30 Jahre Selbstbestimmt - #inklusion | Interview Martin Fromme: "Mehr Menschen mit Behinderung vor die Kamera!"
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Martin Fromme hat doppelt Grund zum Feiern: Das 30-jährige Jubiläum von "Selbstbestimmt" - und dass er die Sendung seit zehn Jahren moderiert. Mit seinem trockenen Ruhrpott-Humor macht er seit Jahren Comedy - ironisch, provokant und polarisierend. Der selbsternannte „einarmige Bandit“ erzählt im Interview, was er über Inklusion in den Medien denkt, wie er zum MDR kam und was er der Sendung für die nächsten 70 Jahre wünscht.
Von der Bühne zum Fernsehen
Martin, als Mann mit anderthalb Armen bist du nahezu der einzige Moderator mit Behinderung in Deutschland. Macht Dich das stolz? Oder wütend?
Einerseits irgendwie stolz, einer davon zu sein oder überhaupt der Einzige zu sein. Ich glaube, Kai Pflaume fehlt eine Fingerkuppe. Aber das zählt ja nicht. Wütend? Weiß ich jetzt nicht. Man gewöhnt sich dran. Man gewöhnt sich dran, dass Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit und besonders vor der Kamera nicht so gerne gesehen sind.
Ich habe mir auf die Fahnen geschrieben, die Sendung ein bisschen anders zu machen. Ein bisschen optimistischer, ein bisschen humoristischer.
Auch als Comedian und Autor befasst Du Dich mit Behinderung und Inklusion. Fühlst Du Dich als Künstler manchmal wie eine Art Zwangsexperte, der in einer Schublade steckt?
Als "berufsbehindert" würde ich mich nicht bezeichnen. Ich habe mich wissentlich darauf reduziert. Ich habe 28 Jahre Comedy im Duo gemacht. Das hatte relativ wenig mit der Thematik "Behinderung" zu tun. 2013 haben mein Bühnenpartner und ich uns beruflich getrennt und ich habe dann Kurzgeschichten geschrieben. Die habe ich an einen Verlag geschickt und der Verlag hat gesagt: ‚Finden wir geil, können wir aber nichts mit anfangen. Du musst ein Thema haben.‘ Und dann habe ich gesagt: Okay, das Thema ist "Behinderung". Dann habe ich ein Buch geschrieben und daraus ein Programm entwickelt.
Wie findet deine Familie, was Du beruflich machst?
Meine Frau ist schon von Anfang an dabei. Wir kennen uns seit 37 Jahren. Und meine Eltern fanden das auch gut. Die haben gesagt: 'Mach das! Mach das, was du willst'. Mein Vater hätte natürlich gerne gesehen, dass ich einen Beruf erlerne, der ganz klar zukunftssicher ist. Aber ich habe mich auch viel ausprobiert. Es war klar, dass ich mir sowieso in nichts hineinreden lasse.
Steckbrief Martin Fromme wird 1962 in Wanne-Eickel im Ruhrgebiet geboren. Mit Anfang 20 probiert er sich beruflich viel aus: Er eröffnet einen Plattenladen, arbeitet für Zeitungen oder in einer Werbeagentur. Seit 1986 steht er zusammen mit Dirk Sollonsch als Comedy-Duo "Der Telök" auf der Bühne. Es folgen viele weitere Programme und Fernsehauftritte - unter anderem als Gernot Graf in der TV-Comedyserie "Stromberg". Martin Fromme wird auch als Autor tätig und veröffentlicht 2012 das Buch "Besser Arm ab als arm dran". Seit 2011 ist er Moderator der MDR-Sendung "Selbstbestimmt". Frommes linker Arm ist aufgrund einer angeborenen Dysmelie verkürzt. Er lebt mit seiner Frau in Wanne-Eickel.
Du hast schon mit sehr namhaften Komikern zusammengearbeitet, z.B. mit Michael Kessler, Carolin Kebekus oder Christoph Maria Herbst. Fühlst Du Dich in der Branche als Exot oder als "normaler" Kollege?
Natürlich als normaler Kollege. Komplett. Also das Thema ist halt einfach Behinderung, aber sonst bin ich ein ganz normaler Kollege. Wir treffen uns alle sehr oft bei Mixed Shows. Mit Carolin Kebekus war das nur eine Sache für ihre Show. Aber das hat sehr viel Spaß gemacht. Und "Stromberg" natürlich, da hatte ich eine tolle Rolle.
Selbstbestimmt - Eine selbstbewusste Sendung
Seit zehn Jahren moderierst Du die Sendung "Selbstbestimmt" im MDR. Wie kam es eigentlich dazu?
Der MDR hat einen Bericht über mich als Komiker gemacht - das war 2010. Ein Jahr später war angesagt, dass die Moderation wechseln sollte und ich wurde gefragt, ob ich Interesse habe. Ich habe später ein Casting gemacht, das MDR-Team war zufrieden und wir sind gestartet. Ich habe mir auf die Fahnen geschrieben, die Sendung ein bisschen anders zu machen. Ein bisschen optimistischer, ein bisschen selbstbestimmter. Einfach auch ein bisschen humoristischer.
Für mich ist ein halber Arm eine Luxusbehinderung.
Zehn Jahre sind eine Leistung: Da gab es bestimmt besonders schöne, aber auch besonders schwere Momente?
Ich glaube, wir hatten keine schlechten Momente. Außer beim Wetter. Aber sonst einfach schöne Momente, lockere Momente. Wir haben viele Interviews geführt mit Menschen, die alle nett waren. Also da fällt mir jetzt keiner ein, der uns irgendwie an den Karren gefahren wäre. Nein, die Leute freuen sich, wenn wir kommen. Die Leute sind offen. Die Leute haben Spaß.
30 Jahre "Selbstbestimmt" sind auch der Weg hin zu mehr Vielfalt und Gleichberechtigung. Wenn Du dich zurück erinnerst: Was war vor 30 Jahren anders?
Nicht viel. Ich glaube, dass man heutzutage durch die sozialen Netzwerke öfter gemobbt wird. Da ist es einfacher, Menschen zu diskreditieren und sie fertig zu machen. In meiner Jugend hat man sich der Sache einfach gestellt. Aber es liegt natürlich auch an der Behinderung selbst. Für mich persönlich ist ein halber Arm eine Luxusbehinderung. Vor kurzem bin ich in einem Ort aufgetreten, wo relativ viele blinde Menschen waren. Und die sind dann nach dem Auftritt zu mir gekommen und haben gesagt: ‚Ach, das ist ja aber auch schwierig, so ein halber Arm‘. Da habe ich gesagt: ‚Hört mal Leute, ihr seid blind!‘. Da haben die gesagt: ‚Blind ist doch gar nichts, das ist doch Luxus. Ein halber Arm, das ist schlimm.‘ Und so verschiebt sich das halt.
Was bedeutet Dir die Sendung ganz persönlich?
Das ist natürlich eine tolle Geschichte. Und dadurch, dass wir viele Sachen auch mit Humor gemacht haben, ist das Team mit der Zeit viel lockerer geworden. Auch weil sie wussten: Ich bin jemand, mit dem man eigentlich alles machen kann. Für mich persönlich ist es einfach eine tolle Sendung. Eine optimistische und selbstbewusste Sendung. Und ich hoffe, dass das den Leuten auch so gefällt, wie ich das mache.
Warum gibt es keinen Tagesschau-Sprecher, der im Rollstuhl sitzt?
Die Medien müssen authentischer werden
30 Jahre "Selbstbestimmt" - Was wünschst Du der Sendung?
Dass sie noch weitere 30 Jahre hat oder am besten 70 Jahre. Dann kann 100-jähriges Jubiläum gefeiert werden. Und ich wünsche mir natürlich noch weitere zehn Jahre. Ich bin bereit, weiterzumachen, bis ich von der Bühne falle. Ich wünsche mir einfach, dass es immer weiter geht. "Weiter, immer weiter", wie Oliver Kahn sagen würde.
Hast du einen ganz besonderen Traum, für den unsere Gesellschaft noch nicht bereit ist?
Ja, natürlich: Mehr Menschen mit Behinderung, die vor die Kamera treten und sich ausprobieren können. Warum gibt es keinen Tagesschau-Sprecher, der im Rollstuhl sitzt? Oder eine Sprecherin. Da gibt es keine Beweggründe. Menschen im Rollstuhl können sich auch bewegen und sich in diesem Bereich hervortun. Es gibt hervorragende Leute, die dafür prädestiniert wären. Ich glaube, in Korea gibt es eine blinde Wetteransagerin. Also warum geht man nicht in diese authentische Geschichte rein?
Wenn jeder Zehnte der Bevölkerung behindert ist: Wo sind wir denn dann vor der Kamera? Da sind wir noch sehr weit von entfernt.
Bis zum nächsten Jubiläum kämpft Martin Fromme weiter dafür, dass unsere Medienlandschaft diverser wird – als Moderator für das MDR-Magazin "Selbstbestimmt", jeden zweiten Sonntag im Monat um 08.00 Uhr.