Illustration  zum Therma Gehirn Alzheimer Demenz Denken Vergesslichkeit: Drei Bäume mit Gesichtsumriss, einer mit roter, einer mit gelber, einer mit grüner Laubkrone. Der Baum mit rotem Laub verliert am Hinterkopf" extrem viele Blätter und das Geäst ist zu sehen.
Je älter man wird, umso höher ist das Risiko, dement zu werden. Es gibt verschiedene Demenzarten. Die mit Abstand häufigste mit 60 bis 80 Prozent ist Alzheimer. Bildrechte: Colourbox.de

Alzheimer Neues Medikament und Früherkennung durch Urinprobe möglich

30. November 2022, 14:07 Uhr

Ein Biomarker im Urin könnte erstmals ein Frühstadium der Alzheimer-Krankheit anzeigen. Das legt zumindest eine Studie aus China nahe. Der entscheidende Stoff dabei ist Ameisensäure. Ein neues Antikörper-Medikament verlangsamt das Fortschreiten von Alzheimer im frühen Stadium der Erkrankung.

Etwa 1,8 Millionen Menschen in Deutschland haben eine Form von Demenz, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer. Das Risiko, diese Krankheit zu bekommen, steigt aber unabhängig vom Geschlecht mit zunehmendem Alter deutlich an. Liegt der Anteil Erkrankter an der Gesamtbevölkerung bei den 65- bis 69-Jährigen noch bei 1,85 Prozent, steigt sie auf über 36% bei den über 90-Jährigen.

Dar mit Abstand größte Teil, nämlich etwa zwei Drittel aller Demenz-Erkrankungen sind Alzheimer-Erkrankungen. Die Alzheimer-Krankheit kann aber unerkannt bleiben, bis es für eine Behandlung zu spät ist. Groß angelegte Screening-Programme könnten helfen, frühe Krankheitsstadien zu erkennen, aber die derzeitigen Diagnosemethoden sind recht umständlich und teuer.

Eine neue Studie, die in der Zeitschrift Frontiers veröffentlicht wurde, ist die erste, die Ameisensäure als empfindlichen Biomarker im Urin identifiziert, der Alzheimer im Frühstadium aufdecken kann und damit möglicherweise den Weg für eine kostengünstige und bequeme Früherkennungsmethode ebnet.

Studie aus China

Eine chinesische Forschungsgruppe untersuchte mehr als 500 Patienten mit Alzheimer in verschiedenen Schweregraden und gesunde Kontrollpersonen mit normaler Kognition, um Unterschiede bei den Biomarkern im Urin zu ermitteln. Dabei stellte sich Ameisensäure (auch Methansäure genannt) im Urin als empfindlicher Marker heraus, der auf ein sehr frühes Stadium der Alzheimer-Krankheit hinweisen kann.

"Die Alzheimer-Krankheit ist eine fortschreitende und verborgene chronische Erkrankung, d. h. sie kann sich entwickeln und viele Jahre andauern, bevor eine offensichtliche kognitive Beeinträchtigung auftritt", so die Studienautoren. "Die frühen Stadien der Krankheit treten vor dem Stadium der irreversiblen Demenz auf, und dies ist das 'goldene Fenster' für Intervention und Behandlung. Daher ist ein groß angelegtes Screening auf frühe Stadien der Alzheimer-Krankheit für ältere Menschen notwendig".

Zwar gibt es schon Methoden zur Diagnose der Alzheimer-Krankheit, aber sie sind relativ teuer, unpraktisch und für massentaugliche Routineuntersuchungen ungeeignet. Dazu gehören Positronen-Emissions-Tomographien des Gehirns, die teuer sind und den Patienten einer Strahlenbelastung aussetzen. Es gibt auch Biomarker-Tests, die auf Alzheimer hinweisen können, aber diese erfordern invasive Blutentnahmen oder eine Lumbalpunktion, was für die Patienten abschreckend sein kann.

Das alles bedeutet, dass derzeit viele Patienten erst dann eine Diagnose erhalten, wenn es für eine wirksame Behandlung bereits zu spät ist. Ein nicht-invasiver, kostengünstiger und praktischer Urintest könnte da genau das sein, was hilft. Auch diese Idee ist nicht ganz neu, Formaldehyd wurde bereits als Biomarker ausgemacht. Aber für eine wirkliche Früherkennung war dieser Stoff nicht geeignet.

Ameisensäure

Diesmal konzentrierte sich die Forschungsgruppe auf Ameisensäure (ein Stoffwechselprodukt von Formaldehyd) um herauszufinden, ob diese als Biomarker besser geeignet ist. Die Studie mit 574 Probanden ergab, dass der Ameisensäurespiegel im Urin eines Menschen umso höher war, je schwerer die Alzheimer-Erkrankung fortgeschritten war. Und besonders im Frühstadium der Krankheit war die Ameisensäure ein deutlich besserer Indikator als alle bisher bekannten Biomarker, die in Blut oder Urin untersucht wurden.
Zusätzlich wurde gezeigt, dass mit einer Kombination von Biomarkern aus dem Blut und Ameisensäure aus dem Urin eine bislang noch nie dagewesene Genauigkeit über das Krankheitsstadium erzielt werden kann.

"Ameisensäure im Urin zeigte eine ausgezeichnete Sensitivität für ein frühes Alzheimer-Screening", so die chinesischen Autoren. "Der Nachweis von Alzheimer-Biomarkern im Urin ist bequem und kostengünstig und sollte bei Routineuntersuchungen älterer Menschen durchgeführt werden."

Allerdings sei (wie so oft) noch weitere Forschungsarbeit nötig. Die aktuelle Querschnittsstudie könne nur Korrelationen, aber keine Kausalität nachweisen. Die Schlussfolgerungen müssten durch eine Langzeit-Follow-up-Studie überprüft werden. Auch seien Tierversuche angeraten, um die theoretischen Erklärungen zu bestätigen, so die Autoren, die sich dennoch sicher sind, in der Alzheimer-Forschung einen wichtigen Schritt vorangekommen zu sein.

Antikörper-Medikament verlangsamt die Krankheit

Ein neues Medikament bringt Hoffnung für viele Alzheimer-Patienten. Es verlangsamt einer Studie zufolge das Fortschreiten von Alzheimer. Das berichtet ein internationales Wissenschaftler-Team nach der Untersuchung von knapp 1.800 Patienten im frühen Stadium der Demenz-Erkrankung im "New England Journal of Medicine". Der Antikörper Lecanemab könne Alzheimer nicht heilen oder aufhalten, aber den geistigen Abbau relevant verlangsamen, urteilt der deutsche Alzheimer-Forscher Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), der nicht an der Studie beteiligt war. Er spricht von einem "historischen Meilenstein in der Alzheimer-Forschung".

Die Sicherheit der Behandlung müsse in längeren Studien weiter untersucht werden, schreiben die Forscher. Sie berichten von Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen und Mikroblutungen im Gehirn. Todesfälle seien als Folge der Behandlung nicht aufgetreten. Vor wenigen Tagen erschien allerdings im Fachmagazin "Science" ein Beitrag über einen Todesfall im Zusammenhang mit der Therapie, insgesamt sei es der zweite. Dies müsse man sehr genau beobachten, sagte Jessen. Er könne sich vorstellen, dass es bei einer Zulassung Beschränkungen für bestimmte Patientengruppen gebe, etwa für Menschen mit erhöhter Blutungsneigung.

In den USA wird Lecanemab bereits in einem beschleunigten Zulassungsverfahren geprüft. Auch in Japan und Europa ist ein Antrag auf Marktzulassung bis Ende März 2023 geplant.

(rr/dpa)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 30. November 2022 | 16:00 Uhr

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