Weimar Schule und Corona: Lehrer haben derzeit drei Jobs
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Unterricht, Konsultationen und Homeschooling - das alles müssen Lehrer jetzt unter einen Hut bringen. Was das zeitlich bedeutet und wie das ihr Berufsbild beeinflusst, fragen wir Martin König. Er unterrichtet am Humboldt-Gymnasium in Weimar Mathematik.

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Die Pausenaufsicht im Humboldt-Gymnasium Weimar hat dieser Tage weniger mit Disziplin-Problemen zu kämpfen, sie muss vor allem auf Abstandsregeln und die Maskenpflicht achten. Und immer wieder kommen Schüler mit der gleichen Frage zu ihren Lehrern: "Gibt es vielleicht irgendwo Masken? Ich hab meine vergessen." Und tatsächlich hat die Schule für solche Fälle vorgesorgt. Ziemlich ruhig ist es auf den Fluren des Gymnasiums, schließlich sind auch noch nicht alle Kinder wieder da. Das heißt aber nicht, dass die Lehrer weniger zu tun haben - im Gegenteil.
Drei Jobs in einem
Martin König wollte schon in der Grundschule Lehrer werden. Er hat in Jena studiert und ist 2018 mit seiner Ausbildung fertig geworden. In sechs Klassen unterrichtet er am Humboldt-Gymnasium in Weimar Mathematik. Bis zur Corona-Pandemie. "Wie hatten, als die Schulschließungen kamen, niemals damit gerechnet, dass das so lange dauern würde" erzählt er. "Deshalb hatten wir zunächst auf der Homepage der Schule Wiederholungsaufgaben zusammengestellt."
Kommunikation kaum möglich
Als dann klar wurde, dass das nicht reicht, stellte König sich vor allem die Frage, wie er die Abschlussklassen für die Prüfungen vorbereiten könnte. Außerdem hielt er es für sehr schwierig, dass die Schüler sich selbständig, nur mit dem Lehrbuch neue Themen erarbeiten sollten. Dazu kam, dass von einem Tag auf den anderen der Kontakt völlig weggebrochen war. Die Lehrer hatten keine Emailadressen der Eltern, es war am Anfang kein Austausch möglich.
Bildung unterm Brennglas
Und jetzt in der Krise zeigt sich auch, wie schlecht das System Schule digital ausgestattet ist. Mittlerweile arbeitet das Humboldt-Gymnasium mit der Thüringer Schulcloud, das ist eine große Hilfe. Der inhaltliche Austausch oder eine Arbeitsteilung gestaltet sich trotzdem sehr schwierig, weil jeder Lehrer den Lehrplan in verschiedener Reihenfolge bearbeitet. Das heißt, es kann nicht ein Kollege die Arbeitsblätter oder Aufgabenstellungen für die gesamte Klassenstufe erstellen und teilen.
Noch etwas anderes macht Martin König Sorgen: "Es gibt sehr große Unterschiede zwischen den Schülern. Manche sind noch nicht mal in der Schulcloud angemeldet und wir erreichen die Eltern nicht. Manche geben ganz pünktlich tolle Aufgaben ab, andere verspätet, manche aber auch gar nicht, weil sie zu Hause keine Unterstützung haben.
Arbeitsalltag sehr verändert
Seit Wochen ist Martin Königs Arbeitsalltag völlig verändert. Er hat als Administrator die Schulcloud am Humboldt-Gymnasium mit eingerichtet, die Schüler eingeladen, technische und inhaltliche Fragen beantwortet. Dazu kam eine Flut vom Mails, weil sowohl Eltern als auch Schüler immer neue Fragen hatten. Manchmal so viele, dass er sie an einem Tag gar nicht alle gründlich beantworten konnte.
Jede Woche musste er für alle seine Klassen neue Aufgaben erarbeiten und in die Schulcloud laden und die Ergebnisse der Vorwoche sichten. Und die Korrektur kann er aus Datenschutzgründen nicht an die ganze Klasse schicken, jedes Kind bekommt eine individuelle Rückmeldung. Das dauert pro Klasse schon mal zweieinhalb Stunden. Wenn dann jemand mit dem Inhalt oder der Motivation Probleme hat und Martin König das merkt, überlegt er sich, wie er diesen Schülern gezielt helfen kann.
Großes Engagement bei Lehrern und Schülern
Um den Stoff besser vermitteln zu können, hat er auf youtube nach Videos gesucht. Da er dort nichts Passendes gefunden hat, dreht er jetzt auch selber Videos für seine Schüler. Parallel dazu erreichen ihn aber übers Telefon, die Schulcloud oder per Mail immer wieder Fragen von Schülern. "Bei all diesen verschiedenen Kanälen ist es schwer, den Überblick zu behalten und jedem umfassend gerecht zu werden" so König.
Seit einigen Tagen kommt nun auch wieder Unterricht dazu. Die ersten Klassen sind wieder in der Schule. Und obwohl Martin König dafür zusätzlich Zeit braucht, ist er begeistert: "Ich freue mich total, nach und nach die Schüler wiederzusehen. Und der Unterricht in den kleinen Gruppen macht auch Spaß. Man kann individueller auf die Schüler eingehen."
Praktisch geht es jetzt vor allem darum, die Abschlussklassen auf ihre Prüfungen vorzubereiten. König muss genau planen, was er unbedingt noch vermitteln muss, was gegebenenfalls verzichtbar ist. "Die Schüler haben sich jetzt fast zwei Jahre auf ihr Abi vorbereitet, da sind nicht die letzten drei Wochen entscheidend." Martin König findet es deshalb legitim, dass die Abi-Prüfungen ganz normal geschrieben werden. Allerdings meint er, dass die Themen der Homeschooling-Zeit anders oder gar nicht bewertet werden sollten.
Vielfalt ist enorme Belastung
Bei aller Freude darüber, dass der Unterricht wieder Stück für Stück beginnt, bleibt es doch ein Kraftakt. Denn die jüngeren Schüler arbeiten weiter zu Hause und müssen über die Schulcloud betreut werden. Da fehlt ihm dann natürlich die Zeit, die er in der Schule verbringt. Auf meine Frage, ob er sich dann dieses Jahr besonders auf die Sommerferien freut, schüttelt er trotzdem den Kopf. "Ich freue mich viel mehr, endlich alle Schüler wiederzusehen. Ich habe so viele Fragen: Wie ist es ihnen ergangen, was beschäftigt sie? Ein echter persönlicher Austausch."
Schule ist ja mehr als die Verteilung von Lerninhalten. Die soziale Komponente fehlt momentan völlig.
Die Lücken im Stoff werden Lehrern und Kindern noch lange zu schaffen machen. Man kann ja nach Corona nicht einfach im Lehrplan weitermachen. Martin König hält den versäumten Stoff zumindest in Mathe aber für aufholbar. "In normalen Zeiten vergessen die Kinder ja auch wieder viel vom Gelernten. Das kennen Lehrer und können damit umgehen."
Inspiration für Bildungssystem
Vor allem hofft Martin König, dass sich vieles in den Schulalltag übernehmen lässt, was derzeit in der Krise entwickelt wurde. Die digitale Kompetenz bei Lehrern und Schülern ebenso wie das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, selbstbestimmt zu lernen. Diese Hoffnung teilen viele seiner Kollegen.
Auch Kathrin Vitzthum, Landesvorsitzende der GEW Thüringen bezeichnet den Distanzunterricht als Bereicherung. Die Pädagogen haben aus ihrer Sicht in der Krise Gestaltungsspielräume genutzt und sich experimentell ins digitale Klassenzimmer gewagt: "Diese wertvollen Erfahrungen, die sicher auch Grenzen definieren, dürfen nicht durch einen vermeintlichen Regelbetrieb verloren gehen. Sie müssen vielmehr die Grundlage für Regelungen und schulische Konzepte werden. Wenn das gelingt, kann die Schulschließung zum Wendepunkt werden, für eine neu verstandene Schule."
Alltagshelden in Thüringen Hier erzählen wir in loser Folge Geschichten von Menschen aus Thüringen, die während der Corona-Krise für andere da sind. #miteinanderstark
Quelle: MDR THÜRINGEN
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 17. Mai 2020 | 06:00 Uhr
Susrich vor 34 Wochen
Wir befinden uns in einer globalen Krisensituation, die für alle eine große Herausforderung darstellt. Besonders Familien trifft diese Situation sehr hart und ich stimme Ihnen zu, dass es im gesellschaftlichen Diskurs häufig an Wertschätzung für die Leistung der Eltern fehlt, die einen Großteil der zusätzlichen Belastungen (sozial und finanziell) "einfach so" abfedern müssen.
Ich widerspreche aber mit Nachdruck den Vorwürfen an Lehrerinnen und Lehrer in Ihrem Kommentar. Der Artikel macht meiner Meinung nach sehr gut sichtbar, an welchen Stellen Mehrbelastungen entstehen und ich finde es auch wichtig, die Perspektive der Lehrerinnen und Lehrer in dieser Form sichtbar zu machen - gerade um Vorurteilen von angeblichen "Coronferien" etc. entgegenzuwirken.
Ich halte es für schädlich, den Umfang von Leid in der Corona-Krise gegeneinander aufrechnen zu wollen. Was wir jetzt brauchen ist Solidarität und Gemeinschaft, um uns gegenseitig zu unterstützen und füreinander da zu sein.
Homer vor 34 Wochen
Ich finde es bemerkenswert, dass Lehrer jetzt über eine Doppelbelastung anprangern, wo sie dich in den letzten acht Wochen sehr viel Freizeit hatten. Ich habe zwei schulpflichtige Kinder und ich kann mich überdies auch nicht daran erinnern, dass ein Klassenlehrer sich in den acht Wochen gemeldet hat um zu fragen, wie es läuft und ob es Probleme oder Fragen gibt. Vielleicht sollte auch dieser Berufsstand sich in diesen komplizierten Zeiten mal ein bisschen zusammenreißen und seinen Teil zur Wiederherstellung der Normalität ohne zu klagen beitragen. Dann würden sie einer Vorbildfunktion gerecht werden.