Marathon-Legende Waldemar Cierpinski wird 70: "Wenn dir das Leben durch den Kopf läuft"

05. August 2020, 14:41 Uhr

Doppel-Olympiasieger Waldemar Cierpinski feiert am Montag seinen 70. Geburtstag. Die Gratulanten und Medien wollen vor allem über seine Erfolge von einst sprechen. Doch der Marathonmann schaut lieber nach vorne.

Waldemar Cierpinski und seine Frau Maritta Cierpinski in der Hallenser Innenstadt.
Waldemar Cierpinski und seine Frau Maritta Cierpinski Bildrechte: MDR/Jens Schlüter

Zurückschauen ist nicht die Sache von Waldemar Cierpinski. Der frühere Marathonläufer, der bei den Olympischen Spielen in Montreal (1976) und Moskau (1980) Gold gewann, konzentriert sich auch an seinem 70. Geburtstag lieber auf das, was vor ihm liegt. Noch immer arbeitet er ein paar Stunden in der Woche in seinem Sportartikelgeschäft im Zentrum von Halle. Cierpinskis Sohn Falk führt zwar mittlerweile das Geschäft. Durch Corona sind die Herausforderungen für beide in den vergangenen Monaten jedoch nicht kleiner geworden.

Auch an der Vorbereitung des Mitteldeutschen Marathons oder des Himmelswege-Laufs – zwei Herzensprojekte, die Cierpinski mit aufgebaut hat – ist er immer noch beteiligt. Und neben der Zeit mit den Enkeln haben auch die Trainingseinheiten und Fußballspiele mit den Alten Herren des FSV 67 Halle ihren festen Platz im Terminkalender der Sportlegende.

Kommentar macht Cierpinski zur Legende

Trotzdem freut sich Cierpinski über alle, die sich dieser Tage mit ihm an seine großen Erfolge erinnern wollen. Zumal sich die beiden Olympiasiege erst in den vergangenen Tagen jährten. Dass sich nach wie vor so viele für Cierpinski interessieren, liegt auch am legendären Fernseh-Kommentar zu seinem zweiten Sieg, ist sich der Jubilar sicher. "Das ist natürlich ein Verdienst meines Freundes Heinz-Florian Oertel", sagt Cierpinski.

Liebe Zuschauer zu Hause, das ist ein einmaliger Triumph! Liebe junge Väter vielleicht, oder angehende, haben Sie Mut! Nennen Sie Ihre Neuankömmlinge des heutigen Tages ruhig Waldemar!

Heinz-Florian Oertel

Mit diesen euphorischen Worten hatte Oertel die letzten Meter des Hallensers in Moskau bedacht. Noch heute wird Cierpinksi mehrmals pro Woche darauf angesprochen – und genießt das durchaus.

Abebe Bikila ist das große Vorbild

Schon als Jugendlicher hatte Waldemar Cierpinski nur ein Ziel. Er wollte Olympiasieger werden. Inspiriert dazu hat ihn der äthiopische Marathonläufer Abebe Bikila, der 1960 und 64 ebenfalls zwei Mal Olympiagold gewann. Und obwohl der junge Waldemar in Schulsportwettkämpfen durchaus erfolgreich war, verstand er bald, dass es einiger Anstrengungen bedarf, um sich seinen Traum tatsächlich zu erfüllen.

"Es traf es mich wie ein Blitz, dass ich nicht Olympiasieger werde, wenn ich im Bett sitze. Da habe ich alle Urkunden weggeworfen und mir gesagt, ich werde nur meine Olympiamedaille und die Urkunde behalten. Dann habe ich mich auf den Weg gemacht und bin losgelaufen."  Teilweise sei er viel zu weit und ohne Frühstück gelaufen – zum Missfallen seiner Mutter. Insgesamt absolvierte er bis heute etwa 250.000 Kilometer im Dauerlauf. Und erzählt lachend: "Ein bisschen verrückt muss man eben sein, um Olympiasieger zu werden."

Olympia 76: "Mein emotionalster Sieg"

1976 ging der Traum dann tatsächlich in Erfüllung. Cierpinski siegte beim Olympischen Marathon in Montreal. Es war sein emotionalster Erfolg, sagt er heute. Auch weil der Sieg überraschend kam: "Das Schöne am ersten Sieg ist, dass sich damit ein Kindheitswunsch erfüllt hat. Da ist mir in wenigen Augenblicken das kurze Leben, das ich bis dahin hatte, durch den Kopf gelaufen. Deswegen war der Überraschungssieg 1976 aus emotionaler Sicht sicherlich der schönste." Zugleich sei er mit dem Triumph erwachsen geworden, sagt der Marathonmann.

Schon mit diesem Erfolg ging eine ungeahnte Popularität einher. Zu verdanken hat Cierpinski die aber wohl den Fußballern. Denn die DDR-Nationalmannschaft gewann an jenem 31. Juli ebenfalls Olympiagold. "Wegen der Zeitverschiebung wurde das Finale in der DDR erst nach Mitternacht übertragen. Wegen des Spiels sind vermutlich viele Zuschauer dran geblieben. Und so haben sie dann meinen Marathon gesehen", erzählt Cierpinski. In der Folge habe er dann Wäschekörbe voll Fanpost bekommen, erzählt er grinsend. "Da habe ich später mit Dixie Dörner von Dynamo Dresden noch mal drüber gesprochen und mich bedankt."

Erfolg ist nur ein Moment

Doch sich lange im eigenen Erfolg sonnen und zurückzublicken, war schon damals nicht die Sache von Waldemar Cierpinski.

Wenn man etwas erreicht hat im Sport und noch etwas erreichen will, dann muss man am nächsten Tag wieder bei Null anfangen. Und sich dann wieder alles hart erarbeiten. Erfolg im Sport ist nur ein Moment.

Waldemar Cierpinski

Nachdem ein paar Sektflaschen auf den Olympiasieg geleert waren, begann auch Cierpinski direkt wieder, am nächsten Triumph zu arbeiten. Bis zu vier Mal täglich quälte er sich im Training, um in Moskau eine weitere Medaille zu gewinnen. Dabei lernte er, dass es als Erwachsener viel schwieriger ist, sich etwas neu zu erarbeiten. "Weil man nicht mehr einfach mitlaufen kann. In Moskau galt ich dann als Favorit und musste in jeder Situation den schweren Kampf mit mir aufnehmen."

Der Plan ging auf. Cierpinski siegte erneut im Olympischen Marathon. Und der zweite Erfolg war für ihn nicht weniger besonders als der erste. "Wenn man dann als Erster über die Ziellinie läuft, bleiben die Uhren für einen kurzen Moment stehen. Weil ich da gespürt habe, dass ich etwas Besonderes erreicht habe. Nicht nur, weil ich mit Abebe Bikila bei den Olympiasiegen gleichgezogen war. Sondern, weil ich für mich selbst etwas Großartiges erarbeitet habe."

Waldemar Cierpinski
Waldemar Cierpinski gewann 1976 in Montreal seine erste Goldmedaille. Bildrechte: imago images/WEREK

Boykott lässt Triple-Traum platzen

Bis heute sind Bikila und Cierpinski die einzigen Männer, die zwei Mal nacheinander den Olympischen Marathon gewannen. Und wer weiß, vielleicht wäre Cierpinski, der 1950 in Neugattersleben geboren wurde, heute sogar alleiniger Rekordhalter. Doch das Triple blieb ihm verwehrt, weil die DDR die Spiele 1984 in Los Angeles boykottierte. Seine Karriere war damit beendet. Als Cierpinski die Wettkämpfe anschauen wollte, weinte er vor dem Fernseher.

Umwerfen ließ er sich davon jedoch nicht. Der Blick ging, wie so oft, nach vorne. Nach der Wiedervereinigung gründete er 1990 sein Sportgeschäft. Später engagierte er sich bei Laufveranstaltungen in Mitteldeutschland. "Man sollte, was man auf diesem Weg gelernt hat, mitnehmen in das Neue", ist seine Lebenseinstellung. "Aber natürlich kommen immer mal die Situationen, in denen man sich erinnert. Zu Jubiläen etwa. Dann genieße ich das einen kleinen Moment", sagt Waldemar Cierpinski. So wie an diesem Montag, seinem 70. Geburtstag.

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Quelle: MDR/olei

Dieses Thema im Programm: Damals war's | 02. August 2020 | 20:15 Uhr