Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht an einem Redepult.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Sarow 2022 Bildrechte: picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Ostdeutsches Wirtschaftsforum 2022 Osteliten-Studie beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum diskutiert

14. Juni 2022, 21:49 Uhr

Nach wie vor sind die Chefsesseln der Republik sind traditionell von Westdeutschen besetzt, auch in den neuen Bundesländern. Ein Anwachsen Ostdeutscher in Führungspositionen ist bisher ausgeblieben. Das kritisierte auch Bundeswirtschaftsminister Habeck auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum. Dort wurden heute die Ergebnisse der Datenerhebung von MDR und Universität Leipzig diskutiert.

Ostdeutsche Karrierewege

Jens Malchewski hatte wahrlich keine guten Startbedingungen für eine große Karriere: Aufgewachsen als Arbeiterkind in einer brandenburgischen Kleinstadt, in einer Familie ohne akademischen Hintergrund. Umso beachtlicher ist sein beruflicher Werdegang: Von Lübben im Spreewald arbeitete er sich an die Spitze eines großen Touristikunternehmens hoch. Nach Studienstationen im Westen und verschiedenen Arbeitserfahrungen bei internationalen Unternehmen verdient der 32-Jährige heute als führender Produktmanager in Boston/USA sein Geld.

Malchewski weiß, was es bedeutet, ohne Netzwerke ins Berufsleben zu starten – damit ergeht es ihm wie vielen anderen jungen Ostdeutschen auch. Und er will vor allem, dass die nächste Generation Ostdeutscher auch in der Heimat gute Karrierechancen hat und eigene Netzwerke bildet. Ein Grund, warum es bei diesen Punkten bis heute hapert, sind für Malchewski fehlende Erfahrungswerte der Elterngeneration: "Oft fehlt zu Hause und auch im Umfeld das Wissen, wie man richtig an das Studium rangeht, wie wichtig Praktika sind, wie man sich auf Stellen bewirbt, dass Auslandsaufenthalte wichtig sind."

Weiterhin kaum Ostdeutsche in Führungspositionen

Dass es in Ostdeutschland geborene oder aufgewachsene Menschen im Vergleich zu Westdeutschen tatsächlich deutlich schwerer haben, eine große Karriere zu starten, die sie einmal in eine Spitzenposition befördert, zeigt eine aktuelle Studie der Universität Leipzig in Kooperation mit dem MDR. So liegt der Anteil Ostdeutscher in bundesdeutschen Eliten bei 3,5 Prozent, obwohl ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung bei etwa 17 Prozent liegt. Selbst in den neuen Bundesländern ist nur in etwa jede vierte Elitenposition von einem Ostdeutschen besetzt.

Im Vergleich zur letzten Erhebung 2016 sind zwar insgesamt leichte Anstiege zu verzeichnen, doch stellenweise geht die Anteil auch stark zurück. Auch vor diesem Hintergrund forderte Bundeskanzler Olaf Scholz jüngst ein stärkeres Bewusstsein für diese Unterrepräsentanz: "Wenn wir nicht darüber reden, dann wird sich gar nichts ändern", sagt Scholz am Sonntag auf Ostdeutschen Wirtschaftsforum.

Der Osten braucht eigene Netzwerke

Besonders eklatant zeigt sich diese Entwicklung zum Beispiel in den Berufsfeldern Politik, Wirtschaft und Medien – allesamt Bereiche, in denen gute Kontakte und Karrierenetzwerke besonders wichtig für einen beruflichen Aufstieg sind. Die Studienergebnisse stützen somit auch die These, dass Ostdeutsche in den gesamtdeutschen Netzwerken kaum vertreten sind und sich Eliten immer wieder vor allem aus den eigenen Reihen rekrutieren. Der Ostbeauftrage der Bundesregierung, Carsten Schneider, spricht in diesem Zusammenhang gar von "Diskriminierung", die dem gesamten Land schade.

Holger Lengfeld ist Soziologe an der Uni Leipzig und beschäftigt sich in seiner Arbeit auch mit möglichen Gründen für die Unterrepräsentanz von Ostdeutschen in Führungspositionen. "Für diejenigen, die bereits in der DDR eine Berufsausbildung gemacht oder eine akademische Qualifikation erlangt haben, mag die These der Diskriminierung zutreffen", sagt der 52-jährige im Gespräch mit dem MDR. Ihm zufolge hätten diese Ostdeutschen keinen Zugang zu den Netzwerken der westdeutschen Eliten gehabt, die nach der Wende auf den Chefsesseln im Osten Platz nahmen. "Der Elitenaustausch, den es nach der Wende gab, hat den Anteil Ostdeutscher in vielen Berufsfeldern fast auf null gesetzt", meint der Soziologe.

Die Auswirkungen dieses Elitenaustausches seien auch heute noch zu spüren – für Lengfeld der Hauptgrund für die andauernde Unterrepräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen: "Viele Westdeutsche, die in den 90er-Jahren in den Osten kamen, waren verhältnismäßig jung, also so um die 40 oder auch noch jünger. Sie hatten in der Regel eine akademische Karriere hinter sich und waren nun auf dem Sprung in Führungspositionen, hätten für diesen Karriereschritt im Westen jedoch noch länger gebraucht. Ein größerer Austausch konnte nicht passieren, da die Spitzenpositionen erstmal über einen langen Zeitraum blockiert waren und zum Teil immer noch sind."

Soziologe erwartet Generationenwechsel "in den nächsten 15 Jahren"

Der Soziologe ist sich sicher, dass sich die Verhältnisse jedoch auf lange Sicht ändern werden: "In vielen Bereichen steht in den nächsten 15 Jahren ein Generationenwechsel an. Dann werden die Karten neu gemischt," prognostiziert er. Die Vermutung, dass Netzwerke für Ostdeutsche auch heute noch auf Grund ihrer Herkunft geschlossen sind, hält Lengfeld nicht für plausibel. Denn für Menschen, die weder in DDR aufgewachsen noch dort ihre Berufsausbildung absolviert haben, träfen viele Diskriminierungsgründe nicht mehr zu. Seine These: "Je länger die Wiedervereinigung zurückliegt, desto geringer wird der Ausschluss bestimmter Menschen auf Grund ihrer regionalen Herkunft sein."

Für viele junge Ostdeutsche mit Karriereambitionen dürfte diese Prognose jedoch ein schwacher Trost sein. Zu den ernüchternden Zahlen von Ostdeutschen in Führungspositionen kommt zudem, dass auch die Wirtschaftskraft des Ostens noch immer weit hinter der des Westens liegt. So gibt es kein einziges Dax-Unternehmen, dessen Firmensitz in den neuen Bundesländern angesiedelt ist. Auch Malchewski will nicht warten, bis sich diese Unterrepräsentanz rauswächst. Um sein Wissen und seine Erfahrungen weiterzugeben, hat er gemeinsam mit einigen Studienfreunden den Legatum e.V. gegründet. Der Verein vermittelt erfahrenen Mentoren an in den neuen Bundesländern sozialisierte Schüler, Studenten und Berufseinsteiger. Malchewski und seine Mitstreiter haben so ein stetig wachsendes, ostdeutsches Karrierenetzwerk geschaffen.

Ihre Vision ist ein "vereintes Deutschland, ohne strukturelle Unterschiede", schreiben sie auf ihrer Website. Das Netzwerk könnte ein kleiner Schritt auf diesem langen Weg sein.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der lange Weg nach oben | 22. Juni 2022 | 20:15 Uhr