besondere daran ist, dass auch die hörenden Sängerinnen und Sänger Gebärden lernen, um die Musik von Bach inklusiv aufführen zu können. Für die hörbehinderten Mitglieder ist es ein ganz wichtiges Ziel, so die Kommunikationsbarriere zu überwinden. Andrea Schmetzstorff leitet das Sign-Ensemble des Chores. Sie hört dank ihres Cochlea-Implantats genug, um anderen zu helfen, Rhythmus und Einsatz zu halten.

Musik für alle erlebbar machen

Der Sing & Sign-Chor trifft sich ein Mal pro Woche. Gründerin Susanne Haupt ist studierte Sopranistin und singt sehr gern Bachs Musik. Im Laufe der Jahre wurde ihr klar, wie exklusiv die Kultur der Kirchenmusik ist: "Die Musiktraditionen im Kirchenjahr miteinander zu leben, Konzerte zu besuchen oder selbst in einem Chor mitzusingen gehört für Hörende einfach dazu. Hörbeeinträchtige Menschen haben dazu aber überhaupt keinen Zugang."

Die Singenden/Hörenden lernen Gebärden. Bildrechte: Miamedia/mdr

Damit sich das ändert, übersetzen Andrea Schmetzstorff und Susanne Haupt die Texte von Bach in Gebärden. Das ist nicht einfach. Nicht nur, weil Bachs Sprache dreihundert Jahre alt ist, sondern auch, weil die Gebärdensprache anders aufgebaut ist als die gesprochene Sprache. Dazu kommt, dass nicht alle die gleichen Gebärden nutzen. Das sorgt für Diskussionen.

Susanne Haupt und Andrea Schmetzstorff investieren viel Zeit in diese Übersetzungen: "Wir schauen, welche Gebärde die meisten nutzen, damit es die meisten verstehen. Zum Beispiel die Zeile 'Jesus ist meines Lebens Saft'. Da können wir nicht Saft zum Trinken gebärden, weil ja Blut gemeint ist. Manchmal dauert es dann etwas, bis alle begriffen haben, warum wir nicht gebärden können, was wörtlich dort steht."

Es geht um Gemeinschaft

Damit der Chor als Einheit auftreten kann, lernen die Hörenden die Gebärden. Auch das ist eine Herausforderung. Jonathan Münzel singt im Chor und lernt die Gebärden dazu: "Mich fasziniert an dem Projekt sehr, dass musikalische und soziale Aspekte zusammenkommen. Ich habe ganz viel dazu gelernt, natürlich einzelne Gebärden, aber auch das Prinzip der Deutschen Gebärdensprache. Der inklusive Kontakt miteinander macht das Projekt für mich einzigartig."

Das inklusive Ensemble funktioniert aber nur, wenn genug Menschen mitmachen. Derzeit wächst die Zahl der Hörbeeinträchtigten, doch die der Singenden im Chor nimmt ab: "Es ist nicht mit einem normalen Chor zu vergleichen, bei dem es um das Musikalische geht. Das ist wichtig, steht aber nicht die ganze Zeit im Fokus. Es geht um die gemeinschaftliche Kultur. Darauf muss man sich einlassen."

Andrea Schmetztorff leitet das Gebärden-Ensemble des Chors. Bildrechte: Miamedia/mdr

Das ist für alle Beteiligten Arbeit. Andrea Schmetzstorff kommt oft in die Situation, dass sie zusätzlich zwischen den hörenden und den hörbehinderten Menschen übersetzen muss, weil das Geld für einen professionellen Dolmetscher fehlt: "Wenn wir als hörgeschädigte Menschen an einer Freizeitaktivität teilnehmen wollen, müssen wir einen Dolmetscher oder eine Dolmetscherin eigentlich aus dem persönlichen Budget beantragen. Aber das bekommt nicht jeder."

Erstaufführung im April 2022

Im April 2022 führte der Sing & Sign Chor zum ersten Mal seine inklusive Johannespassion auf. Zwei Jahre hat das Ensemble dafür gearbeitet. Möglich wurde es aber nur, weil der Chor für dieses eine Projekt Fördergelder bekam. Der junge Chor wird seine Pionierarbeit nur fortsetzen können, wenn er regelmäßige finanzielle Unterstützung bekommt. Dann könnte die inklusive Johannespassion künftig zum Kulturkalender Leipzigs gehören.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 12. Juni 2022 | 08:00 Uhr