Tiefbauarbeiten in Gahma
Gemeinsam lässt sich auch ein sperriger Heizungsschlauch bändigen. Rentner Helmut Reiprich (blaue Mütze) packt genauso an wie die jüngeren Männer. Bildrechte: MDR/Franziska Heymann

Ein Dorf baut um Gahma nimmt neues Wärme- und Abwassernetz selbst in die Hand

05. November 2020, 20:07 Uhr

Nach jahrelangem Streit mit Behörden bekommen die 150 Bewohner von Gahma im Saale-Orla-Kreis ein modernes Abwassersystem. Weil für die neue Technik sowieso das ganze Dorf aufgerupft wird, wird gleich im großen Stil gebaut: Nahwärme, Glasfaser, Strom und Straßenbeleuchtung. Angestoßen wurde das in dieser Art landesweit einmalige Bauprojekt durch eine Genossenschaft der Dorfbewohner.

Autorenbild Franziska Heymann
Bildrechte: MDR/Daniela Dufft

In Gahma sind an diesem Mittwochnachmittag Männer mit Gefühl gefragt. Zu sechst manövrieren sie das Hauptrohr für das neue Wärmenetz beinahe im 45-Grad-Winkel in eine schmale Gasse hinein. Es knackt und knirscht. Bernhardiner Henry guckt interessiert zu und feuert die Männer mit einem inbrünstigen "Wuff" an.

"Das ganze Dorf macht mit und ich finde, das ist eine prima Sache, wenn man das zusammen in die Hand nimmt", schnauft Sandro Putz, der sich eine kurze Auszeit genommen hat von seinem Job im Stahlbau. Und der 79 Jahre alte Rentner Helmut Reiprich freut sich auf ein modernes Abwasser- und Wärmenetz: "Man wird ja nicht jünger!

"Jeder hilft, wie er kann"

Seit etwa sechs Wochen wird in Gahma gebaut - und wohl noch bis ins Jahr 2023 hinein werden die Dorfbewohner viele Stunden ihrer Freizeit damit verbringen, das kleine Dorf zu modernisieren. "Jeder hilft, wie und wann er kann, egal ob alt oder jung", sagt Garten- und Landschaftsarchitekt Dennis Blochberger, "es ist ein tolles Gemeinschaftsgefühl im Dorf". Die Männer sind sich einig: Gemeinsam bauen macht mehr Sinn, als wenn jeder sein eigenes (Abwasser-)Süppchen kocht.

Der Auslöser für den Bauwahn reicht bis ins Jahr 2015 zurück: Die meisten der 150 Bewohner nutzen noch Dreikammer-Klärgruben aus DDR-Zeiten. Diese sind nach EU-Richtlinien nicht mehr zulässig und müssen saniert werden. Doch wegen seiner Lage und der geringen Größe kann und will der Zweckverband das Dorf nicht an eine große Kläranlage anschließen. Der Abwasserzweckverband forderte ursprünglich die Umrüstung auf vollbiologische Kleinkläranlagen. Damit wären auf jeden Haushalt Kosten von etwa 15.000 Euro zugekommen, zuzüglich der Arbeiten auf dem eigenen Grundstück.

Kostenersparnis durch Genossenschaft

"Statt vieler kleiner Kläranlagen an jedem Haus bauen wir nun lieber zwei große", erzählt Ortssprecher Tino König (CDU). Beinahe liebevoll schaut er auf die Gruppenkläranlage, die mitten im Dorf versenkt wurde - und in der aktuell noch eine Kröte ihre Runden im Regenwasser schwimmt. "Na, die wird wohl bald ausziehen müssen", sagt König. Um das neue Abwassernetz zu bauen, haben sich knapp 50 Haushalte zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen. Damit kostet der neue Abwasseranschluss nur noch 1.500 Euro - zuzüglich Genossenschaftsanteil und den Erdarbeiten auf dem eigenen Grundstück.

Der Abwasserzweckverband unterstützt das Dorf, eine Firma aus dem benachbarten Eliasbrunn übernimmt die Kanal- und Tiefbauarbeiten. Grundsätzlich könne man leichter planen als der Zweckverband, man sei weniger an Vergaberichtlinien gebunden, sagt König. "Wir bauen, wie wir denken. Aber müssen dafür auch gerade stehen." Ein bisschen Galgenhumor ist auch dabei. Und natürlich wird nach gesetzlichen Vorgaben gebaut, versichert König, auch wenn die wackeren Dorfmannen beim Thema Heizungs- und Internetbau "jungfräulich" an die Sache rangehen.

Neues Wärmenetz für Gahma

Die fleißigen Helfer aus dem Dorf versuchen, ein 75-Meter-Bandwurm-Monster in die Erde zu kriegen - die künftige Hauptleitung für das neue Wärmenetz. Hund Henry beäugt die schnaufenden Männer kritisch. Weil für den Bau des Abwassersystems sowieso das Dorf aufgebuddelt wird - und alle Dorfbewohner auch Waldbesitzer sind - wird gleich noch ein neues Wärmesystem gebaut, das die Genossenschaft betreiben will. So mancher heizt aktuell noch mit einem Ofen.

Die Gemeinde baut außerdem neue Straßenlampen, der Netzbetreiber verlegt neue Erdkabel. "Und um für junge Familien attraktiv zu sein, verlegen wir Leerrohre für Glasfaserkabel", sagt Tino König. Ein Netzbetreiber fürs schnelle Internet hat sich allerdings noch nicht gefunden. Alles in allem werden mehr als eine Million Euro verbaut. Vom Freistaat Thüringen gibt es allein für das Abwassernetz 244.000 Euro Fördermittel.

Behördenmühlen mahlen langsam

Weil es ein Genossenschaftsprojekt wie in Gahma bisher noch nicht gab in Thüringen, wurde die Fördermittelrichtlinie angepasst. Unklar war auch, ob eine Genossenschaft auf öffentlichem Grund bauen darf. Alle rechtlichen Fragen, auch zur Finanzierung, zu klären, das hat gedauert.

Umweltstaatssekretär Olaf Müller (Grüne) hat die Dorfbewohner seit 2016 unterstützt. Kleinkläranlagen seien unökonomischer, sagt er und lobt das Genossenschaftsmodell. "Natürlich ist es für Behörden immer ein bisschen aufwändiger, sowas zu bearbeiten. Aber ich finde, es ist eine gute Sache, wenn sich eine Dorfgemeinschaft zusammenschließt und ihre eigenen Probleme in die eigenen Hände nimmt." Das Dorf als Genossenschaft, die selbst anpackt - über diese Idee lohne es sich nachzudenken, sagt auch der Hauptgeschäftsführer des Thüringer Städte- und Gemeindebundes, Ralf Rusch. "Aber natürlich müssen da zahlreiche juristische Fragen geklärt werden." Er will die Idee dennoch dem zuständigen Ausschuss vortragen.

Ein Vorbild für andere?

Ortssprecher Tino König glaubt nicht, dass die Genossenschaft für jedes Dorf das richtige ist. "In ganz vielen Orten ist es so, dass die Ortsgemeinschaft zwiegespalten ist. Und so ein Projekt muss durch das ganze Dorf funktionieren." 2016/17 hätten ihn viele interessierte Orte angesprochen, "aber ich glaub, denen hab ich allen den Mut genommen. Die wollten das nicht als Gemeinschaftsprojekt stemmen, sondern es sollte nur eine kostengünstige Alternative werden."

Selbst in Gahma, wo das Dorf größtenteils zusammensteht, hat das Projekt Gegner. Das liegt laut König unter anderem daran, dass eine der beiden neuen Kleinkläranlagen mitten im Dorf aufgestellt werden musste, weil dort die Gefälle zusammenkommen. "Wenn alles fertig gebaut ist und nichts riecht und alles leise läuft, dann hoffen wir, dass sich bei den Anwohnern die Wogen glätten." Die zweite neue Kläranlage steht außerhalb am Ortsrand.

Bis 2023 wird in Gahma wohl auf jeden Fall gebaut. Ortssprecher König hofft, dass sein Dorf dann ein positives Beispiel sein wird - auch wenn er nicht glaubt, dass es in diesem Umfang viele Nachahmer gibt. Der Zusammenhalt im Dorf sei allerdings gewachsen. "Die Leute freuen sich, etwas miteinander zu tun und das ist vielen mehr wert, als am Ende fünf oder zehn Cent beim Heizen zu sparen", glaubt er.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 04. November 2020 | 19:00 Uhr

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