Die Fans GRÖßENWAHN

11. Mai 2018, 13:06 Uhr

Dein Verein ist auf dem Weg nach oben. Neue Zuschauer finden den Weg ins Stadion. Dein Klub verändert sich. Wie gehst du als langjähriges Mitglied der aktiven Fanszene damit um?

Der letzte Akt war denkwürdig. Das vorerst letzte Heimspiel des 1. FC Magdeburg in Liga drei stand noch einmal beispielhaft für die große Stärke des Zweitliga-Aufsteigers: seine Fans. Alle voran: Block U. Verantwortliche, Trainer und Mannschaft bedankten sich nach dem Heimspielabschluss gegen den Chemnitzer FC (3:1) bei den Anhängern für ihre bedingungslose Unterstützung. Denn ohne sie wäre der Weg nach oben in den vergangenen drei Jahren nicht möglich gewesen.

Drei scheidende Aufstiegshelden durften sogar auf das Vorsängerpodest: Abwehrmann Felix Schiller, Torhüter Jan Glinker und Kapitän Marius Sowislo. Ein Ritterschlag. Und der nächste folgte: Ein Banner, auf dem geschrieben stand: "Heinz, wir haben da jemanden in Magdeburg auf dem Stuhl sitzen, auf den du dich verlassen kannst. Wir grüßen dich aus der zweiten Division." Die Fans verglichen Trainer Jens Härtel mit Vereinslegende Heinz Krügel – und Härtel verneigte sich.

Alles sah so natürlich harmonisch aus. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Denn tatsächlich stellte die Rückkehr in den Profifußball und die damit verbundenen Veränderungen das Verhältnis zwischen aktiver Fanszene und Verein auf die Probe – die bestanden wurde. Ein wichtiger Grund: Die Fanszene ist durch Matthias Niedung im Aufsichtsrat vertreten. Im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT spricht der 35-Jährige, der Block U als seine Heimat bezeichnet, über die Entwicklung der vergangenen drei Jahre und kommende Herausforderungen:

Herr Niedung, wie sind Sie eigentlich zum FCM gekommen?

Mein erstes Spiel war irgendwann am Ende der DDR-Zeit mit meinem Vater. Nach der Wende habe ich den Club dann eher aus der Ferne und zugegeben auch mit einer gehörigen Skepsis verfolgt. Über Umwege habe ich dann um die Jahrtausendwende herum Leute kennengelernt, die ihr Leben nach dem Club ausgerichtet haben. Die Freunde und Erinnerungen in und mit der Fanszene sind gewachsen und geblieben. Jahr für Jahr habe ich mich mehr in die Fanszene eingebracht und bin ein stolzer Teil eines damals noch überschaubaren Haufens geworden. Und je mehr ich Teil des Ganzen wurde, umso schöner waren die Erlebnisse und Freundschaften. Das genieße ich auch heute noch so oft ich kann. Block U und meine Mitstreiter sind meiner Fußballseele Heimat.

Sie sind 2015 Mitglied im Aufsichtsrat des FCM geworden. Welche Idee steckte dahinter?

Nach dem Drittliga-Aufstieg vor drei Jahren ist im Verein eine Dynamik entstanden, die so vermutlich nicht gewollt war. Die Orientierung nach oben ließ den Anschein entstehen, als würde der Verein die Fans und Mitglieder nicht mehr benötigen. Heute weiß ich, dass da einige Missverständnisse vorgelegen haben. Jedenfalls fasste die Fanszene den Entschluss, zu versuchen, einen Vertreter in den Aufsichtsrat zu bekommen, der die Kommunikation zwischen Fans und Mitgliedern auf der einen und den Vereinsgremien auf der anderen Seite sicherstellt.

"Miteinander für die Größten der Welt" – das war und ist das Motto. Ich denke, dass ich diese Rolle bislang gut ausgefüllt habe und immer im Sinne des ganzen Vereins agieren konnte. Ich wurde auch von den anderen Gremienmitgliedern immer als legitimer Teil betrachtet und eingebunden. Diese Akzeptanz hat mich auch persönlich reifen lassen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Die Orientierung nach oben ließ den Anschein entstehen, als würde der Verein die Fans und Mitglieder nicht mehr benötigen. Heute weiß ich, dass da einige Missverständnisse vorgelegen haben.

Wie funktioniert der Dialog zwischen aktiver Fanszene und Verein?

Die Drähte zwischen Verein und Fanszene sind mittlerweile kurz und von Vertrauen geprägt. Heute wird der Dialog gesucht. Beide Seiten reden miteinander und respektieren sich auf allen Ebenen. Diese Basis ist ein wesentlicher Bestandteil des Erfolgs.

Wie haben Sie sich in den vergangenen drei Jahren verändert?

Meine Art, mit den Dingen umzugehen, hat sich verändert – weniger emotional, dafür mehr den Dialog suchend. Ich bin gereift und das wird von den anderen Gremienmitgliedern wohlwollend aufgenommen. Trotzdem stehe ich nach wie vor für das ein, was ich für richtig halte und was mir für die Fans und Mitglieder wichtig erscheint.

Was zeichnet den Block U und seine Mitglieder aus?

Im Block U hat jeder sein Zuhause, der sich der Gemeinschaft unterordnet, ohne dabei seine Individualität zu verlieren. Block U macht aus tausenden verschiedenen Menschen ein "Wir" und gibt jedem die Möglichkeit, seine Stärken für unseren Verein einzubringen. Anders als in anderen gesellschaftlichen Prozessen bist du dort ein respektierter und geschätzter Teil des Ganzen – egal welcher Herkunft, welches sozialen Standes oder welcher Konfession. Diese Wertschätzung und dieses Miteinander sind die Basis für das Ergebnis: die Größten der Welt zu sein.

Hinzu kommt das Engagement vieler: ob Trommler, diejenigen, die die Choreos malen, die klugen Köpfe hinter den Kulissen, die Aktiven in den Fanclubs, die Fanhilfe oder Institutionen wie der Fanrat – alle geben mehr als einhundert Prozent für den 1. FC Magdeburg.

Bei uns bist du infiziert von der Atmosphäre, sobald du das Stadion betrittst. Wer danach immer noch ein Gläschen Wein und 90 Minuten Sitzen bevorzugt, wird bei uns nicht glücklich.

Welche Rolle spielen die Vorsänger?

Sie sind das Herz der Kurve. Sie nehmen Emotionen auf, reflektieren das Geschehen und geben dem Block und dem Stadion die nötigen Takte vor. Sie sind 90 Minuten die Dirigenten des Ensembles auf den Rängen und damit oft auch vom Geschehen auf dem Platz – bei Heim- und bei Auswärtsspielen. Die Magdeburger Vorsänger sind erstklassig.

Wie geht die aktive Fanszene mit dem bundesweiten FCM-Hype um?

Magdeburg ist spätestens seit dem Aufstieg in die dritte Liga gehyped. Aber in unserer Region ist trotzdem nicht das typische Eventpublikum anzutreffen. Wer Opern-Mentalität haben will, bekommt das seit Jahren in Wolfsburg oder Leipzig. Bei uns bist du infiziert von der Atmosphäre, sobald du das Stadion betritts. Wer danach immer noch ein Gläschen Wein und 90 Minuten Sitzen bevorzugt, wird bei uns nicht glücklich. Andere Vereine sind das Streichquartett des Fußballs. Der FCM ist die lebendige Rockband – und seine Fans der dazugehörige Verstärker.

Wie hat sich die Ultraszene des FCM in drei Jahren dritte Liga verändert?

Die Fanszene ist noch einmal über sich hinausgewachsen. Aus einem Stimmungsblock ist ein Stadion der Ekstase geworden. Wir haben es geschafft, die Stimmung aus Block U ins gesamte Stadion zu transportieren. Das ist so einmalig in Deutschland.

Was waren die einschneidendsten Ereignisse?

Es ist viel passiert: Der Wahnsinns-Aufstieg in Offenbach, die Ausgliederung, der Verlust unseres Freundes Hannes, das Hüpfverbot im heimischen Stadion und jetzt natürlich der Aufstieg in die zweite Liga. Diese Ereignisse waren alle auf ihre Art einschneidend. Da hat jeder seine eigene Wahrnehmung und Gewichtung. Für mich persönlich war der plötzlich Verlust eines Mitstreiters, der von Hannes, das einschneidenste Ereignis. Das hat nicht nur mich, sondern auch den Block U verändert.

Stichwort Hüpfverbot: Wie beurteilen Sie den freiwilligen Hüpfverzicht im Blick zurück?

Der Hüpfverzicht hat etwas großartiges und komisches zugleich. Wer kann schon behaupten, dass die eigenen Fans das Stadion beinahe in den Ruin gehüpft hätten? Viel wichtiger ist aber, die Gemeinsamkeit aller Beteiligten, mit dieser Situation umzugehen. Es gab viele Gespräche. Es wurde von beiden Seiten viel Vertrauen geschaffen und so eine Lösung gefunden. Die Disziplin der Fanszene in dieser Hinsicht ist bemerkenswert. Das war ein ganz wichtiges Thema für unseren Verein, denn durch die Gespräche wurden auf beiden Seiten viele Vorurteile abgebaut.

Welche Herausforderungen kommen in der zweiten Liga auf die Fanszene des FCM zu?

Die größte Herausforderung wird sein, dass das Stadion der Großartigkeit der Fanszene angepasst wird. Der Block U wird auf Grundlage der Bauabschnitte gespalten. Es bleibt abzuwarten, ob das der Stimmung schadet, was ich aber nicht glaube.

Das Hüpfverbot war ein ganz wichtiges Thema für unseren Verein. Durch die Gespräche wurden auf beiden Seiten Vorurteile abgebaut.

Worauf freuen Sie sich in der kommenden Saison am meisten?

Wir treffen auf die ein oder andere Fanszene, von der wir vor 15 Jahren nur hätten träumen können. Ich hoffe auf den HSV. Köln kommt definitiv. Dynamo Dresden, Union Berlin, St. Pauli – tausende neue Gästefans werden Zeugen unserer Einmaligkeit. Das hat schon was.

Wenn Sie einen Wunsch für die Zukunft des 1. FC Magdeburg und seiner Fanszene frei hätten: Welcher wäre das?

Ein internationales Pflichtspiel in Paris oder Madrid würde ich jedem Anhänger unseres großartigen Vereins gönnen. Aber da müssen wir wahrscheinlich noch ein bis zwei Jahre warten (lacht). Also ist mein bescheidener Wunsch für die nahe Zukunft, dass alle Beteiligten so bleiben, wie sie sind und weiterhin respektvoll und mit dem richtigen Feingefühl miteinander umgehen. Wenn wir das alle beherzigen, dann stehen dem 1. FC Magdeburg alle Türen offen – davon bin ich fest überzeugt.

PODCAST

Die Fanhilfe Magdeburg wurde 2015 gegründet und hat den Weg des 1. FC Magdeburg in Liga drei begleitet. Sie kümmert sich um die Rechte der Fans und vertritt deren Interessen. Im Rahmen von "1. FC Magdeburg: Der Weg nach oben" sprechen die Fanhilfe-Vertreter Christian Oberthür und Fabian Mußél erstmals ausführlich über ihre Arbeit und die Entwicklung der Fanszene.

Die Themen in der Übersicht:

Wie arbeitet die Fanhilfe? (ab Minute 4:50)

Was hat es mit den Datensammlungen über Fußballfans auf sich? (8:20)

Wie ist das Verhältnis zwischen aktiver Fanszene und Polizei? (14:20)

Wie hat sich die Fanszene beim FCM verändert? (18:20)

Wie gehen die Ultras mit Pyrotechnik um? (22:30)

Wie ist das Verhältnis zwischen aktiver Fanszene und Verein? (32:00)

Wie stehen die Fans zum Hüpfverbot und zur Sektorentrennung? (34:30)

Welche Stadionrichtlinien gelten beim FCM? (38:80)

Wie ist das Verhältnis zum Deutschen Fußball-Bund? (40:30)

Vor welchen Herausforderungen steht die Fanszene des FCM? (42:20)

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