Connect-Kirche Erfurter Instagram-Kirche sucht Follower
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Langweilig, verstaubt, nicht zeitgemäß: Die Kirchen kämpfen mit Mitgliederschwund. In Erfurt will die sogenannte Connect-Kirche mit einem durchgestylten Social-Media-Auftritt und zeitgemäßen Themen im Gottesdienst (junge) Leute zur Kirche bringen.

Die Erfurter Michaeliskirche. Sonntag. Kurz vor 10 Uhr. Vorm Eingang wehen sogenannte Beach-Flags, also Wimpel, wie man sie sonst von Strandbars oder Messeständen kennt. Vorm Eingang stehen zwei dick eingemummelte junge Leute mit schwarzen Schildern und einer tragbaren Lautsprecher-Box. Daraus erklingt "Let it snow". Der Wunsch ist aufgegangen - in der Nacht hat es massig geschneit. In Erfurt liegt so viel Schnee wie seit langem nicht. Auf dem Schild steht "Hallo Freund". Fußgänger lesen das, es kommt zum Augenkontakt mit den beiden Schild-Trägern. Das erste Eis wird gebrochen. Vor einigen Wochen jedenfalls bin ich vorbeigegangen als nur die Fahnen wehten und wunderte mich: "Was ist hier los?".
Aus dem Kirchen-Inneren sind laute Beats zu hören. Keine Orgel, kein Barock - Klänge wie im Club. Rein darf, wer FFP2-Maske trägt und sich die Hände an der Tür desinfiziert. Auf einem Tisch im Eingangsbereich liegen Headsets. Wer sich den Gottesdienst übersetzen lassen will, der bekommt hier Hilfe. Ich habe meinen Besuch mit Pastor Alex Blum abgesprochen. Offiziell angemeldet über die Homepage habe ich mich aber nicht. Am Morgen, als ich am Handy nachsehe, sind noch knapp 20 Plätze frei. Ich darf reinkommen, muss aber am nächsten Stehtisch halten. Zwei Mädels am Laptop tragen meine Daten ein und geben mir einen Platz. Auf dem Weg dorthin wieder ein großes Schild: "Schön, dass du da bist."
In der ersten Reihe tanzt ein Mädchen mit Locken. Als sie sich umdreht, sehe ich, dass sie eine Wärmflasche im Arm hat. Das ist genial! Ich gehe hin und spreche sie an. Wer in Thüringen in die Kirche geht, der friert oft. Harena nicht. Sie hat ihre blaue Fleece-Wärmflasche mit warmem Wasser gefüllt, eine Thermoskanne hat sie auch dabei. Die 20-Jährige studiert in Erfurt Internationale Beziehungen und Wirtschaft. Seit anderthalb Jahren kommt sie zur Connect-Kirche*. Ich frage sie, warum. Sie sagt, es sei eine lange Geschichte. Kurzversion: Gott hat ihr "diese Kirche ans Herz gelegt". Später wird sie auch auf der Bühne stehen, und das Programm mitgestalten.
Die Connect-Kirche ist eine freie Kirche. 2017 ging es in Erfurt mit den Vorbereitungen los, im September 2018 war Gründung. Zunächst fanden die Gottesdienste in einem Hotel statt. Seit Januar 2020 ist die Erfurter Michaeliskirche der Ort für die Gottesdienste. Zwei Durchgänge gibt es am Sonntag. Vor Corona kamen im Schnitt 125 Menschen, jetzt sind es etwa 40 Plätze in jeweils zwei Durchgängen - 10 und 11:30 Uhr. Viel spielt sich aber im Internet ab, auf Instagram, iTunes, Youtube, Spotyfy. Die Instagram-Seite ist komplett durchgestylt. Es sieht aus, als stecke eine professionelle Werbeagentur dahinter. Doch es sind alles engagierte Leute mit Hobby Fotografie, Social-Media, Kirche.
Curt Bauer leitet den "kreativen Bereich". Als er vor anderthalb Jahren dazu kam, war das "Grund-Branding" schon klar.
Instagram ist unser großer Kanal, mit dem wir viele Leute erreichen. Da sieht man, wie sieht ein Gottesdienst aus? Wie ist dekoriert? Wie ist es aufgebaut? Das sind ganz wichtige Punkte. Es soll ja einladend sein. Wir wollen nicht irgendwie nur zwei Lautsprecher vorne hinstellen. Wir gestalten es, auch das Licht - mit allem, was dazugehört. Und das dauert halt. Wir fangen sonntags immer 6:30 Uhr an, alles aufzubauen. Wir geben unser Bestes und das sollen die Leute auch spüren. Da ist was dahinter.
Bevor alles losging, wurde nachgefragt, was ankommen würde, so Pastor Alex Blum.
Wir haben gesagt, wir wollen eine Kirche bauen für Freunde - in die man gerne Freunde einlädt. Ein Jahr lang haben wir deshalb Leute aus Erfurt gefragt: Wie müsste eine Kirche aussehen, in die du gehen würdest? Wie wäre der Musikstil? Welche Uhrzeit? Was wäre der Sprachgebrauch, was die Location? Wir haben gesagt, wenn der Inhalt des Christentums immer noch 'lebensrelevant' für uns ist, dann darf auch die äußere Form modern sein und das darf auch Leute ansprechen, mit denen ich abhänge.
Heute wurde also wieder ab 6:30 Uhr aufgebaut. Unter anderem zwei Bildschirme. Auf denen läuft ein Countdown runter. Zeit, zum Platz zu gehen. Hier liegt eine Handvoll Flyer auf dem Stuhl. Die Liveband macht sich bereit. 20 Minuten wird sie spielen. Es klingt wie bei einem Konzert. Wie lange habe ich keine Live-Musik gehört? Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor. Der Rhythmus ist eingängig. Die Texte werden eingeblendet - sie sind christlich. 20 Minuten gibt’s Musik, Gebet, aber kein "Vater unser" - sondern "Danke für zwei Jobangebote in dieser Woche, danke für meine Freunde in der Krise, beende Corona."
In der Predigt soll es heute um Liebe zur Heimatstadt Erfurt gehen. Alex Blum übernimmt das. Er hat Theologie studiert, ist 30, trägt eine Lederjacke, einen Kapuzenpulli und er spricht über Stadtviertel mit vielen Alleinerziehenden, über die Fußballer von RWE, darüber, wo es Erfurt gut geht, über ein Gespräch mit einem Rettungssanitäter, darüber, dass er die Kirche als Rettungsboot sieht. Knapp 40 Minuten dauern seine Ausführungen. Er hat dazu die passenden Bibelstellen rausgesucht, die auf den Monitoren eingeblendet werden. Er hat seine Rede auf einem iPad vorbereitet - das auf einer Bibel liegt. Es wird geklatscht, gebetet, mitgewippt.
Und irgendwann geht’s ums Geld. Als freie Kirche bekommt die Connect-Kirche nichts von der Kirchensteuer ab. Die Macher sind neben viel Ehrenamt auch auf die Kollekte angewiesen. "Der Moment der Großzügkeit" heißt das hier. Aber es geht kein Klingelbeutel rum. Man kann per Paypal spenden, auf den Monitoren wird ein QR-Code eingeblendet. Als ich den mit dem Smartphone fotografieren will, geht direkt die Seite auf.
Der erste "Durchgang" neigt sich dem Ende. Und weil ja durch Corona praktisch eh nichts los ist, gibt’s gleich noch einen kleinen "Werbeblock", mit den anstehenden Aktionen von einem "Entdecker-Kurs" und zu einer "Church-Night". Alles digital per Zoom. Wer Fragen hat, bitte in den Chat posten. Denn neben den derzeit erlaubten 40 Teilnehmern in der Kirche sind von zuhause an diesem Wochenende zwischen 50 und 60 "Endgeräte" zugeschaltet, wobei Pastor Alex Blum davon ausgeht, dass an fast jedem davon Paare oder Familie sitzen.
Im ersten Lockdown im März 2020 haben sie "den Online-Gottesdienst als Standort hochgezogen", so Thomas Häßler, der sich hauptsächlich um den Bereich Musik kümmert. Er sagt: "Jetzt sind wir eben vor Ort in der Michaeliskirche und online am Start." Schnell hätten sie sich in die Online-Gottesdienste reingefuchst. Sie gehören zur Generation Livestream, ist mein Eindruck. Die Predigten kommen im Anschluss auf Youtube und als Podcast auf Spotify. Oft gebe es Predigt-Reihen zu bestimmten Themen. Das würde nachgehört und nachgeschaut. Einige Mitglieder seien zunächst nur Online dabei gewesen.
Curt Bauer vom Kreativteam erklärt sich das (neben Corona) so, dass etwa der Instagram-Kanal eine gute Möglichkeit ist, "von außen" einfach schon mal einen Blick reinzubekommen.
Gerade Ostdeutschland ist atheistisch geprägt. Viele Leute haben noch nie einen Fuß in einen Gottesdienst gesetzt und haben keinen Bezug zur Kirche. Und ich glaube, es ist eine gute Möglichkeit, dass Leute einfach schon mal so einen Einblick bekommen, eine Predigt auf Youtube sehen und eine Idee bekommen, wie es abläuft. Es ist dann nicht mehr so ein abstraktes Dinge, sondern es ist transparent.
Ästhetisch fand auch Rebekka den Social-Media-Auftritt der Connect-Kirche. Ausschlaggebend für ihren Besuch war er aber nicht, erzählt die Religionslehrerin. Sie ist 27 Jahre alt und seit etwa einem Jahr hier. Vorher ging sie in eine "ähnliche Kirche". Sie findet das, was hier passiert, wie es aussieht und gestaltet wird "zeitgemäß für unsere Generation" und sie fühlte sich "sofort aufgehoben", sei schnell und oft eingeladen worden, etwa zum Essen - vor Corona.
Wir werden aufgefordert, keine Trauben zu bilden und uns nach draußen zu verabschieden. Die Besucher der nächsten Runde trudeln langsam ein und wegen Corona müsse man auch vorsichtig sein. Ich mache mich auf den Weg nach Hause. Vor mir laufen meine Sitznachbarn. Ich schließe auf und spreche sie an. Manfred und Gabriele wären eigentlich heute nach Arnstadt eine freie Kirche gefahren - aber bei dem Schnee bleiben sie lieber in Erfurt. Sie mögen die Connect-Kirche und verraten mir, dass ihr Sohn in der Band spielt. Wir reden darüber, wie hoch wohl das Durchschnittsalter gewesen sein mag und kommen auf Mitte 20. Tatsächlich kommen aber die Älteren wohl im Moment wegen Corona eher nicht in die Kirche.
Vor der Pandemie lag der Altersschnitt bei 35, erzählt Pastor Alex Blum. Das älteste Paar ist um die 85. Auf die Frage, ob die dann auch zu den Beats "abdancen", sagt er: "Wir haben am Eingang auch Ohrstöpsel, wenn es jemandem zu laut ist." Er schmunzelt.
Einige Male waren meine Sitznachbarn auch in Erfurt zum Gottesdienst. Gabriele ist vor knapp 30 Jahren von der "traditionellen" evangelischen Kirche zu einer freien Kirche gewechselt. Damals fehlten ihr "die Chroäle". Manfred sagt, nicht für jeden sei das was. Manche gingen schließlich in die Kirche, um Ruhe zu finden. In der Michaeliskirche sei es lauter und moderner. Aber wer nicht will, könne sich ja einfach Online zuschalten. Zeitgemäß jedenfalls sei das alles.
Hätte Jesus schon Internet gehabt, wären seine Jünger vielleicht auch "Follower" gewesen.
* connect - verbinden, anschließen
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 21. Februar 2021 | 06:40 Uhr
v-dog vor 3 Tagen
Dieser Artikel hat mich echt überzeugt mir die Connectkirche mal anzuschauen. Kirchen sollten modern sein und das hört sich hier voll danach an. Schön, dass Erfurt so lebendig ist!
AlexBlum vor 3 Tagen
WOW - Danke für den coolen Artikel. Wir haben uns sehr gefreut, dass ihr persönlich bei uns im Gottesdienst ward und euch ein Bild von uns gemacht habt. Gerne wieder.
Sarah A. vor 3 Tagen
Vielen Dank für diesen Artikel! So sollte Kirche sein - lebensnah, authentisch und zeitgemäß. Ich feiere die Connectkirche und das was sie in Erfurt tut! Lohnt sich da mal vorbeizuschauen!