Zum Betrugsfall beim ARD/ZDF-Kinderkanal Intendant sagt Gremien rückhaltlose Aufklärung zu

20. Januar 2011, 12:30 Uhr

MDR-Intendant Prof. Udo Reiter hat am Montag in Leipzig Rundfunk- und Verwaltungsrat des MDR umfassend zum aktuellen Sachstand und ersten Konsequenzen im Betrugsfall um den ehemaligen KI.KA-Herstellungsleiter informiert und eine akribische Aufklärung zugesagt.

„Ich habe die rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle beim KI.KA angeordnet. Es gibt keinen anderen Weg, als die Ursachen und Verantwortlichkeiten umfassend aufzudecken, und dann die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen“, erklärt MDR-Intendant Prof. Udo Reiter.

Reiter, der vor Jahren in besonderer Weise dazu beigetragen hatte, den KI.KA zu ermöglichen und dann in Thüringen anzusiedeln, fühlt sich durch diesen Skandal auch persönlich betroffen: „Ein leitender Angestellter des Kinderkanals, den wir als tüchtig, zuverlässig und vertrauenswürdig eingeschätzt haben, hat seine Schlüsselposition missbraucht, um Geld, das für das Kinderprogramm vorgesehen war, gezielt zur Seite zu schaffen.“ Dies stelle auch das Vertrauen der Gebührenzahler auf eine harte Probe.

Schadenssumme beläuft sich auf zirka sieben Millionen Euro

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, sich seit 2005 gemeinsam mit einer Berliner GmbH erfundene Dienstleistungen vom KI.KA bezahlt haben zu lassen. Die Behörden beziffern den Schaden der massiven Fälle von Betrug und Untreue im strafrechtlich relevanten Fünfjahreszeitraum derzeit auf rund vier Millionen Euro. Die bei dieser „gewerbsmäßigen“ Untreue geflossenen Beträge sollen sich der ehemalige KI.KA-Mitarbeiter und der Geschäftsführer der Produktionsfirma geteilt haben.

Die Revisionen von MDR und ZDF nehmen derzeit alle Geschäftsbeziehungen seit Sendebeginn 1997 unter die Lupe. Auch wenn die Ermittlungen noch nicht vollständig abgeschlossen sind, ist der Schaden größtenteils identifiziert: „Wir gehen insgesamt von einer Schadenssumme von zirka sieben Millionen Euro aus“, so Reiter. Darin eingeschlossen seien knapp 280.000 Euro, die eine weitere Firma ebenfalls über Scheinrechungen und offenbar mit Hilfe desselben Herstellungsleiters abgezweigt habe. Diesen weiteren Fall haben die Revisionen aufgedeckt; die Ermittlungsbehörden wurden informiert. Aus ermittlungstaktischen Gründen können derzeit keine weiteren Angaben dazu gemacht werden.

Schlüsselposition und kriminelle Energie als Boden für Betrügereien

Nach den bisherigen Erkenntnissen sind offenbar zwei Dinge für die Betrügereien entscheidend gewesen. Zum einen die Schlüsselposition, die der Herstellungsleiters im KI.KA innehatte. Der Beschuldigte hat den Sender mit aufgebaut, produktionstechnische und kaufmännische Prozesse auf sich zugeschnitten. Das Mehr-Augen-Prinzip sei zwar angewandt, aber in seinem eigentlichen Sinn systematisch ausgehebelt worden.

In seiner Position als Herstellungsleiter war der fristlos Gekündigte auch Ansprechpartner für Rechnungshöfe und Revisionen und damit zumindest teilweise auch für die Umsetzung von Prüfungsempfehlungen verantwortlich.

Hinzu kam der Missbrauch eben dieser Schlüsselposition: „Wenn jemand in einer solchen Position kriminelle Energie entwickelt, wird es gefährlich. Er missbraucht dann das Vertrauen, das man für seine Leitungsaufgabe in ihn gesetzt hat“, so der MDR-Intendant.

Bislang hat sich der ehemalige Herstellungsleiter gegenüber dem MDR zu all den Vorgängen nicht geäußert. „Wir werden natürlich Schadenersatz fordern und dabei gegebenenfalls auch vor Gericht gehen“, so Reiter. Vom Geschäftsführer der Berliner Produktionsfirma liegt dem MDR ein notariell beglaubigtes Schuldanerkenntnis vor. Schließlich hat der MDR beim Finanzamt Berlin einen Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer aus den Scheinrechnungen gestellt. Welche Rückforderungen der MDR durchsetzen kann, ist allerdings noch nicht absehbar.

Eingeleitete Sofortmaßnahmen

Die Nische, die der ehemalige Herstellungsleiter genutzt hat, lag in der unzureichenden Funktionstrennung zwischen Anforderung, Beauftragung, Rechnungsprüfung und Zahlungsanweisung – und zwar ausschließlich bei produktionsbezogenen Dienstleistungen. Um diese Schwachstelle ohne Verzug zu schließen, wurden beim Kinderkanal entsprechende Sofortmaßnahmen eingeleitet. Bei allen anderen Vorgängen und bei den Auftragsproduktionen des KI.KA sind keine Betrugshandlungen festgestellt worden.

Des Weiteren prüft der federführende MDR personal- und arbeitsrechtliche Maßnahmen bezüglich einzelner Mitarbeiter der KI.KA-Herstellungsleitung, die Rechungen sachlich-rechnerisch richtig gezeichnet hatten, ohne zuvor die Leistung hinter diesen Scheinrechnungen zu prüfen. Dies würde einen Verstoß gegen geltende Dienstanweisungen bedeuten.

Darüber hinaus ist zu klären, ob der ehemalige Herstellungsleiter als Vorgesetzter seine Mitarbeiter in irgendeiner Weise gedrängt hat, nicht erbrachte Leistungen regelwidrig zu bestätigen. „Denn genau das hat den Betrug nicht auffallen lassen“, so der MDR-Intendant.

„Ich denke aber, dass darüber hinaus noch weitere Schritte notwendig sein werden“, resümiert Prof. Reiter und verweist auf die noch andauernden Untersuchungen.

Prüfbericht soll im März 2011 vorliegen

Die Revisionen vom MDR und ZDF arbeiten unter Hochdruck an dem abschließenden Prüfbericht mit Vorschlägen für weitergehende Maßnahmen. Der Abschlussbericht soll möglichst im März 2011 vorliegen. Ziel ist es, die Sicherheit in den Geschäftsvorgängen weiter zu erhöhen.

Schon in der Vergangenheit sei der KI.KA kein prüfungsfreier Raum gewesen. „Die Landesrechnungshöfe von Thüringen und Rheinland-Pfalz haben den Sender bis 2008 sechs Jahre lang geprüft“, erklärt der MDR-Intendant. Ebenso gab es eine Prüfung durch die Revisionen von hr und ZDF. Diese bescheinigte dem KI.KA grundsätzlich eine intakte Struktur und gab einige Empfehlungen, wie der Kinderkanal bei einzelnen Vorgängen anders verfahren sollte. Die Empfehlungen betrafen unter anderem die Zuständigkeiten für Auslösung von Aufträgen für Lieferungen und Leistungen sowie die personelle Trennung von Auftragsvergabe und Abrechnung. Die Revisionsempfehlungen wurden grundsätzlich umgesetzt, wobei der ehemalige Herstellungsleiter seiner Funktion entsprechend maßgeblich damit betraut war. „Das ist legal. Doch er hat es als Möglichkeit genutzt, sein Betrugssystem abzusichern“, stellt Prof. Udo Reiter das Perfide an den kriminellen Handlungen heraus.

Erfolge nicht durch Betrugsfälle kaputtmachen lassen

„Die Betrugsfälle beim KI.KA sind für mich auch deshalb so bitter und schlimm, weil sie verdecken, dass der Kinderkanal 2010 mit 19 Prozent Marktanteil bei den Kindern das erfolgreichste Jahr seit seinem Sendestart hatte“, so Reiters Bekenntnis zum KI.KA. Der Sender dürfe nun durch die kriminellen Handlungen nicht bleibend beschädigt werden. „Der MDR als Treuhänder der beim KI.KA eingesetzten Rundfunkgebühren setzt alles daran, diese Machenschaften aufzuklären und solche Vorfälle künftig soweit irgend möglich zu verhindern.“