Polizeieinsatz in der Michaelisstraße Erfurt
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Mafia-Überfall in Erfurt "Das war ein gezielter Angriff"

25. Oktober 2017, 19:00 Uhr

Der mutmaßliche Mafia-Überfall in Erfurt vor zwei Wochen sorgt für Entsetzen bei Kommunalpolitikern und Bürgern. Jetzt wird bekannt: Bei der Attacke wurde offenbar geschossen. Versuch einer Tatrekonstruktion.

In der Erfurter Innenstadt herrscht geschäftiges Treiben. Der Herbst hat die Erfurter und die Touristen an diesem Mittwoch mit einem warmen Tag verwöhnt. Viele Gastwirte haben reagiert und ihre Tische vor den Kneipen noch nicht abgebaut. Die Menschen sitzen draußen, essen und trinken - auch in der Touristenmeile Michaelisstraße zwischen Krämerbrücke und altem Universitätsgebäude. Doch 18:30 Uhr ist plötzlich Schluss mit beschaulichem Plauschen und Genießen.

Am Ende der Michaelisstraße, vor einem historischen Restaurant, fliegen Stühle, schreien Menschen, prügeln sich zwei Dutzend Männer. Dann, so werden es Zeugen später aussagen, kracht ein Schuss. Und genauso schnell wie die Angreifer aufgetaucht waren, verschwinden sie wieder. Zurück bleiben verletzte und verstörte Gäste. Die Polizei ist schnell vor Ort. Die Ermittlungsarbeit beginnt. Doch die kommt ins Stocken.

Ermittler treffen auf Schweigen

Polizeieinsatz in der Michaelisstraße Erfurt
Die mutmaßlichen Opfer des Überfalls wollen nicht reden... Bildrechte: MDR/Marcus Scheidel

Denn einige der mutmaßlichen Opfer des Überfalls wollen nicht reden. Sie sind, so vermerken es die Beamten später, nicht einmal bereit, entsprechende Anzeigen aufzugeben. Die Polizisten werden misstrauisch. Zwischendurch stellt sich heraus, dass eines der Opfer beim Eintreffen der Polizei sogar geflohen ist. Was den Ermittlern Sorgen macht, sind die Zeugenaussagen zu der Pistole, aus der der Schuss mutmaßlich fiel. Von der Waffe fehlt jede Spur. "Vieles deutet darauf hin, dass es ein gezielter Angriff war", sagte ein Ermittler MDR THÜRINGEN. Dieser gezielte Angriff, das Schweigen der Opfer und das eiskalte Vorgehen der vermummten Angreifer erhärten schon am Tatabend den Verdacht, dass es sich um ein Problem mit Organisierter Kriminalität (OK) handeln könnte. Das scheint auch das Thüringer Landeskriminalamt (LKA) so zu sehen. Denn noch am späten Abend tauchen Experten des Dezernats 62 am Tatort in der Michaelisstraße auf. Diese LKA-Einheit ist für große OK-Verfahren in Thüringen zuständig. In internen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN vorliegen, ist später zu lesen, dass die Ermittler von Rivalitäten zwischen zwei armenischen Gruppen ausgehen, die hinter dem Angriff stecken könnten. 

Rivalität zwischen zwei Gruppen

Doch worin besteht diese Rivalität? Dass es Auseinandersetzungen und Feindschaften zwischen mindestens zwei ansässigen Gruppen in Erfurt gibt, hat MDR THÜRINGEN bereits mehrfach berichtet. Die ersten Auswüchse zeigten sich im Juli 2014 bei der Schießerei vor einem Spielpalast im Erfurter Norden. Zwei Männer wurden dabei schwer verletzt. Bis heute konnten die Ermittler nicht klären, warum es dazu kam. Klar ist: Bei der Schießerei war ein armenischer Mafia-Boss anwesend, der mit zwei anderen Männern aus Berlin angereist war. Deshalb gehen Ermittler davon aus, dass es einen gewichtigen Grund für das Treffen in dem Spielcasino gab.

Weitere Gewalttaten folgen: Nur ein Jahr später geht die Luxuslimousine eines mutmaßlichen Mafia-Mitglieds in der Weimarischen Straße in Flammen auf. Noch im selben Jahr, nur Monate später, wird der Luxusjeep eines Mannes, der zum Konkurrenzclan gehört, angezündet. Es folgt ein Brandanschlag auf ein Restaurant in der Erfurter Marktstraße. Inhaber sind Männer, die Mitglieder einer berüchtigten Straßengang waren. Ihr Restaurant wurde im Zuge der Ermittlungen zur Spielpalast-Schießerei bereits durchsucht. Der Name eines der Inhaber findet sich nun in den Ermittlungsunterlagen zum Überfall auf das Innenstadtrestaurant wieder. Zufall?

Und dann noch ein Zwischenfall: Am Rande des Weltmeister-Kampfes des armenischen Boxers Arthur Abraham kommt es im Frühjahr dieses Jahres in Erfurt zu einer Schlägerei. Männer, die alle wegen der Spielpalast-Schießerei vor dem Landgericht Erfurt standen und teilweise verurteilt wurden, gehen auf den armenisch-stämmigen Boxer Karo Murad los. Der war an dem Abend Gast bei dem Kampf. Warum der Angriff auf ihn? Beide Seiten schweigen, heißt es aus Polizeikreisen. Die Ermittlungen dazu laufen.

Clans agieren seit Jahren

Bereits 2009 hatte das Bundeskriminalamt (BKA) festgestellt, dass es in Erfurt mindestens zwei armenische Clans gibt, die offenbar in Konkurrenz zueinander stehen. Ihr Geschäft sind Drogen, Autohandel, Kreditbetrug und Immobilien. Bei den Ermittlungen wird deutlich: Beide Erfurter Gruppen sind national und international gut vernetzt. Das BKA vermerkt in den Akten mehrfach, dass Erfurt eine Operationsbasis ist. Von hier aus werden Geschäfte koordiniert und Gelder transferiert. Dafür unterhalten die Clans eigene Buchhaltungen. Sie engagieren Finanzmanager und Anwälte für ihre Geldgeschäfte.

Bereits im Frühjahr dieses Jahres machte MDR THÜRINGEN öffentlich, dass die Clanbosse mit freien Kreditberatern unter einer Decke stecken, die mit gefälschten Unterlagen Gelder von Banken und Sparkassen besorgen. Scheinbar ein System zur Geldwäsche, das seit Jahren auf Hochtouren läuft. Mutmaßliche armenische Bosse besitzen in Erfurt Eigentumswohnungen, Innenstadthäuser und Villen im Süden der Stadt. Das geht aus Geschäftsunterlagen hervor, die MDR THÜRINGEN vorliegen. Ihre Kontakte reichen nach Leipzig, Berlin und Köln, nach Spanien, Belgien und Frankreich. Außerdem gibt es offenbar Verbindungen beider konkurrierender Erfurter Gruppen nach Italien. Dort sitzen armenische Kontaktleute, die mit italienischen Geldfälscherbanden bei Neapel Geschäfte einfädeln. Ein mutmaßliches Mafia-Mitglied aus Erfurt ist dabei in Italien geschnappt, abgeschoben und in Abwesenheit verurteilt worden.

Die komplexen Zusammenhänge kennt inzwischen auch der neue Innenminister Georg Maier (SPD). Der hatte nach dem jüngsten Überfall mitteilen lassen, dass er den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität intensivieren will. Das wohl auch, weil sein SPD-Landesvorsitzender der Erfurter Oberbürgermeister ist. Andreas Bausewein hatte sich via Zeitung entsetzt gezeigt und der Polizei vorgeworfen, über die Aktivitäten von OK-Gruppen in Erfurt nicht informiert zu sein. Aufklärung will auch der Innenausschuss des Thüringer Landtages. Am Donnerstag muss Minister Maier den Abgeordneten Rede und Antwort stehen.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 25. Oktober 2017 | 19:00 Uhr

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