Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. FebruarZukunft für Emma und Clara: Wie SMA-Forschung helfen kann
Seltene Erkrankungen gehen meist auf Veränderungen von Genen zurück. Oft wirkt sich das kaum auf das Leben der Betroffenen aus, manchmal sind die Folgen erheblich, bisweilen sogar tödlich. Beispiel dafür ist die Spinale Muskelatrophie, kurz SMA, die häufigste genetisch bedingte Todesursache bei Säuglingen - bis vor kurzem.
Die medizinische Forschung ist gerade für seltene Erkrankungen komplex und teuer. Doch manchmal geschehen kleine Wunder. Zum Beispiel bei SMA, der spinalen Muskelatrophie: Seit kurzem gibt es jetzt eine Therapie gegen die tückische Krankheit. Doch welchen Patienten nutzen die lang ersehnten Medikamente, und wie wirken sie?
Spinale Muskelatrophie (SMA)
Emma hat spinale Muskelatrophie Typ 2. Rund einhundert Kinder werden hierzulande pro Jahr mit SMA geboren. Bei der spinalen Muskelatrophie verkümmern die Motoneuronen - die Nervenzellen des Rückenmarks. Wie schwerwiegend die Krankheit ist, hängt davon ab, wie stark verändert das kindliche Gen ist. Das Tückische: Anfangs scheint alles ganz normal.
Wir haben erst im achten Monat festgestellt, dass irgendwas nicht stimmte. Der Arzt sah, dass ihre Zunge so vibriert und dass die Muskulatur nicht ganz ausgebildet ist. Er hat den richtigen Test gemacht, auf SMA.
Mutter von Emma
Als Emmas Krankheit diagnostiziert wird, gibt es noch keine Therapie gegen die fortschreitende Erkrankung. Sie hat seit damals schon viel von ihrer ursprünglichen Bewegungsfähigkeit verloren. Doch ihre Lebensfreude lässt sie sich nicht nehmen. Emma ist inzwischen ein Teenager. Aktiv, selbstbewusst, eigenständig; so haben sie ihre Eltern erzogen, trotz SMA.
Hoffnung für Erkrankte durch RNA-Medikamente
Clara wird im August 2016 geboren, drei Jahre nach ihrem älteren Bruder Leo. Der entwickelt sich völlig normal und ist gesund. Auch bei Clara scheint das in den ersten Wochen so zu sein. Doch ihr Leben ist akut in Gefahr: Clara hat SMA Typ 1.
Das Ergebnis der genetischen Untersuchung erfährt Claras Mutter von ihrer Kinderärztin. Die hat von Studien über vollkommen neue Wirkstoffe erfahren, die zum ersten Mal überhaupt etwas bei SMA bewirken.
Clara bekommt ihre Chance: Als zweites Kind erhält sie in der Uniklinik Ulm die neuen, so genannten RNA-Medikamente im Rahmen eines Härtefallprogramms. Denn damals haben die Wirkstoffe in Deutschland noch keine Zulassung. Aufgrund der Erfolge in den USA war eine Studie abgebrochen worden, um SMA-Kindern schnell eine Behandlung zu ermöglichen.
Ja, wir werden jetzt nicht sagen, wir haben ein Medikament und alles ist gut, weil das gelogen wäre. Aber wir können zumindest was machen, wir können etwas anbieten und je jünger die Kinder sind, je kleiner die Kinder sind, je größer sind einfach die Erfolge damit.
Dr. Benedikt Winter
Endlich ein Durchbruch für alle Patienten? Die wissenschaftlichen Meinungen gehen auseinander. Valide Studienergebnisse gibt es bisher nur für Kleinkinder. Die jungen Patientinnen Clara und Emma und deren Eltern setzen große Hoffnungen in die neue Forschung. Auch Spezialisten wie Dr. Kurt Wollinsky sind zuversichtlich: "Wir erhoffen uns natürlich, dass durch die bessere Leistungsfähigkeit, vielleicht auch die Muskulatur wieder einen Zugewinn an Kraft und Funktion bekommt."
Seltene Erkrankungen: Vier Millionen Betroffene in Deutschland
"Selten sind viele!" Unter diesem Motto startet am 28. Februar der Tag der Seltenen Erkrankungen. Denn betroffen sind allein in Deutschland vier Millionen Menschen. Die meisten seltenen Erkrankungen beginnen im Kindesalter. Um so wichtiger ist es, früh zu helfen, Fehldiagnosen und Arzt-Odyseen zu vermeiden. Darauf verweist der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach und betont, fehlendes Wissen über eine Erkrankung selbst bei Fachleuten führe immer wieder dazu, dass medizinische Probleme nicht erkannt oder ernst genommen würden.
Vier Millionen Menschen in Deutschland sind nach Angaben der Bundesärztekammer (BÄK) von seltenen chronischen Erkrankungen betroffen. Oft gingen sie mit mit Invalidität oder verkürzter Lebenserwartung einher, erklärte Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt vor dem Rare Disease Day 2023 in Berlin. Die BÄK setze sich daher im "Nationalen Aktionsbündnis für Menschen mit Seltenen Erkrankungen" für eine Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und Lebenssituation der Betroffenen ein, so Reinhardt.
In Europa gilt eine Erkrankungen als "selten", wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Es soll unterschiedlichen Schätzungen zufolge zwischen 8.000 und 17.000 seltene Erkrankungen geben.
Vier von fünf seltenen Erkrankungen sind der BÄK zufolge genetisch bedingt oder mitbedingt und oft nicht heilbar. Beispiele sind Erkrankungen des zentralen Nervensystem wie die "amyotrophe Lateralsklerose" (ALS) oder die Erkrankung "Retinitis Pigmentosa", die durch Ablösung der Netzhaut zu einem Sehverlust führt.
Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und in Kooperation mit der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) erstellt die BÄK Informationen für Betroffene und Angehörige. Über Hilfs- und Beratungsangebote informiert der Versorgungsatlas. Für verstärkte Forschungsanstrengungen macht sich die Care for Rare-Foundation stark, die kritisiert Kinder mit seltenen Erkrankungen seien die Waisen der Medizin: Odysseen von Arzt zu Arzt und häufige Fehldiagnosen bestimmten ihr Leben. Den Fokus auf Seltene Erkrankungen bzw. die Betroffenen lenkt auch die Kunstaktion "Selten allein", die Ausstellung ist bis Mitte März auch auf den Hauptbahnhöfen in Erfurt und Dresden zu sehen.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt - Die Reportage | 26. Februar 2023 | 08:00 Uhr