
Fußball | Regionalliga Abseits, Tor, Elfmeter? Schiedsrichter erklären strittige Szenen
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21. Februar 2023, 14:37 Uhr
Sechs Szenen aus der 3. Liga und der Regionalliga: Sechs Einschätzungen von Ex-Referees. Fehlentscheidung oder nicht? DFB-Schiedsrichterbeobachter Harald Sather und Ex-FIFA-Referee Bernd Heynemann erklären.
Inhalt des Artikels:
Nicht nur in der 1. und 2. Bundesliga sorgen Schiedsrichter-Entscheidungen jedes Wochenende für heftige Diskussionen. Auch in der 3. Liga und der Regionalliga erhitzen Tore oder nicht gegebene Tore immer wieder die Emotionen der Fans und Spieler. Wir haben DFB-Schiedsrichterbeobachter Harald Sather und Ex-FIFA-Referee Bernd Heynemann einige der strittigen Szenen vorgelegt. Beide haben zudem klare Vorstellungen, wie sich Schiedsrichter verbessern, sowie Entscheidungen und Fußball-Regeln verbessern könnten.
Szene 1: Regionalliga, 15. Februar, Halberstadt vs. Chemie Leipzig – Elfmeter vor 1:1?
Leipzigs Janik Mäder geht nach Kontakt mit Halberstadts Nico Lübke zu Boden (33.). Referee Hannes Ventzke entscheidet auf Foul und Strafstoß, Manasse Eshele verwandelt den Elfmeter zum 1:1 (33.), später trifft Denis Jäpel zum 2:1-Sieg (70.).
Harald Sather beurteilt die Situation so: Keine Fehlentscheidung.
Die Erklärung: "Der Kontakt ist vorhanden, damit kann man die Entscheidung vertreten. Die bessere Entscheidung wäre weiterspielen gewesen. Entscheidend war, dass der Kontakt vorhanden war. Man muss nicht glücklich sein mit der Entscheidung, aber man kann nicht sagen, das war falsch."
Szene 2: 3. Liga, 18. Februar, FSV Zwickau vs. Elversberg – Foul vor 0:1?
In der Entstehung der Elversberger 1:0-Führung durch Valdrin Mustafa (77.) geht der Zwickauer Dominic Baumann nach einem Zweikampf vor dem Elversberger Strafraum zu Boden. Die Zwickauer reklamieren ein Umreißen an der Schulter des Elversbergers.
Bernd Heynemann schätzt ein: Keine Fehlentscheidung
Die Erklärung: "Fußball ist Kontaktsport, da wird es immer Kontakt geben. Nur, weil es einen Kontakt gab, muss es keine Fehlentscheidung sein. Wenn einer umgetreten wird und das Bein durchgestreckt war, dann ist es ein Foul. Sonst ist es schwer, im Foulbereich von klaren Fehlentscheidungen zu sprechen."
Szene 3: Regionalliga, 18. Februar, Carl Zeiss Jena vs. BFC Dynamo – Elfmeter vor 2:0?
Jenas Vasileios Dedidis liefert sich einen harten Zweikampf im Strafraum mit Chris Reher. Dedidis trifft Reher, der den Jenaer daraufhin umstößt. Referee Tim Kohnert entscheidet auf Foulstrafstoß, den Pasqual Verkamp zur 2:0-Führung verwandelt.
Harald Sather hat die Entscheidung so gesehen: Fehlentscheidung
Die Erklärung: "Der Schiedsrichter hätte das erste Stoßen pfeifen müssen. Das hätte er nicht übersehen dürfen. Das zweite Stoßen ist schon Strafstoß. Die richtige Entscheidung wäre aber gewesen, das erste Schubsen vom Jenaer zu pfeifen. Danach stößt erst der Berliner. Eine richtige Entscheidung wäre direkter Freistoß für die Abwehr gewesen."
Szene 4: Regionalliga, 17. Februar, Berliner AK vs. Rot-Weiß Erfurt – Foulspiel vor 0:2?
Erfurts Romario Hajrulla setzt bei einem Angriff im Strafraum energisch nach und trifft BAK-Torhüter Luis Maria Zwick mit dem Bein am Kopf. Schiedsrichter Niclas Rose entscheidet auf Weiterspielen, Sidney Lopes Cabral trifft ins leere Tor zum 0:2.
Harald Sather sagt: Fehlentscheidung
Die Erklärung: "Das wurde aus meiner Sicht klar falsch entschieden. Der Tormann hatte die Hand auf dem Ball, damit hätte es Freistoß für den Tormann geben müssen."
Szenen 5/6: Regionalliga, 18. Februar, Carl Zeiss Jena vs. BFC Dynamo – Abseitsentscheidung?
In der Partie sorgten auch zwei Abseitsentscheidungen für Gesprächsstoff. Erst traf Pasqual Verkamp nach Pass von Vasileios Deididis zum vermeintlichen 3:0 (56.), dann bejubelte Lukas Lämmel nach Zuspiel von Maximilian Krauß das 3:0 (58.) – beide Male pfiff Referee Tim Kohnert wegen Abseits ab.
Harald Sather bewertet: Zweimal Fehlentscheidung
Die Erklärung: Sather, der in der Partie als Schiedsrichterbeobachter eingesetzt war, erklärt den Abseitspfiff beim Verkamp-Tor so: "Das war ein Blackout des Schiedsrichters. Er hatte auf dem Ohr 'Abseits, Abseits' gehört, aber das war nicht so. Er hat sogar noch zum Assistenten geschaut, der die Fahne nicht oben hatte. Und dann hat er instinktiv gepfiffen." Statt zu pfeifen hätte Kohnert laut Sather "warten müssen, bis der Ball im Tor ist, dann hätten sie immer noch kommunizieren können."
Vor dem abgepfiffenen Tor von Lämmel schätzte Schiedsrichter-Assistent Lars Albert die Situation falsch ein. Sather erklärt: "Der Fehler lag beim Assistenten, der die Fahne gehoben hatte. Das kann man dem Schiedsrichter nicht mehr ankreiden. Es war aber eine komplexe Situation, ein Jenaer stand im Abseits, griff aber nicht ein. Der Jenaer, der den Ball bekommen hat, stand nicht im Abseits."
Sind die Schiedsrichter schlechter geworden?
Sechs Szenen aus gefühlt mehreren Dutzend, die jedes Wochenende die Gemüter der Fans erhitzen – von der Bundesliga bis in den Amateurfußball. Sind die Leistungen der Schiedsrichter im Vergleich zu vergangenen Jahren schlechter geworden? Nein, meinen die früheren Bundesliga-Schiedsrichter Sather und Heynemann einmütig. "Die Qualität an der Basis ist nicht schlechter geworden. Aber es fallen immer mehr Schiedsrichter aus. Wir haben in den vergangenen zehn, 15 Jahren etwa 50 Prozent der Schiedsrichter verloren."
Heynemann: "Fußball war mal einfach"
Heynemann begründet die zunehmenden Diskussionen um Schiedsrichter-Entscheidungen auch mit Änderungen am Regelwerk. "Fußball war einmal einfach, wenn die Hand zum Ball geht, war es Handspiel." Zu viele Zusatzregeln hätten den Fußball zu stark verkompliziert, sagt der CDU-Politiker, der ein Beispiel heranführt: "Das deutsche Steuergesetz hat zehn oder zwölf Seiten aber 5.000 Sonderbestimmungen. Genauso ist es beim Fußball, die ganzen Sonder- und Ausnahmeregeln machen ihn verrückt."
VAR "eine Strafraum-Polizei"
Besonders stark kritisiert der 68-Jährige dabei den Video Assistant Referee (VAR), der in der 1. und 2. Bundesliga eingesetzt wird: "Was wir aus dem Video-Assistenten gemacht haben, ist eine Strafraum-Polizei. Die 450. Zeitlupe aus dem Zeppelin – das kann es doch nicht sein", schimpft Heynemann und wünscht sich: "Es gibt nur einen Referee, der steht auf dem Platz. Der andere ist der Assistent, das sollte er auch bleiben. Er soll sich nur bei groben Fehlentscheidungen melden und nicht, wenn jemand um drei Millimeter mit der Hacke im Abseits steht."
Henyemann für Video-Assistent in der 3. Liga
Dennoch hofft der Ex-FIFA-Referee auf Video-Unterstützung auch in der 3. Liga: "Es wäre sinnvoll, die Video-Geschichte zu installieren. Das wird aber ein richtiger Kostenfaktor", sagt der Magdeburger, der aber noch einmal als klare Richtlinie "grobe Fehlentscheidungen" betont. "Im Zweikampf kann es nie grobe Fehlentscheidungen geben, es sei denn, ein Spieler reißt einen anderen mit beiden Händen um."
Sather: "Junge Schiedsrichter in der Regionalliga"
Für die Regionalliga sind Video-Assistenten vermutlich auch auf längere Zeit kein realistisches Feature. Für Fehlentscheidungen in der Regionalliga hat Sather, der für den DFB und den Nordostdeutschen Fußballverband (NOFV) Schiedsrichter-Beobachter ist und im Sächsischen Fußballverband zudem Schiedsrichter-Obmann, aber eine plausible Erklärung: Das meist junge Alter der Referees. "Um perspektivisch nach oben zu kommen, muss man ganz jung in der Oberliga und Regionalliga anfangen", sagt der Fußballfunktionär und verweist auf Richard Hempel.
Der Sachse pfeift aktuell in der 3. Liga und könnte bald in die 2. Bundesliga aufsteigen. "Er hat mit 16 Oberliga gepfiffen. Er ist jetzt 24 und könnte den Sprung schaffen. Wir haben viele junge Schiedsrichter, die in der Regionalliga Erfahrung sammeln müssen."
Nagelsmann-Aussagen "nicht verzeihbar"
Diese jungen Referees müssten bei aller Emotionalität geschützt werden, da sind sich Sather und Heynemann einig. "Ich kann verstehen, dass die um jeden Punkt kämpfen. Ich würde mir mehr Gelassenheit auf den Bänken wünschen", sagt Sather und verweist dabei auch auf Vorbild-Funktion aus der Bundesliga. Dort hatte FC-Bayern-Trainer Julian Nagelsmann Referee Tobias Welz als "weichgespültes Pack" bezeichnet und damit eine heftige Diskussion ausgelöst. "Was Nagelsmann gesagt hat, ist nicht verzeihbar. Man muss sich in die Augen schauen können."
Heynemann: "Eltern wie mit Messern"
Für Heynemann beginnt das schon bei den ganz Kleinen. "Wenn die Bambinis spielen und die Eltern wie mit Messern auf Schiedsrichter losgehen. Das beeinflusst natürlich auch eine Schiedsrichterentwicklung und die Frage, ob man weitermachen möchte oder ob man sagt: Das habe ich gar nicht nötig, mich da beschimpfen zu lassen."
Positiv-Beispiel aus der Oberliga
Doch es gibt auch die Positiv-Beispiele. Laut Sather sind beispielsweise nach der von Jena gewonnenen Partie gegen den BFC Jenaer Spieler auf Kohnert zugegangen und hätten gesagt: "Das kann schonmal passieren." Und in einem NOFV-internen Schiedsrichterportal werden nicht nur Negativ-Beispiele sondern auch Positiv-Beispiele gesammelt. Und da wurde am vergangenen Wochenende Ole Donner für seine Spielführung in einer Partie der NOFV Oberliga Nord besonders gelobt. Der 17-Jährige von Lok Rostock pfiff das Spiel Neuruppin gegen Eintracht 1949. "Es gab zweimal Foulspiel, er hat zweimal klasse Vorteil gegeben und es fällt das 2:2 daraus", lobt Sather.
MikeS vor 41 Wochen
So so Herr Heynemann, das deutsche Steuergesetz hat also 10 oder 12 Seiten ....
Wir kann man nur so einen Stuß ablassen. Man merkt es, ihre Zeit ist lange vorbei.
Frank01 vor 41 Wochen
Habe selten so gelacht....
Die Interpretationen eines Fouls
in Szene 1 und 2 sind wie Tag und Nacht oder Feuer und Wasser.
Während in Szene 1 ein Foul ein Foul ist, weil ein Kontakt vorliegt, ist in Szene 2 ein Foul kein Foul, weil Fußball ein Kontaktsport ist. Die schwammigen Erklärungen kann jeder nachlesen. In der Causa Baumann ist Herr Heynemann der Meinung, dass nur ein Foul vorliegt, wenn der Spieler mit gestreckten Bein niedergetreten wird. Nach der Sichtweise dürfte dann wohl auch ein taktisches Foul was durch Halten oder Trikotzupfen nicht mehr strafbar sein, da es ja unter Kontaktsport laufen müsste.
Überspitzt gesagt könnte man meinen, alles unter einer Blutgrätsche ist normaler Männersport. Lieber MDR, stellt dieses Format wieder ein. Ein besseres Fußballverständnis werden wir durch solche Interpretationen nicht erreichen....