Werkstätten für Menschen mit BehinderungWie die Lebenshilfe Gera gegen die Corona-Krise kämpft
Die Corona-Beschränkungen haben auch die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und ihre Mitarbeiter getroffen. Jetzt wird dort wieder gearbeitet, aber unter anderen Bedingungen. "Selbstbestimmt" besuchte den Biohof Aga der Lebenshilfe Gera. 500 Menschen mit Behinderung beschäftigt das Unternehmen mit vier Betriebsstätten, das anders als in Sachsen ohne Corona-Hilfe gegen die Krise kämpfen muss.
In Aga bei Gera wächst Bio-Gemüse unterm Dach. Das von der Lebenshilfe Gera betriebene Gewächshaus gehört zu den größten in Deutschland. Als Mitte März das Betretungsverbot für die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen erlassen wurde, fehlten dem Gewächshaus plötzlich 30 erfahrene Mitarbeiter.
Kampf ums Überleben
Es ging um viele Tonnen Biogemüse, Arbeitsleiterin Kathrin Stürmer setzte alles daran, die wertvollen Kulturen zu retten. Bio-Anbau im Gewächshaus heißt, dass die Pflanzen auf Erde stehen, gegen Schädlinge wie Blattläuse werden winzige Nützlinge eingesetzt, Hummeln bestäuben die Blüten. Um all das nicht verkommen zu lassen, wurde Personal aus anderen Bereichen der Lebenshilfe; Kindergärtner, Therapeuten, deren reguläre Aufgaben gerade weggebrochen waren.
Schon um die Löhne der insgesamt 500 Angestellten mit Behinderung während des Betretungsverbotes weiter zahlen zu können, brauchte das Unternehmen Lebenshilfe Gera die Einnahmen aus dem Verkauf dringend. Auch auf Rücklagen musste zugegriffen werden, um den "nicht unerheblichen sechsstelligen Betrag pro Monat" aufbringen zu können, wie Geschäftsführer Jan Förster erklärt. Corona-Hilfen bekamen die Werkstätten für Menschen mit Behinderung nur in Sachsen, in anderen Bundesländern wie Thüringen oder Sachsen-Anhalt nicht. Nun sind die finanziellen Reserven Förster zufolge so gut wie aufgebraucht.
Wir werden diese Beträge, für die wir jetzt in Vorleistung gegangen sind, über das laufende Jahr nicht erwirtschaften können.
Jan Förster
Arbeiten in neuen Strukturen
In der Werkstatt hat sich mit der Wiedereröffnung einiges verändert. Abstand wird gehalten, und wo das nicht geht, sorgt ein Visier für Schutz. Die Lebenshilfe hat für jeden Mitarbeiter eins gekauft. Regelmäßig müssen die Hände gewaschen und desinfiziert werden. Wer den Arbeitsraum verlässt, setzt einen Mund-Nase-Schutz auf. Um die neuen Abstands-und Hygieneregeln umzusetzen, mussten die Arbeitsgruppen verkleinert und neu organisiert werden. Menschen, die zusammen wohnen, arbeiten nun auch zusammen. Noch dürfen nicht alle in die Werkstatt kommen, manche gehören zur Risikogruppe. Förster zufolge sind sie von vornherein ausgeschlossen: Da sei die Entscheidungshoheit über das eigene Leben eingeschränkt, dabei seien die meisten Mitarbeiter in der Lage, ihr Risiko selbst einzuschätzen. Ralf Schachtschneider arbeitet in der Montage-Abteilung, er ist froh, dass das Betretungsverbot für ihn aufgehoben ist.
Man ist wieder unter Leuten, hat soziale Kontakte. Das ist das Beste. Man hat das Gefühl, wieder gebraucht zu werden.
Ralf Schachtschneider
Die Lebenshilfe Gera versucht trotz der schwierigen Bedingungen, den gewohnten Werkstatt-Alltag aufrechtzuhalten. Alle sind froh, weitermachen zu können. Ob die Einrichtung wirtschaftlich bestehen kann, hängt davon ab, wie sich die Corona-Pandemie in nächster Zeit entwickelt. Denn wirtschaftlich kommt sie bereits jetzt an ihre Grenzen:
Wir befinden uns noch mitten in der Krise. Der Verarbeitungsprozess hat gerade erst begonnen. Den Spielraum, den wir hatten, haben wir jetzt durch das Betretungsverbot der letzten zwei Monate komplett aufgebraucht. Wir hoffen, dass wir keine zweite Welle erleben werden.
Jan Förster
Erstmal sind alle froh, überhaupt weitermachen zu können.
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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 14. Juni 2020 | 08:00 Uhr