Geschichte erleben Jugendliche pflegen Kriegsgräber in Gotha

27. Juli 2020, 20:26 Uhr

Sie sind jung - zwischen 15 und 24. Sie kommen aus Hessen, Berlin oder Sachsen. Wie in jedem Jahr sind wieder mehr Mädchen als Jungen dabei. Einige waren schon in Workcamps des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, andere sind zum ersten Mal hier. Die Gründe dafür sind unterschiedlich.

Melissa aus Nordhessen erzählt mir, dass sie sich für Geschichte interessiert, auch für die von Gotha. Tankred aus Berlin ist schon zum sechsten Mal bei einem Workcamp. Er mag es, andere Leute kennenzulernen, die dieselben Interessen haben wie er. So sieht das auch Konstantin, ebenfalls aus Berlin und ebenfalls zum sechsten Mal dabei. Anfangs sei er nicht ganz freiwillig zum Workcamp gefahren. Ein Lachen kann er sich nicht verkneifen.

"Ich glaube, so fangen viele Geschichten hier an. Beim ersten Camp, da war ich 14 oder 15, da hat es total viel Spaß gemacht. Man lernt neue Leute kennen aus anderen Gegenden, die auch ein ganz anderes Leben führen als man selbst. Man kann sich mit der Geschichte auseinander setzen. Und die Arbeit macht tatsächlich auch Spaß, meistens."

Wecken um sieben und Essen von der Bundeswehr

Angereist sind die zwölf Jugendlichen schon am Wochenende. Sie übernachten im Internat der Verwaltungsfachschule. Am Sonntag haben sie den Gothaer Hauptfriedhof bereits bei einer Führung kennenlernen dürfen.

Am Montagmorgen haben die Wecker dann gegen sieben Uhr geklingelt. Aufstehen, duschen, Zähne putzen und frühstücken. Das Essen, so erfahre ich von Campleiter Michael Kupiec, wird von der Bundeswehr geliefert. Seit Jahren helfen die Soldaten aus Gotha bei der Versorgung der Campteilnehmer. Eine Hilfe, für die sie sehr dankbar sind, sagt Kupiec. Mit einem vollen Bauch und zufrieden in die Welt blickend, machen sich die zwölf Jugendlichen mit ihren drei Betreuern auf den Weg zum Hauptfriedhof. Der erste Arbeitstag beginnt um 9 Uhr.

Sie werden bereits erwartet von Uwe Smuda. Er arbeitet auf dem Hauptfriedhof in Gotha und leitet die Jugendlichen an: "Das ist relativ einfach hier. Eine Handheckenschere kennt jeder. Die hat jeder irgendwie schon mal in der Hand gehabt. Ich habe ein Mustergrab vorbereitet und danach können sie gehen." Milde lächelnd schiebt er noch hinterher, dass er ja auch da sei und auch mal korrigierend eingreifen könnte. Er freut sich, dass die Jugendlichen die Friedhofsmitarbeiter unterstützen: "Wir sind sehr froh, dass der Volksbund hier kommt und die Kriegsgräber mit pflegt. Weil wir so viele andere Dinge zu tun haben. Und das ist eine richtige Erleichterung."

Gräber und ein Denkmal

Die Gräber sowjetischer Soldaten und das Denkmal der Alliierten sind für die kommenden Tage die Arbeitsplätze der jungen Leute. Mit Schaufeln, Schubkarren und Heckenscheren ziehen sie nun jeden Morgen los. Sie waschen Grabsteine ab, säubern Wege, stutzen Hecken.

In diesem Jahr sind die Ziele kleiner als sonst, erzählt Campleiter Michael Kupiec: "Dadurch, dass wir so wenig Leute sind, wollen wir schon einen sichtbaren Erfolg haben, aber eben nicht zu viele Dinge anfangen und dann nicht fertig werden."

Wegen der Corona-Pandemie ist 2020 alles anders als sonst. Eigentlich gibt es jährlich 40 Workcamps, erzählt Campleiter Michael Kubiec während er den Jungs und Mädels zeigt, was sie machen sollen. Doch Workcamps im Ausland wie Polen, Frankreich oder Ungarn mussten abgesagt werden. Internationale Teilnehmer konnten nicht nach Deutschland kommen. Statt zwei dauern die Camps nur eine Woche. Kurzfristig wurden Alternativcamps in Deutschland organisiert. So wie in Gotha. Bereits zum 25. Mal ist der Volksbund mit Jugendlichen hier vor Ort.

2020 keine internationalen Begegnungen

Und so ist auch Luca Eleonore aus der Nähe von Berlin nach Gotha gekommen. Mit 17 ist sie eine der Jüngsten hier. Eigentlich wollte sie ein Workcamp in Ungarn besuchen. So wie Luca Eleonore wollten auch viele andere dieses Jahr nicht in Deutschland auf einem Friedhof helfen, sondern in Italien oder Ungarn, sagt Henrik Hug Geschäftsführer des Thüringer Volksbundes: "Der Schwerpunkt ist eigentlich die internationale Begegnung, die aber in diesem Jahr leider ausfällt. Deshalb gibt es die Camps in abgespeckter Form nur mit deutschen Teilnehmern in Deutschland."

Tankred aus Berlin wollte dieses Jahr eigentlich in Polen in den Masuren helfen. Während er die Buchshecken schneidet auf den Gräbern sowjetischer Soldaten, denkt er zurück an seine fünf vorherigen Camps. Er erinnert sich an die Schüchternheit am Anfang. Das immer wieder Kennenlernen.

Auch wenn er zum ersten Camp von seinen Eltern so ein bisschen gedrängelt wurde, inzwischen hat er Spaß, sagt er. Und zwar nicht nur daran, andere Leute kennenzulernen, sondern auch an der Arbeit. Mit seinen zwei Metern und fünf Zentimetern Größe mag er aber Arbeiten in gebückter Haltung so gar nicht. Er hält sich den Rücken, lächelt und sagt: "Liegt an meiner Größe, aber die Arbeit muss ja gemacht werden."

Die russischen Inschriften auf den Grabsteinen kann er nicht lesen. Olga aus Dresden, die jetzt in Fulda studiert schon. Sie liest den anderen auch mal vor, was da steht. Ihr Vater ist Ukrainer. Sie ist zweisprachig aufgewachsen.

"Grausam, weil auch sehr junge Menschen"

Auch sie ist nicht zum ersten Mal dabei. Sie ist durch ihre Mutter zu den Workcamps gekommen, denn die ist Mitglied im Volksbund. Sie mag wie Geschichte und Freizeit verbunden werden in den Camps. "Geschichte ist für junge Menschen sehr unzugänglich, weil man nur in der Schule darüber spricht. In den Workcamps kann man Geschichte durchleben und selber erleben." Wenn sie die Namen und Ziffern laut vorliest, die auf den Grabsteinen stehen, ist in den Augen der Jugendlichen zu sehen, wie nachdenklich sie werden. "Das zu lesen, ist eigentlich sehr grausam, weil auch sehr junge Menschen dabei waren.", sagt Olga.

Die Jugendlichen wachsen auch in ihrer Persönlichkeit während der Campwochen. Und einige kommen irgendwann vielleicht als Campleiter wieder. So wie Michael Kupiec, Campleiter des Workcamps in Gotha. Er arbeitet sonst mit Freiwilligen in Polen. Früher war er selbst Campteilnehmer. Heute leitet er sie. Eine nicht ganz unübliche Karriere beim Volksbund.

Geschäftsführer Henrik Hug erzählt, er sei über den familiären Hintergrund zum Volksbund gekommen. Beide Großväter sind im Weltkrieg gefallen. Es verändert eine Familiengeschichte, sagt er, wenn die Großväter oder Väter fehlen im Alltag und der Erziehung. Die Jugendlichen heute hätten oft keinen direkten Bezug mehr zur Weltkriegs-Geschichte. Inzwischen sei das ja die Urenkelgeneration, so Hug. Er selbst hat 20 der Workcamps geleitet - auch auf der Krim oder in der Normandie. Er freut sich, dass auch in diesen ungewöhnlichen Zeiten Jugendliche den Weg ins Workcamp gefunden haben.

Nach drei Stunden ist Schluss mit Arbeiten. Um 12 Uhr werden die Gartengeräte zur Seite gelegt. Dann geht es zum Mittagessen. Inzwischen wird viel mehr miteinander gesprochen. Die Jugendlichen kommen sich näher, lernen sich kennen, hören einander zu. Am Nachmittag ist Freizeit angesagt...Wandern, Baden, Bummeln. Denn wichtig in den Camps sei auch, dass die Jugendlichen sich und die Umgebung kennenlernen.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Thüringen Journal | 27. Juli 2020 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

Lothar Thomas am 29.07.2020

Sehr schön, auch mal davon zu lesen, dass es heutzutage noch Jugendliche gibt, die mehr in ihrem Leben sehen, als ständig nur zu Feiern und sich zu bekiffen.

Diese Jugendlichen machen eine wichtige Arbeit, egal in welchem Land.

Sie bewahren einen Blick auf die unrühmliche deutsche Geschichte, überall in Kriegen sterben Soldaten, wo auch immer.

Hier sind es sowjetische Gräber, in anderen Ländern gibt es deutsche Kriegsgräber.

Es ist wichtig ein ehrendes Gedenken für alle in Kriegen verstorbenen Soldaten zu bewahren.

Ich hätte es den Jugendlichen gegönnt ihre Arbeit auch wie vorgesehen in einem Camp im Ausland zu verrichten, doch diese unglückseligen Umstände mit Corona zwingen Sie nun mal in Deutschland zu bleiben und die ausländischen Jugendlichen in ihren jeweiligen Ländern.

Auf jeden Fall ist es wichtig, dass überall die Jugendlichen als wichtigste Erkenntniss aus ihrer Arbeit am Ende mitnehmen, es darf keinen neuen Krieg mehr geben.

Wer pflegt sonst dann noch Gräber?

Wahrsager am 27.07.2020

Sowjetische Friedhöfe und Grabmale zu pflegen , ist sehr ehrenhaft und komplett zu begrüßen. Dort wird wirklich unschuldig in den Krieg hineingezogenen Opfern gedacht, die oftmals regelrecht verheizt wurden. Zu DDR-Zeiten errichtete, abstrakte Sowjetunion-Huldigungs-Pilgerstätten sind dagegen oft sehr bedenklich.

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