Bilanz Fünf Jahre Energiepolitik von Rot-Rot-Grün

11. Oktober 2019, 11:21 Uhr

"Thüringen soll bis 2040 seinen Eigenenergiebedarf bilanziell durch einen Mix aus 100 Prozent regenerativer Energie selbst decken können." Dieses Ziel hat Rot-Rot-Grün 2014 beim Regierungsantritt formuliert. Im Klimagesetz vom Dezember 2018 wurde - zum Teil ziemlich allgemein - geregelt, wie das umgesetzt werden soll. Praktische Erfolge gibt es nach fünf Jahren Regierungszeit nicht in allen Bereichen.

Bei der Produktion von Strom ist die Energiewende am weitesten vorangekommen. Vollendet werden soll sie vor allem mit mehr Leistung aus Wind und Sonne. Um neue Windräder hat sich der Streit aber zuletzt zugespitzt. 2014 wollte Rot-Rot-Grün die in Thüringen für Windräder genutzte Fläche noch verdreifachen und geeignete Instrumente finden, um neue Flächen dafür auszuweisen. Das ist gründlich schief gegangen.

Der Thüringer Landesvorsitzende des Bundesverbands WindEnergie (BWE), Frank Groß
Frank Groß Bildrechte: Bundesverband WindEnergie

Frank Groß als Vorsitzender des Landesverbandes Thüringen im Bundesverband Windenergie findet, das sei zu unverbindlich geregelt. Auch wenn vor allem der Bund den Ausbau der Windenergie mit neuen Regeln gebremst hat, sagt Groß: "Die Regierung in Erfurt hat es nicht geschafft, ihre Ziele bei der Aufstellung neuer Regionalpläne in den Planungsgemeinschaften durchzusetzen. Im Mai 2019 hätte es überall im Land neue Pläne geben sollen. Aber außer in Mittelthüringen sind sie nicht fertig und damit gibt es keine neuen Windvorranggebiete." Projektierern und Windpark-Betreibern fehlen deshalb Flächen. Immerhin findet Groß, der neue Winderlass habe positiv gewirkt. Er liefere den Behörden in den Landkreisen endlich klare Kriterien, nach denen sie den Bau von Windrädern genehmigen.

Widerstand gegen Windräder wächst

Beim Thüringer Landesverband "Energiewende mit Vernunft" ist man froh, dass die Landesregierung ein wichtiges Ziel noch nicht erreicht hat: "Voraussetzungen zu schaffen für den Ausbau von Windkraftanlagen im Wald." Der Widerstand dagegen ist in den letzten fünf Jahren enorm gewachsen. Vorsitzender Thomas Heßland fürchtet aber, Rot-Rot-Grün könnte das Waldgesetz kurz vor Wahl noch ändern. Für neue Windräder im Offenland fordert der Landesverband neue Standards: Der Mindestabstand von Wohnhäusern sollte das Zehnfache der Höhe eine Windrades betragen, so Heßland. Den Bau neuer Windenergieanlagen würde das weiter ausbremsen.

Für mehr Sonnenstrom von Thüringer Dächern wollte die Landesregierung "die verstärkte Eigennutzung von Solarenergie für Direktverbrauch und Mieterstrommodelle" fördern. Das entsprechende Programm von 2016 nutzen die Thüringer fleißig. Im Mai 2019 hatte die Aufbaubank den tausendsten Förderantrag auf dem Tisch. Investitionen von fast 18 Millionen Euro hatte die Förderung bis dahin ausgelöst. Vor allem private Haus- und Wohnungsbesitzer haben sich eine Solaranlage aufs Dach und dazu häufig einen Stromspeicher ins Haus gebaut. Dieses Programm hat unter anderem maxx-Solar aus Waltershausen viele Aufträge beschert. Geschäftsführer Dieter Ortmann sitzt auch im Vorstand des Thüringer Erneuerbare Energien-Netzwerkes und schätzt ein: "Eine Photovoltaikanlage auf dem Dach lohnt sich heute fast immer. Allerdings auch ohne Förderung. Das Programm 'Solar-Invest' hat die Thüringer zusätzlich für das Thema sensibilisiert."

Ortmann bedauert, dass nur wenige Unternehmen die Chancen des Programmes genutzt haben. Und die Zahl der Mieterstrom-Projekte blieb mit zwölf deutlich hinter den Erwartungen zurück. Vorgaben aus Bundesgesetzen machen solche Projekte fast unmöglich.

Förderung für solare Wärmeerzeugung fehlt

Energiewende bedeutet, auch Wärme mehr und mehr aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen. Im Koalitionsvertrag von 2014 steht: "Wir setzen uns für den Ausbau der solaren Wärmeerzeugung ein, auch um damit Nah- und Fernwärmenetze zu unterstützen." Die Stadtwerke Erfurt haben in diesem Jahr die größte solarthermische Anlage des Freistaates in Betrieb genommen. Die Sonne liefert hier aber erst einen kleinen Teil der Wärme für das Erfurter Fernwärmenetz. Auch in Mühlhausen und Jena speisen solche Anlagen ins Fernwärmenetz ein. Der Vorstandsvorsitzende des Verbandes kommunaler Unternehmen in Thüringen, Thomas Zaremba, vermisst eine Innovationsförderung für solche Anlagen.

Als Geschäftsführer der Stadtwerke Energie Jena-Pößneck lobt er das Klimagesetz von Rot-Rot-Grün: Es definiere die Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren bei der Wärmeproduktion. Wie diese Ziele in der Praxis erreicht werden sollen, sei aber offen. kritisiert Zaremba. Die Förderprogramme zur energetischen Stadtsanierung würden den Ausbau von Versorgungsleitungen unterstützen. Die Umstellung auf neue Quellen der Erzeugung werde nicht gefördert. Außerdem dürften die Stadtwerke als kommunale Unternehmen diese Programme nicht nutzen.

Energieverbrauch senken - aber wie?

Wärmedämmung an einem älteren Schulgebäude. Mit Styroporplatten wird die Aussenfassade beklebt und anschliessend verputzt.
Wärmedämmung an einem Gebäude. Bildrechte: IMAGO / Jochen Tack

Alle aus erneuerbaren Quellen zu versorgen gelingt nur, wenn der Energieverbrauch sinkt. "Ziel ist es, jedes Jahr zwei Prozent aller Gebäude energetisch zu sanieren" hat die rot-rot-grüne Koalition deshalb in ihren Vertrag geschrieben. Rainer Nowak, Technikexperte beim Verband der Thüringer Wohnungswirtschaft schätzt: Seit 2015 war es bei den 270.000 kommunalen und Genossenschaftswohnungen in Thüringen pro Jahr gut ein Prozent. Er sieht die Wohnungswirtschaft in Thüringen gerade zwischen zwei Sanierungsperioden. Vier von fünf Wohnungen in den Beständen des Verbandes seien erst vor wenigen Jahren gedämmt und mit neuen Fenstern ausgestattet worden. Nur eine von zehn Wohnungen sei noch nicht saniert. Wer jetzt mehr als ein Prozent wolle, müsse gezielt fördern. Dass das Land für Einspar-Projekte Machbarkeitsstudien und Beratungsleistungen fördere, lobt Nowak ausdrücklich.

Der Energieexpertin der Verbraucherzentrale Thüringen, Ramona Ballod, sind keine attraktiven Förderprogramme des Landes für die energetische Sanierung von Wohnungen aufgefallen. "Man hat sich auf die KfW-Förderung des Bundes verlassen", sagt sie. Ballod lobt aber, dass die Energieberatung für private Haushalte dank Landesförderung seit Anfang 2019 kostenlos angeboten werden kann. Sie und ihre Kollegen haben seitdem noch mehr zu tun mit Checks von Heizungen, Haushaltsgeräten, Verbrauchsverhalten und ganzen Häusern: 1.900 Beratungen seit Jahresbeginn. Die Eigentümer würden die Vorschläge für Heizungsumbau, Dämmung und Einbau von Solaranlagen überwiegend wirklich auch umsetzen. Experten haben errechnet, dass die dort vorgeschlagenen Maßnahmen 34.000 Tonnen Kohlendioxid eingespart haben oder noch einsparen werden.

Elektromobilität mit Stadt-Land-Gefälle

Ein Elektroauto steht an einer Ladesäule. Aus der Säule führt ein Stromkabel zum Auto.
Ein Elektroauto steht an einer Ladesäule. Bildrechte: MDR/Dirk Reinhardt

Vollständig gelingt die Energiewende nur mit nachhaltiger Mobilität. Dafür hatte sich Rot-Rot-Grün einen "Infrastrukturplan E-Mobilität" vorgenommen. Ende Juni 2019 veröffentlichte Energieministerin Siegesmund ein Sieben-Punkte-Programm. Bereits seit Anfang 2017 fördert ihr Ministerium gemeinsam mit dem Bund den Bau von Ladesäulen für Elektroautos. Mehr als 250 Stationen mit mehr als 500 Ladepunkten sind inzwischen entstanden -  in fast allen Teilen Thüringens. Der Sprecher des ADAC Hessen-Thüringen, Cornelius Blanke, nennt das einen guten Anfang. Aber er sieht auch ein Stadt-Land-Gefälle.

Portrait von ADAC-Sprecher Cornelius Blanke
Cornelius Blanke Bildrechte: ADAC

In Städten, so Blanke, würden die Säulen intensiver genutzt als außerhalb. Die ADAC-Mitglieder vom Land würden sich fragen: Wie umgehen mit den vereinzelten Ladestationen? Die allein seien kein Anreiz für den Kauf von teuren Autos mit kurzer Reichweite und langen Ladezeiten. Etwa 1.400 batteriebetriebe Pkw fahren inzwischen auf Thüringens Straßen. Die Autohändler erleben Privatkunden selten als Käufer. Firmen und Gewerbetreibende, Behörden in Kommunen und Landkreisen, Vereine und Verbände fahren häufiger elektrisch. Sie bekommen die Anschaffung oft vom Land gefördert.

Quelle: MDR THÜRINGEN

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