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Interview mit Prof. Borwin BandelowAb wann ist Angst ungesund?

11. Oktober 2019, 17:48 Uhr

Angst und Panik sind Gefühle, die wir wohl alle kennen. Wie kann man sie überwinden? Was passiert dabei in unserem Körper? Wie funktioniert ein Adrenalin-Kick – und ab wann wird Angst zur Krankheit? Fragen an einen Angstforscher.

Unser Gesprächspartner:

Prof. Dr. Borwin Bandelow Bildrechte: imago/Future Image

Borwin Bandelow, Jahrgang 1951, ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Göttingen. Er gilt als einer der renommiertesten Angstforscher im deutschsprachigen Raum und ist Gründer und Ehrenvorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Angstforschung.

Welche Rolle spielt Angst in unserem Leben?

Die Angst begleitet uns durchs Leben. Wenn wir uns morgens ins Auto setzen und an einer roten Ampel halten, ist schon Angst im Spiel, ohne dass wir es merken. Wenn wir das nicht hätten, würden wir wohl über kurz oder lang durch Unfälle sterben. Aber es ist nicht so, dass wir durch diese Angst beeinträchtigt werden. Wir leben einfach damit wie ein Tier, das im afrikanischen Busch aufpassen muss, dass der Löwe es nicht erwischt. Das sind Angstsysteme, die unbemerkt ablaufen, ohne dass wir uns deswegen grämen oder darüber nachdenken müssen. Egal, ob wir eine Treppe hinunter laufen oder mit dem Fahrrad fahren: Immer passt die Angst auf uns auf, ohne dass wir es merken.

Was passiert in unserem Körper, wenn wir Angst haben?

Es gibt Angst-Erkrankungen, das ist dann keine normale Angst mehr, sondern übertriebene und unrealistische Angst, zum Beispiel bei der Höhen-Phobie. Das ist zwar eine recht harmlose Angst, aber sie ist recht weit verbreitet. Sie funktioniert so: Wenn man auf einer hohen Brücke steht oder in einem Flugzeug sitzt, sagt uns unser Angstsystem: Du bist kein Vogel, du kannst nicht fliegen! Du bist im freien Fall! Und dann werden die Symptome der Angst erzeugt. Zu diesen Symptomen gehören Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Schwindel, Blässe.

All diese Symptome haben eine gesunde Funktion: Wenn wir nämlich tatsächlich in Gefahr kommen, weil zum Beispiel jemand mit einem Messer hinter uns her läuft oder uns ein Tier angreift, dann müssen diese Angstsymptome uns helfen. Zum Beispiel wird Blut aus dem Kopf in die Muskeln gepumpt, damit wir besser kämpfen können oder in die Beine, damit wir weglaufen können. Das führt aber dazu, dass dieses Blut dann im Kopf fehlt, deshalb werden wir blass, uns wird schwindelig und wir fühlen uns, als würden wir gleich in Ohnmacht fallen. Auch Angstschweiß hat einen natürlichen Grund. Forscher nehmen an, dass er dazu dient, den Körper herunterzukühlen – so soll vermieden werden, dass der Organismus bei einem anstehenden Kampf überhitzt.

Wo liegt die Grenze zwischen normaler Angst und Angsterkrankung?

Diese ganzen Phobien, die viele Leute haben – etwa die Spinnenphobien - kann man eigentlich gar nicht als Krankheit bezeichnen, es sei denn die Leute müssen ihr ganzes Leben deswegen umstellen. Aber bei den Angsterkrankungen, also etwa Panikattacken und generalisierten Angststörungen, kann man sagen: Wenn die Leute 50 Prozent des Tages über ihre Angst nachdenken; wenn sie anfangen, Beruhigungsmittel oder Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen oder wenn sie berufliche, familiäre und soziale Schwierigkeiten wegen ihrer Angst bekommen und ihr ganzes Leben auf die Angst einstellen - dann ist eindeutig der Punkt erreicht, an dem man eine krankhafte Angst hat. Es geht also darum, wie sehr die Lebensqualität durch die Angst eingeschränkt wird.

Wie behandelt man eine Angsterkrankung?

Es gibt in Deutschland Leitlinien für die Behandlung von Angststörungen, wir arbeiten gerade wieder an neuen Versionen. Dabei sehen wir, dass eine Psychotherapie, etwa eine Verhaltenstherapie, sehr gut wirksam ist, ebenso bestimmte Medikamente – Antidepressiva zum Beispiel können bei einer Angsterkrankung helfen. Und zum Thema Psychoanalyse: Wir haben für die Leitlinien sehr viele Studien untersucht und da fällt auf, dass es für die Verhaltenstherapie hunderte Studien gibt, für die Psychoanalyse aber gerade mal sieben - und die zeigen noch nicht einmal, dass Psychoanalyse wirklich eindeutig wirkt, sondern wahrscheinlich schlechter als eine Verhaltenstherapie. Und es ist auch gar nicht mal so sicher, ob sie wirklich besser wirkt, als wenn man gar nichts tun würde. Deshalb bin ich kein Vertreter der psychoanalytischen Therapie, weil ich in meinem Leben sehr viele Patienten gesehen habe, die viele Stunden dabei verbracht haben, ohne dass eine deutliche Besserung eingetreten ist.

Wie lange dauert es, eine krankhafte Angst zu therapieren?

Kommt drauf an. Wenn man eine einfache Phobie hat, zum Beispiel eine Spinnenphobie, brauchen Sie manchmal noch nicht einmal eine Stunde! Da macht man eine Konfrontationstherapie, das geht wirklich in wenigen Stunden ab. Allerdings, wenn man jetzt eine handfeste Agoraphobie hat, mit einer Panikstörung, das dauert schon länger. Die Studien, die zur Wirksamkeit von Verhaltenstherapie gemacht worden sind, erstrecken sich meist über Zeiträume von bis zu 20 Stunden. Heißt: Man muss nicht unbedingt ein halbes Jahr oder ein ganzes Jahr lang zur Therapie laufen, um eine Besserung zu sehen, sondern das geht manchmal auch kürzer.

Kann man lernen, Angst besser auszuhalten?

Das ist tatsächlich so. Dieses primitive Angstsystem, das etwa die Höhenangst auslöst, wird irgendwann durch den Beweis des Gegenteils überzeugt. Wenn man lange hoch oben steht, ohne dass man stirbt, dann gewöhnt sich dieses Angstsystem daran. Das nennt man Habituation. Dieser Mechanismus wird auch in der Verhaltenstherapie ausgenutzt, indem man den Patienten direkt mit seinen Angstsituationen konfrontiert. Ganz wichtig dabei: aushalten, warten, bis die Panik vorbei ist und nicht schon nach ein, zwei Minuten aufgeben. Sonst merkt sich das Gehirn, dass kein Erfolg stattgefunden hat. Aber wenn man es 20 Minuten aushält und die Angst weggeht, dann hat man gewonnen.

Nach überstandener Angst hat man oft ein Hochgefühl. Woher kommt das?

Ich nenne das das Achterbahn-Prinzip: Wenn sie in der Achterbahn fahren, wird Ihnen suggeriert, dass sie in der nächsten Kurve rausfliegen und tot sind. Während das passiert, kriegt man also ganz tüchtig Angst. Aber es werden auch Endorphine ausgeschüttet, Wohlfühl-Hormone, um den Körper vorzubereiten auf einen Unfall. Diese Endorphine sorgen für Euphorie und Schmerzfreiheit. Und wenn Sie jetzt eine Mutprobe gemacht haben und erfolgreich waren, dann ist die Angst weg, aber die Endorphine kreisen noch im Blut. Bei der Achterbahn bezahlt man also Geld dafür, dass man diese Endorphinausschüttung hat, wenn man aus der Achterbahn rausklettert.

Wir kriegen Panik, wenn wir Spinnen oder Ratten sehen – dabei gibt es in unserer Welt doch Dinge, die viel bedrohlicher sind: Feinstaub, Klimawandel, Terror. Warum versetzt uns das nicht in Panik?

Bildrechte: imago/Panthermedia

Dieses primitive Angstsystem, das wir im Gehirn haben, reagiert nur auf Gefahren, die vor einer Million Jahren auch schon da waren: Feuer, laute Geräusche, angreifende Bären und so weiter. Auch auf einen Zwanzigtonner, der auf uns zurast, reagiert es natürlich. Aber dieses System ist wirklich auf der Stufe eines Huhnes, intellektuell gesehen. Es kann keine Gefahren gut einschätzen, für die man so ein bisschen Vorbildung braucht. Zum Beispiel ein Atom: Das kann man nicht fühlen, nicht riechen, nicht hören. Aber diese Strahlung kann zu massiven gesundheitlichen Schäden führen. Aber das Angstsystem reagiert nicht darauf, weil das eben so vorausschauendes Denken erfordert, bei dem man sich überlegen muss, was in 20 Jahren ist. Und das kann dieses primitive Angstsystem nicht.

Gibt es Menschen ohne Angst?

Es gibt bestimmte Krankheiten, die wir psychiatrisch behandeln, bei denen die Menschen weniger Angst haben. Dazu gehören unter anderem die sogenannte Borderline-Störung und die antisozialen Persönlichkeitsstörungen. Antisoziale Persönlichkeiten sind die, die oft im Gefängnis sitzen, weil sie zum Beispiel eine Körperverletzung begangen haben. Das sind Menschen, die offenbar weniger Angst haben, sich selbst zu verletzen, in Kämpfe zu gehen, bestraft zu werden. Das ist schon kein guter Lebensstil, damit kommt man nicht besonders weit.

Sind Sie als Angstprofi frei von Angst?

Nein, ich bin ein ganz normal ängstlicher Mensch, glaube ich. Ich passe immer auf, dass ich mich mit dem Fahrrad nicht auf die Nase lege. Und ich bin auch mit den Jahren immer vorsichtiger geworden - das ist ja so eine Erscheinung, dass man im Alter einfach langsamer und vorsichtiger wird, was körperliche Dinge und zum Beispiel auch Autofahren angeht. Aber ich bin, glaube ich, bin diese Richtung ganz normal.

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN Radio | 28. Februar 2018 | 06:30 Uhr