Evolution Frau aus Tschechien: Ältestes Genom eines modernen Menschen entschlüsselt

08. April 2021, 13:25 Uhr

Wissen Sie, von wem Sie abstammen? Also klar, von ihren Eltern – aber so ganz global und historisch betrachtet? Die Geschichte der Menschheit fasziniert auch die Forschung. Denn sie ist wie ein Puzzle mit großen Löchern, aber immer wieder tauchen neue Puzzleteile auf, die das Bild erweitern – meist in Form von Knochenfragmenten oder Zähnen. Dass es ein fast vollständig erhaltener fossiler Schädel ist, ist selten. Doch genau so einer hat Gen-Forschern jetzt sein Geheimnis preisgegeben: Sie konnten das älteste Genom eines modernen Menschen entschlüsseln - es war eine Frau und sie lebte vor mehr als 45-tausend Jahren.

Schädel
Der Schädel der Frau von Zlatý kůň - eine der ersten Europäerinnen. Bildrechte: MPI EVA Leipzig

Alles begann im Jahr 1950: In einer Höhle südwestlich von Prag wurde ein menschlicher Schädel gefunden. Und schon damals glaubte man, dass es sich um einen sehr alten Skelett-Überrest handeln musste. Doch bei der genauen Bestimmung des Alters lieferten die üblichen Methoden keine plausiblen Ergebnisse. Deshalb haben sich die Tschechen an Fachleute in Deutschland gewandt. Die arbeiten zum Beispiel am Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, dem MPI für Menschheitsgeschichte Jena und der Uni Tübingen. Sie sollten das genaue Alter mit Hilfe einer Genanalyse bestimmen, erzählt der Bioinformatiker und Evolutionsgenetiker Kay Prüfer, der jetzt am MPI Leipzig forscht. "Und so ging das los. Wir haben Material extrahiert, dann DNA extrahiert direkt von dem Schädel und haben dann das Genom sequenziert."

Schädel
Erste Versuche, den Schädel von Zlatý kůň anhand der Form zu datieren, ergaben ein Alter von mindestens 30.000 Jahren. Das Forschungsteam glaubt nun, dass er sogar mehr als 45.000 Jahren alt sein könnte. Bildrechte: MPI EVA Leipzig

Das Geheimnis der Knochenreste

Denn selbst tausende Jahre nach dem Tod eines Menschen finden sich in den Knochenresten noch Fragmente seines Erbguts. Aber was kann die DNA über das Alter verraten? Da hilft unser Wissen über die Neandertaler, erläutert Prüfer. Denn wir alle haben bis heute zwei bis drei Prozent Neandertaler-DNA in unserem Erbgut. "Das geht zurück auf eine Vermischung mit Neandertalern, die wahrscheinlich relativ kurz nachdem sie aus Afrika rausgekommen waren im Nahen Osten gelandet sind", erklärt Prüfer weiter.

Zähne
Backenzahn eines der Individuen aus der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien. Dort entdeckten Forschende Fossilien aus der gleichen Zeit. Bildrechte: MPI EVA Leipzig

Neandertaler-DNA verrät Alter

Und diese Vermischung ermöglicht es den Genetik-Spezialisten die Knochen grob zu datieren. Denn bei jeder Fortpflanzung werden die Chromosomen von Mutter und Vater vermischt. Diese Rekombination sorgt dafür, dass die Neandertaler-DNA von Generation zu Generation immer weniger werde.

Weil das so ist, können wir uns quasi anschauen, wie lang diese Fragmente sind, die wir vom Neandertaler in diesem Genom finden und dann zurückrechnen, wie lange nach der Vermischung mit Neandertalern ein Individuum gelebt hat. Da kam raus, dass es 60 bis 80 Generationen nach der Vermischung gelebt hat.

Dr. Kay Prüfer MPI EVA Leipzig

Genom ist das älteste eines modernen Menschen

Das bedeutet, dass der Schädel einer Frau mindestens älter als 45.000 Jahre sein muss und sogar noch ein paar tausend Jahre älter sein könnte. Das Genom aus Tschechien ist damit das älteste eines modernen Menschen – eines Homo sapiens – das bisher jemals entschlüsselt worden ist. Und dennoch: Die Frau ist trotzdem nicht unsere Vorfahrin. Denn die Linie, zu der sie gehört, war eine frühere, die ausgestorben sein muss. Aber warum? Ein Grund könnte ein extremer Ausbruch des Vulkans Vesuv gewesen sein, bei dem es noch im Gebiet des heutigen Russland Asche regnete.

Eingang zur Bacho-Kiro-Höhle (Bulgarien).
Eingang zur Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien. Bildrechte: MPI EVA Leipzig

Heftiger Vulkanausbruch

"Es gibt einen großen Vulkanausbruch in Italien, der vor 39.000 Jahren passiert ist und von dem wir wissen, dass er das Klima stark geändert hat", so Kay Prüfer. "Die Temperaturen sind damals wahrscheinlich um mehrere Grad Celsius zurückgegangen. Dieser Ausbruch könnte zumindest ein Beitrag gewesen sein zum Aussterben der Neandertaler und vielleicht auch dieser Menschengruppe, die wir jetzt nicht mehr repräsentiert sehen."

Archäologen bei der Arbeit
Die Überreste dreier Individuen, die ähnlich alt sein können wie die Frau aus Tschechien, fanden die Forschenden in der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien. Bildrechte: MPI EVA Leipzig

Zwei Gruppen des Homo Sapiens

Vor 45.000 Jahren müssen also mindestens zwei Gruppen des Homo Sapiens in Europa gelebt haben. Die genetischen Vorfahren von uns heutigen Menschen gehören nämlich zu dieser zweiten Gruppe. Aktuelle Forschungsergebnisse von Prüfers Fachkollegen am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Jena zeigen nämlich, dass wir heutigen Menschen ihre Gene tragen – interessanterweise vor allem in Ostasien und nicht vorrangig in Europa. Auch da gibt es also noch viele Fragezeichen. Für noch mehr Antworten wollen die Forschungsteams jetzt ihre Daten zusammenbringen und miteinander vergleichen.

Links zu den Studien

Die Forschungserbebnisse sind in zwei Studien veröffentlicht worden, die beide in "nature" erschienen sind.
Mateja Hajdinja et al. Initial Upper Palaeolithic humans in Europe had recent Neanderthal ancestry und
Kay Prüfer, Cosimo Posth et al. A genome sequence from a modern human skull over 45,000 years old from Zlatý kůň in Czechia.

Profil-Porträts eines männlichen Neandertalers (Modell) und einer modernen Frau: Neandertaler mit breitem Kopf, Stirnwulst, großer Nase und hervorstehendem Mund; Frau mit zarteren Gesichtszpgen und dunkelblonde Haare zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Neandertaler stützt Kopf auf Faust, Frau blickt leicht nach vorn-unten. 2 min
Bildrechte: IMAGO (Steffen Schellhorn/Westend61; M), Montage: MDR
2 min

MDR AKTUELL Do 28.05.2020 14:48Uhr 02:27 min

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