Bilanz Die rot-rot-grüne Gebietsreform - das gescheiterte Großprojekt

11. Oktober 2019, 11:21 Uhr

Sie war das zentrale Projekt der rot-rot-grünen Landesregierung in Thüringen, aber sie war auch von Anfang an heftig umstritten: die Gebietsreform. Linke, SPD und Grüne unternahmen ab 2014 mehrere Anläufe, um die Reform anzuschieben. Doch das Verfassungsgericht kippte im Sommer 2017 das Vorschaltgesetz und das Projekt war nicht mehr zu retten. Ende 2017 wurde es gestoppt. Zumindest aber bei der Gemeindegebietsreform kann Rot-Rot-Grün einige Erfolge vorweisen.

Es ist der 30. November 2017, kurz vor Mitternacht, Thüringer Staatskanzlei: die Führungsriege von Linke, SPD und Grünen steht und sitzt auf den Treppen des Foyers. Die Gesichter sind gekennzeichnet von Müdigkeit, Frust und Enttäuschung. Kein Wunder, hatte doch kurz zuvor der rot-rot-grüne Koalitionsausschuss das Aus der gesetzlich verordneten Gebietsreform beschlossen. Mithin das Vorzeigeprojekt, das Linke, SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag 2014 vereinbart hatten. In diesen Vertrag hatte das Dreierbündnis einigermaßen beschwingt geschrieben:

Wir wollen die (…) Gebietsreform insbesondere dazu nutzen, eine stabile und zukunftsfähige öffentliche Daseinsvorsorge in allen Landesteilen zu gewährleisten. Im Dialog mit den kommunalen Akteurinnen und Akteuren sowie den Bürgerinnen und Bürgern soll diskutiert und entschieden werden, wie die Grundversorgung in ländlichen Zentren und größeren Orten konzentriert werden kann.

aus dem Koalitionsvertrag 2014

Der Gedanke, der hinter dem Vorhaben steckte, war: wenn die Einwohnerzahl Thüringens sinkt, wird es immer schwerer, in den Landkreisen und Kommunen leistungsfähige Verwaltungen vorzuhalten. Nur größere Einheiten werden künftig in der Lage sein, die Behörden ausreichend mit qualifiziertem Personal zu besetzen, so lautete die Argumentation von Linke, SPD und Grüne. Aber trotz dieser theoretischen Begründung nahm die Reform in der Praxis nur langsam Fahrt auf. Ein Leitbild mit den Eckwerten für die Gebietsreform wurde erst Ende 2015 verabschiedet. Demnach sollte die Zahl der Landkreise von 17 auf acht sinken, die Zahl der Gemeinden sollte sich mehr als halbieren. Landkreise sollten mindestens 130.000 Einwohner haben, kreisfreie Städte 100.000, Kommunen 6.000. Die knapp 70 Verwaltungsgemeinschaften im Land sollten in Einheitsgemeinden umgewandelt werden. Das entsprechende Vorschaltgesetz, das die Eckwerte festschrieb, folgte im Sommer 2016.

Widerstand und Volksbegehren gegen die Gebietsreform

Schon vorher begann es in der kommunalen Familie zu grummeln. Ein "Verein Selbstverwaltung für Thüringen" gründete sich. Darin schlossen sich vor allem kleinere Gemeinden zusammen, die nicht akzeptieren wollten, einer mit dem demografischen Wandel begründeten Reform zum Opfer zu fallen. Vereins-Vize Sabine Kraft-Zörcher argumentierte: "Wir denken, dass die bisherigen Verwaltungsformen und die bisherigen Größen geeignet waren, die Probleme zu bewältigen." Der Verein startete im August 2016 ein Volksbegehren gegen die Gebietsreform.

Auch bei den Landkreisen regte sich Widerstand. Mehrere Kreise erhoben in der zweiten Jahreshälfte 2016 Verfassungsklage gegen das Vorschaltgesetz. Ihrer Einschätzung nach waren die im Gesetz genannten Mindesteinwohnerzahlen willkürlich festgelegt und nicht begründbar. Es sei nicht geprüft worden, ob die Kreise in ihrer jetzigen Form auch in Zukunft leistungsfähig genug seien. Unter anderem in Sonneberg und Apolda gingen im Frühjahr 2017 tausende Menschen bei Demonstrationen gegen die Reform auf die Straßen.

Was das kommunale Lager auch erboste, war das Kommunikationsverhalten der Landesregierung. Einwände, die etwa bei der Anhörung zum Vorschaltgesetz vorgebracht wurden, hätten bei Rot-Rot-Grün kein Gehör gefunden, beklagten die kommunalen Spitzenverbände. "Da haben wir zahlreiche Eingaben gemacht, zahlreiche Argumente gebracht. Aber im Ergebnis hat man doch das Gefühl, da wird ein Koalitionsvertrag abgearbeitet. Und so haben wir uns die Kommunikation nicht vorgestellt", klagte Ralf Rusch, Hautgeschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes, bei einer Mitgliederversammlung des Verbandes im September 2016.

Bei der gleichen Veranstaltung machte Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linken allerdings klar: die Gebietsreform steht nicht nur Debatte. Wenn, dann gehe es nur um das Wie, nicht um das Ob: "Wir wollen die Veränderung dieses Landes gestalten. Da wird es auch Fehler geben. Aber wenn Sie ernst nehmen, dass wir mit Ihnen ins Gespräch kommen wollen, dann über das Wie und den Prozess", so Ramelow.

Klage gegen das Vorschaltgesetz

Inzwischen ging auch die Opposition gegen die Gebietsreformpläne vor. Die CDU-Landtagsfraktion reichte Ende 2016 beim Thüringer Verfassungsgericht Klage gegen das Vorschaltgesetz ein. Unter anderem, weil sie sich in ihren Oppositionsrechten verletzt sah. "Die Parlamentsmehrheit ist über unsere Vorstellungen im Hau-Ruck-Verfahren hinweggegangen", monierte Fraktionschef Mike Mohring. Und tatsächlich: im Juni 2017 erklärten die Richter das Vorschaltgesetz für verfassungswidrig. Begründung: formelle Fehler im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren. Insbesondere rügten die Richter, dass ein Protokoll von einer Anhörung des Landtags-Innenausschusses nicht allen Abgeordneten zur Verfügung stand, bevor über das Vorschaltgesetz abgestimmt wurde.

Ein Mann in Anzug und Krawatte steht an einem Pult und spricht in ein Mikrofon. Er macht mit der rechten Hand eine Bewegung.
Holger Poppenhäger Bildrechte: MDR/Karina Heßland

Rot-Rot-Grün zeigte sich nach dem Urteil aber noch zuversichtlich. "Ich will auch noch mal sagen, die Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und Rechtmäßigkeit einer Reform ist vom Gericht in keiner Weise in Frage gestellt worden", beharrte der damalige SPD-Innenminister Holger Poppenhäger. Der dann aber nur wenige Wochen später seinen Hut nehmen musste - nicht zuletzt, weil es auch innerhalb der Regierungsparteien rumorte und sich Widerstand gegen die Reform regte. Sechs Landräte der SPD und der Linken forderten in einem Schreiben einen Stopp der Kreisreform.

Freiwilligkeit statt Verordnung

Der neue Innenminister Georg Maier (SPD) bekräftigte zunächst noch, die Gebietsreformpläne weiter vorantreiben zu wollen. Und legte einen überarbeiteten Vorschlag für die Kreisreform vor. Der lediglich aber nur zu einem erneuten Aufschrei unter den Landräten führte: "Es geht nur noch darum, einen Beerdigungstermin zu finden", meinte SPD-Landrat Peter Heimrich. Und tatsächlich: Ende November wurde das Ziel einer gesetzlich verordneten Kreisgebietsreform aufgegeben. Die neue Devise lautete: Landkreise sollen eine so genannte interkommunale Zusammenarbeit pflegen, und wenn sie sich freiwillig zusammenschließen wollen, wird das Land das unterstützen. Außerdem kündigte Rot-Rot-Grün an, Anträge von Gemeinden auf freiwillige Fusionen weiter zu bearbeiten. Und erhöhte dafür die Fusionsprämie soll von 100 auf 200 Euro pro Kopf.

Das Angebot, sich freiwillig zusammenschließen zu können, wurde danach vom kommunalen Lager sehr gut angenommen. Insgesamt drei Gemeindeneugliederungsgesetze wurden auf den Weg gebracht. Zwei davon wurden bereits verabschiedet, das dritte soll noch im September vom Landtag beschlossen werden. Laut Innenministerium wird sich die Zahl der Gemeinden von ursprünglich über 800 am Ende der Legislatur fast halbiert haben. Was auch ein wichtiger Beitrag für überlebensfähige und leistungsfähige Strukturen sei.

Quelle: MDR THÜRINGEN

1 Kommentar

BI Linda am 12.10.2019

Es ist schon der blanke Hohn, wenn der Innenminister und RRG von freiwilligen Gemeindezusammenschlüssen sprechen und dann im Landtag über Gemeindezusammenschlüsse abstimmen, obwohl allen Fraktionen bekannt war, dass ein Bürgerbegehren dagegen läuft, ja sogar ein Urteil des Thüringer Oberverwaltungsgerichtes wird von RRG einfach ignoriert. Der Innenminister sollte sich was schämen, in diesem Zusammenhang von Freiwilligkeit zu sprechen! Sind die Bewohner von Dörfern Menschen 2. Klasse? Haben wir kein Recht auf Selbstbestimmung? Thüringen ist nunmal in erster Linie ländlich geprägt und ein wesentlicher Bestandteil davon sind funktionierende Dörfer! Dörfliche Gemeinden, die selbst über ihr Schicksal und ihre Zukunft entscheiden und nicht von irgendwelchen Stadträten ferngesteuert werden.
Es wird allerhöchste Zeit dass diese "Möchtegerneregierung" abgewählt wird
und dann hoffentlich wieder Demokratie im Sinne von Selbstbestimmung der Bevölkerung in diesem Lande Einzug hält!

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