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"Wir haben uns zerfleischt!" So beschreiben Julia und Danielo die Zeit nach der Geburt ihres Sohnes. Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl

MDR Fernsehen | 14.01./21.01.2024 + MediathekLiebe unter Druck – Wie Eltern mit einem behinderten Kind leben

14. Januar 2024, 08:00 Uhr

Paare, die ein behindertes Kind bekommen, stehen vor großen Herausforderungen. Sie müssen mit dem Schock, der Trauer und der Angst um ihr Kind umgehen. Sie müssen es schaffen, ihren Alltag rund um die Pflege und die medizinische Versorgung ihres Kindes zu organisieren. Wie bleibt man als Paar dabei nicht auf der Strecke? Und wie lassen sich Krisen überwinden? Tabea Hosche hat zwei Paare für ihren Film über längere Zeit begleitet.

Zwei Paare mit je zwei Kindern, das hört sich normal an. Doch sowohl bei Julia und ihrem Mann Danielo, als auch bei Bettina und Falco sieht der Alltag etwas anders aus. Denn beide Paare haben ein behindertes Kind. Die Herausforderungen, die das mit sich bringt, führt sie in eine tiefe Krise. Die Wege daraus sind unterschiedlich.

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Wenn die Nerven blank liegen

"Wir haben uns zerfleischt!" So beschreiben Julia und ihr Mann Danielo die Zeit nach der Geburt ihres Sohnes Arvid vor fünf Jahren. Er erleidet dabei einen Sauerstoffmangel und muss wiederbelebt werden. Sein Gehirn nimmt Schaden, bald steht fest, Arvid bleibt motorisch stark eingeschränkt. Das Leben des Paares steht auf dem Kopf. Vorher waren sie ein harmonisches Paar, jetzt streiten sie sich wegen Nichtigkeiten. Die Nerven liegen blank.

Wir waren überfordert mit allem. Wir hatten keinen, der uns geholfen hat. Wir standen komplett mit allem alleine da. Das war vom Stressfaktor einfach zuviel. Die Psyche hat da nicht mitgespielt. Statt uns gegenseitig Mut zuzusprechen, haben wir uns aufgefressen.

Danielo

Szenen aus dem Alltag von Danielo und Julia, von Bettina und Falco

Der Film begleitet Bettina, Falco und ihre Tochter Rosa in ihrem Alltag. Rosa ist aufgrund eines genetischen Defekts schwer beeinträchtigt und muss rund um die Uhr gepflegt werden. Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl
Weil Falco beruflich viel unterwegs ist, managt Bettina das Familienleben und übernimmt meist die Pflege von Rosa. Ein kräftezehrender Job: "Die andauernde Belastung macht mich einfach auch nicht zu einem liebenswerten Menschen. Ich bin so gereizt, weil ich das Gefühl habe, ich kann nichts mehr aufnehmen", sagt Bettina. Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl
Bettina hat sich von Falco getrennt. Die beiden leben jedoch noch zusammen. Bettina treibt die Aufteilung des gemeinsamen Haushalts voran und entwickelt einen Plan, wie die wöchentliche Verteilung der Kinder funktionieren könnte. Bekommt sie so den Freiraum, nach dem sie sich sehnt? Wie soll ein getrenntes Leben mit einem schwer beeinträchtigten Kind funktionieren? Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl
Auch Julias und Danielos Sohn Arvid muss intensiv gepflegt werden. Mutter Julia übernimmt einen großen Teil der Betreuung und Pflege von Arvid. Einen Tag in der Woche arbeitet sie in ihrem alten Beruf, was für sie ein wichtiger Ausgleich ist. Schwer wiegt die Verantwortung für ihren Sohn, den sie so gut wie möglich fördern will. Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl
Waren Julia und Danielo vor der Geburt von Arvid ein sehr harmonisches Paar, so liegen heute ihre Nerven oft blank. Sie sehen ein, dass sie alleine nicht aus der Krise herausfinden können und suchen sich Hilfe von außen. Dabei lernen sie, sich besser zur organisieren, sich bewusst Zeit als Paar zu nehmen und sich gemeinsam zu erholen. Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl
Doch beide merken auch: Es ist schwierig, dauerhaft Ruhe und Harmonie in den Familienalltag mit einem schwer beeinträchtigten Kind zu bekommen. Immer wieder bringen unvorhergesehene Ereignisse die hart erarbeitete Balance aus dem Gleichgewicht. Als Julia ihre Arbeit verliert und Danielo längere Zeit krank wird, sind alle guten Vorsätze dahin. Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl

Doch Danielo und Julia lernen, über schmerzhafte Gefühle zu sprechen. Sie stellen fest, dass sie nicht alles alleine hinbekommen müssen. Eine Mitarbeiterin der Lebenshilfe kommt regelmäßig und nimmt ihnen Arvid für ein paar Stunden ab. So gewinnen sie Zeit für sich und ihre jüngere Tochter, und auch Arvid genießt es.

Ich merke, wenn ich nicht mal was für mich tue, werde ich nicht lange für mein Kind da sein können. Und ich muss und will lange für mein Kind sorgen. Und ich möchte gesund dabei sein.

Julia

Wenn keine Zeit mehr für die Beziehung bleibt

Julia und Danielo Bildrechte: MDR/Kirsten Kofahl

Danielo und Julia kommen wieder zu einem Miteinander, sie bekommen ein weiteres Kind und heiraten. Doch zur Ruhe kommen sie nicht. Immer wieder bringen unvorhergesehene Ereignisse die hart erarbeitete Balance aus dem Gleichgewicht. Als Julia ihre Arbeit verliert und Danielo längere Zeit krank wird, gerät alles erneut ins Wanken: "Wir bauen ein Haus auf sandigem Boden. Es kann immer wieder was passieren, es kann immer wieder Rückschläge geben", sagt Danielo.

Bettina und Falco erfahren schon in der Schwangerschaft, dass ihr Kind einen Gendefekt hat. Die Hoffnung, dass dieser keine schwerwiegenden Beeinträchtigungen mit sich bringt, erfüllt sich nicht. Rosa ist mehrfach behindert. Bettina fühlt sich mit den täglichen Aufgaben oft allein gelassen und überlastet. Denn Falco ist beruflich viel unterwegs.

Das Paar streitet sich viel. Zeit, um die Beziehung zu pflegen, gibt es im Alltag kaum. Noch lebt die Familie zusammen, dann aber entscheidet sich Bettina, sich von Falco zu trennen. Er hingegen hat trotz der Schwierigkeiten geglaubt, dass die Familie zusammen einen neuen Weg einschlagen kann.

Wir haben nicht geschafft, auch mal zu sagen: 'Das war anstrengend.' Oder: 'Wir müssen jetzt nichts mehr machen. Aber wir sind ja für uns da.' - Das ist schade, dass sich das ausgeschlichen hat... Irgendwo ist die Liebe auf der Strecke geblieben. Weil Liebe würde schon vieles möglich machen.

Falco

Ich weiß nicht, ob Liebe über alles hinweg rettet, wenn der Alltag immer dazwischen schlägt... Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder irgendeine Beziehung haben werde. Dafür habe ich ja gar keinen Platz. Und darum geht es gerade auch nicht.

Bettina

Trennung als Chance?

Dann wird die Trennung konkret. Bettina treibt die Aufteilung des gemeinsamen Haushaltes in zwei eigenständige Einheiten voran. Sie entwickelt einen Plan, wie die wöchentlich wechselnde Betreuung der Kinder funktionieren könnte, ohne zu wissen, ob eine Person schaffen kann, was vorher für zwei schon zu viel war. Sie sehnt sich nach mehr Freiraum und glaubt so, auch wieder mehr Kraft zu gewinnen. Falco und Bettina hoffen, dass ihre Kinder die Trennung einfacher verkraften, wenn sie noch nah beieinander wohnen. Und dass diese Trennung vielleicht sogar eine Chance ist.

Wiederholung vom November 2020

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt - Die Reportage | 14. Januar 2024 | 08:00 Uhr