Vor Influenza-Saison Corona treibt Nachfrage nach Grippe-Impfungen in Thüringen an

16. Oktober 2020, 19:15 Uhr

Es klemmt im Deutschen Gesundheitssystem. Gerade erst haben CDU-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) die Menschen dazu aufgerufen, sich gegen Grippeviren impfen zu lassen, schon gibt es einen Engpass. Patienten werden von ihren Ärzten fortgeschickt, weil kein Impfstoff mehr da ist. Trotzdem besteht kein Grund zur Sorge.

"Gestern war Tag eins ohne Grippe-Impfstoff", sagt etwa Allgemeinmediziner Dr. Ulf Zitterbart, der in seiner Paxis in Kranichfeld im Weimarer Land rund 3.000 Patienten betreut, am Freitag. "Das war nicht besonders schön, denn viele meiner Patienten sind schon älter, haben teilweise lange Wege und waren enttäuscht, weil sie ohne Impfung wieder nach Hause gehen mussten." Mitte September hatte Zitterbart begonnen, seine Patienten zu impfen. Knapp einen Monat später waren alle 1.200 gelieferten Impfdosen aufgebraucht. Von ähnlichen Erfahrungen berichten Leser von MDR THÜRINGEN auch aus anderen Regionen des Freistaats. Und das hängt - natürlich - mit Corona zusammen.

Corona steigert die Nachfrage beim Grippeschutz

Das neuartige Coronavirus, das seit März in Deutschland grassiert, hat viele Menschen verunsichert. Weil sich die Krankheitssymptome von Covid-19 und der Influenza ähneln, ist es daher nur allzu verständlich, dass die Nachfrage bei Grippeschutz-Impfungen gestiegen ist. Die Grippeimpfung schützt zwar nicht vor dem Coronavirus, im Zweifelsfall schützt sie aber vor einer zeitgleichen Infektion mit beiden Erregern, die aus Sicht von Fachleuten zu schweren Krankheitsverläufen führen könnte.

Besonders Risikogruppen und Berufstätige im Gesundheitssektor sollten sich daher gegen Grippe impfen lassen, forderte auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf der Bundespressekonferenz am Mittwoch. Eine Grippeimpfung sei ein dreifacher Schutz, sagte Spahn: für sich selbst, für andere und für das Gesundheitssystem, das angesichts der Corona-Pandemie überlastet werden könnte. Zugleich betonte er, für Impfstoffe sei gesorgt:

Dieses Jahr stehen in Deutschland 26 Millionen Impfstoffdosen - so viele wie nie zuvor - zur Verfügung. Das ist fast doppelt so viel wie in der vergangenen Saison verimpft wurde.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Professor Klaus Cichutek, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und Bundesministerin fuer Bildung und Forschung Anja Karliczek informieren ueber Entwicklungen der Forschung fuer Impfstoffe gegen Coronavirus in der Bundespressekonferenz in Berlin am 15. September 2020.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (2.v.li.) auf der Bundespressekonferenz: "Ich bitte alle, für die eine Impfung empfohlen wird, sich gegen die Grippe impfen zu lassen. Machen wir es dem Virus gemeinsam schwer." Bildrechte: imago images/Emmanuele Contini

Wo ist der Grippe-Impfstoff abgeblieben?

Tatsächlich hat sich das deutsche Gesundheitssystem so gut auf die Grippesaison 2020 vorbereitet wie noch nie: Das Paul-Ehrlich-Institut, das Jahr für Jahr die Impfstoff-Bestellungen koordiniert und die Produktion beauftragt, erhöhte vorsorglich sogar die Reservequote von zehn auf 30 Prozent, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Insgesamt bestellte das Paul Ehrlich Institut 20 Millionen Impfstoff-Dosen bei den Herstellern, das Bundesgesundheitsministerium orderte zusätzlich sechs Millionen.

Und bei der Bestellung ist es nicht geblieben: 19,1 Millionen schon produzierte Impfdosen seien bereits freigegeben und befänden sich im Handel, sagte Dr. Susanne Stöcker, Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts. Die lokalen Engpässe bei den Impfstoffen sollten daher nicht mit einem Versorgungsengpass verwechselt werden: "Die Impfstoffe sind da, es klemmt bei der Verteilung im Handel", so Stöcker.

Wie zuverlässig ist eine Grippeschutz-Impfung? Mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Grippeschutz-Impfung die Influenza-Viren abwehrt, ist nicht genau zu bestimmen. Experten gehen davon aus, dass der Wirkstoff bei 40 bis 80 Prozent aller Geimpften anschlägt. Das hängt maßgeblich mit dem individuellen Immunsystem eines jeden Patienten zusammen. Es gilt aber als erwiesen, dass eine Impfung den Krankheitsverlauf einer Influenza deutlich glimpflicher gestaltet.

Der Handel mit Impfstoffen

Dass es nun zu diesen "lokalen Engpässen" kommt, ist aber nur bedingt ein logistisches Problem. Natürlich gibt es eine Lieferkette vom Herstellerlager über die Apotheken bis in die Praxis.

Im Fall von Ulf Zitterbart, der vor einigen Tagen eine Nachbestellung beim Grippe-Impfstoff aufgegeben hat, bedeutet das, dass sich seine Patienten bis "Anfang oder Mitte November" gedulden müssen.

Das eigentliche Problem sei aber nicht die Nachbestellung, sondern die Vorbestellung, erklärt Zitterbart. Ärzte müssten im Frühjahr kalkulieren, wie viele Impf-Dosen sie für den Winter bestellen wollen. In diesem Jahr seien die Ärzte zwar noch einmal von der Kassenärztlichen Vereinigung gewarnt worden, dass mit einer erhöhten Nachfrage wegen der Corona-Pandemie zu rechnen sei, am Ende stünden die Ärzte aber selbst in der Verantwortung: Bestellen sie zu viele Impfstoffe, bleiben sie auf den Kosten sitzen.

In einer normalen Grippesaison brauche ich in meiner Praxis etwa 1.000 Impfdosen. Wegen Corona habe ich schon 20 Prozent bei der Bestellung aufgeschlagen. Aber es gibt dabei eben keine Garantien. Wenn der Impfstoff in einem Jahr mal schlecht verträglich ist, spricht sich das rum und ich bleibe auf Hunderten Impfdosen sitzen. Jede davon kostet mich 13 Euro.

Dr. Ulf Zitterbart, Allgemeinmediziner und Vorsitzender des Thüringer Hausärzteverband

Das Problem hätten alle Hausärzte, sagt Zitterbart weiter, der auch Vorsitzender des Thüringer Hausärzteverbandes ist. Weil Hausärzte nun mal Einzelunternehmer seien, müssten sie bei den Impfdosen konservativ rechnen. Das führt gerade jetzt vielerorts zu Engpässen, wie auch Stefan Fink, Vorsitzender des Thüringer Apothekerverbandes bestätigt: "Die Nachfrage ist groß. Ärzte, die erst zaghaft bestellt haben, steuern jetzt nach."

Eine Lösung für dieses Problem wäre ein Kommissionsgeschäft, bei dem die Ärzte nur die Impfdosen bezahlen, die sie verbrauchen. Das wiederum wollen die Hersteller nicht.

Kein Sorge: Die Impfsaison ist der Grippesaison drei Monate voraus

Patienten werden sich in Thüringen und auch anderswo in Deutschland vorerst gedulden müssen. Das sei aber nicht weiter problematisch, sind sich alle Experten, vom Hausarzt bis zum Bundesgesundheitsminister, einig. "Es ist noch mehr als genug Zeit, sich impfen zu lassen", sagt Ulf Zitterbart.

Die Impfsaison beginnt in der Regel etwa drei Monate vor der Grippesaison. Auf der Website des Robert Koch-Institut heißt es:

In Deutschland treten saisonale Grippewellen im Winterhalbjahr meist nach dem Jahreswechsel auf. Die auf Bevölkerungsebene messbare Influenza-Aktivität steigt in den meisten Jahren im Januar oder Februar deutlich an und erstreckt sich durchschnittlich über 8 bis 10 Wochen, kann in einzelnen Jahren aber auch deutlich länger dauern .

Robert Koch-Institut auf seiner Website

Insofern besteht also kein Grund zur Eile. Das RKI empfiehlt sogar, sich erst im November oder Dezember impfen zu lassen.

Grippe-Schutz: Dreifach- oder Vierfach-Impfstoff?
Eine Grippeimpfung sei ein dreifacher Schutz, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn: Für sich selbst, für andere und für das Gesundheitssystem, das angesichts der Corona-Pandemie überlastet werden könnte. Bildrechte: Imago

Quelle: MDR THÜRINGEN/mit dpa

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 14. Oktober 2020 | 19:00 Uhr

3 Kommentare

MDR-Team am 18.10.2020

Das RKI empfiehlt Impfungen, damit die Kapazität der Krankenhäuser nicht ausgelastet ist, weil sowohl die Influenza, als auch Covid-19 Lungenkrankheiten sind und so aufgrund ähnlicher Symptome der Bedarf möglicherweise nicht gedeckt werden kann, wenn zu viele an der Influenza erkranken. https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/Materialien/Faktenblaetter/Influenza.pdf?__blob=publicationFile

MDR-Team am 18.10.2020

Die WHO sammelt mit Hilfe eines Frühwarnsystems Anzeichen für Influenza-Erkrankungen und gibt Empfehlungen für eine neue Impfstoffproduktion weiter. Netzwerke wie die Arbeitsgemeinschaft Influenza (AGI) überwachen und erfassen mit Hilfe bundesweiter unterstützender Arztpraxen Krankenmeldungen und können somit die Influenza-Aktivität feststellen. Weitere Informationen erhalten Sie beispielsweise hier: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Influenza/FAQ_Liste.html oder hier: https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/betriebsarzt/PDF/Influenza.pdf

Lyn am 16.10.2020

Ein Glück, ich habe sie schon.
Zeitgleich, anderer Arm, die Pneumokokken Impfung geben lassen, üblicherweise mit 60, aber vorher bei chronischen Lungenkrankheiten.
Anrufen und nachfragen ob da ist und man vorbei kommen kann.... ist die Praxis zu voll kann man gleich daheim bleiben oder einen Termin geben lassen.
Dann klappt es auch mit der Impfung.

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