Cover Umweltgeschichte Deutschlands
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Wissen, was wir lesen Umweltgeschichte Deutschlands

21. Februar 2021, 15:00 Uhr

Wie Menschen die Natur gezähmt haben, sie ausgebeutet, zerstört, aber auch geschützt haben, zeigt die "Umweltgeschichte Deutschlands" exemplarisch über einen Zeitraum von fast 2.000 Jahren. MDR-Redakteur Albrecht Wagner hat sich das Buch angesehen und kann es nur empfehlen: "Egal, welche Seite wir aufschlagen, immer wartet eine interessante Geschichte."

Albrecht Wagner
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Worum geht es?

Um Deutschland und darum, wie wir Menschen dieses Land in der Mitte Europas seit fast 2.000 Jahren (um-)gestalten. Das Buch beginnt in der Römerzeit und schildert in 260 reich bebilderten Episoden menschliche Eingriffe in Landschaft und Tier- und Pflanzenwelt. Wo anfangs fast nur Wald ist, entstehen Dörfer, Städte, Felder, Weideflächen, Bergbau und Verkehrswege.

Das Bild zeigt zwei sich kreuzenden Autobahnen mit den vier geschwungenen Verbindungsstücken zwischen den einzelnen Spuren.
Gießener Südkreuz. Deutschland heute ist menschgemachte Landschaft. Bildrechte: Springer

Weite Flussauen werden trockengelegt, große Schafherden verändern mit ihren Fressvorlieben die Pflanzenwelt, Wälder werden gerodet, um Land zu gewinnen, aber auch, weil Holz als Baustoff und als Brennmaterial für Häuser, Kohlenmeiler oder Glashütten gebraucht wird. Später kommt die Industrialisierung mit großflächigen Eingriffen wie riesigen Tagebauen, begradigten Flüsse und neuen, komplett urbanen Landschaften. Unser heutiges Deutschland, wo wir fast jeden Winkel wenigstens per Fußpfad erreichen können, ist vollständig gezähmte Natur.

Das Buch zeigt an ganz vielen Beispielen die immer wieder schwierige Balance zwischen einem modernen Land und dem Erhalt einer intakten Natur, die wir als Lebensgrundlage brauchen.

Albrecht Wagner

Wie schafft es das Buch, mich zu fesseln?

Durch die riesige Fülle an spannenden Fakten und Ereignissen, verteilt über ganz Deutschland. Es gibt Verblüffendes und Skurriles, wie z.B., dass das Mauerwerk des Kölner Domes eine beträchtliche Artenvielfalt aufweist oder dass der Kachelofen über ein Preisausschreiben des Preußenkönigs Friedrich II. zum holzsparenden Heizen entstanden ist (Ende des 18. Jahrhunderts gab es in Berlin sogar eine "Gesellschaft der Holzsparkunst").

Eine stark vergrößerte Marke, deren hellroter Rahmen den Wert mit 50 Pfennig ausweist. In der Mitte die Abbildung eines Bibers, der gerade einen Baum gefällt hat. Am unteren Rand die Inschrift "Dass der Biber hier noch nagt am grünen Holz / Das ist der Stadt Aken Ruhm und Stolz".
Biber auf einer Notgeldmarke der Stadt Aken von 1921. Der Biber war in Deutschland außerhalb der Mittelelbe ab 1877 ausgerottet. Bildrechte: Springer

Überhaupt findet sich vieles, was uns heute beschäftigt, schon in der Geschichte. Nachhaltigkeit fordert bereits Anfang des 18. Jahrhunderts der kursächsische Landjägermeister Hans Carl von Carlowitz, als er in einer forstwissenschaftlichen Schrift die "beständige und nachhaltende Nutzung" der Wälder anmahnt. Ein Waldsterben im Harz gibt es nach massiven Rodungen und unzähligen qualmenden Holzkohlemeilern schon im 17. Jahrhundert. Wir sehen auch, dass der Inbegriff des naturgewachsenen "deutschen Waldes" mit jahrhundertealten Eichen und Buchen in Wahrheit eine menschgemachte Naturlandschaft ist, weil die Pflanzenzusammensetzung durch Ziegen- und Schweineherden entstanden ist, die über Jahrhunderte in die Wälder zur sogenannten Waldweide getrieben wurden.

Und, wieder skurril: Wir erfahren das Gesamtgewicht der Schienen der Deutschen Bahn. Sie dürfen jetzt schätzen, weiter unten verraten wir’s.

Freundlich lächelnder Mann mit kurzem weißem Bart und einem breitkrempigen Hut vor einer Landschaft.
Der Autor Hans-Rudolf Bork Bildrechte: privat / Springer

Wer hat's geschrieben?

Prof. Hans-Rudolf Bork, Jahrgang 1955. Er ist Geograph mit Schwerpunkt Ökosystemforschung. Seit 2010 leitet er als Direktor das Institut für Ökosystemforschung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Von 2007 bis 2013 war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geographie. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Sein 2014 erschienenes Buch "Geschichte unserer Umwelt" wurde als "Wissenschaftsbuch des Jahres 2015" ausgezeichnet.

Cover Umweltgeschichte Deutschlands
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Die Daten zum Buch Hans-Rudolf Bork: Umweltgeschichte Deutschlands. Springer 2020, 408 Seiten, 26,99 €, ISBN: 978-3-662-61132-6 (ISBN)

Wie ist es geschrieben?

Faktenreich und auf den Punkt. Viele der beschriebenen Ereignisse nehmen kaum eine Seite ein. Dann folgt die nächste Überschrift, die ins nächste Thema führt. Wissenschaftlicher Hintergrund findet sich gut verständlich in grau unterlegten Erklärkästen. Fast jede Seite zeigt Bilder in einer guten Mischung aus tollen Landschaftsaufnahmen und historischen Fotos, Zeichnungen, Postkarten, Zeitungsausschnitten und Dokumenten. Es ist ein Buch zum immer wieder in die Hand nehmen. Egal, welche Seite wir aufschlagen, immer wartet eine interessante Geschichte.

Was bleibt hängen?

Dass das schwierige Miteinander von Naturnutzung und Naturschonung schon Jahrtausende alt ist. Auch wenn wir Menschen in früheren Zeiten die Natur viel selbstverständlicher als Verfügungsmasse betrachtet haben, gab es genauso damals schon das Bewusstsein, dass wir mit Ressourcen (auch wenn wir sie nicht so bezeichnet haben) sorgsam umgehen müssen. Der Blick auf schnurgerade gut schiffbare Flüsse oder Fichtenwälder mit Baumzeilen in Reih und Glied ändert sich, weil das Buch eindrucksvoll die Probleme einer so geordneten Natur zeigt.

Das düstere Bild zeigt die Ansicht einer Industrieanlage. Zahlreiche Schlote färben den Himmel tiefschwarz. Der Horizont und der austretende Dampf sind rot gefärbt - Feuer oder Sonnenuntergang?
Historische Postkarte. Industrie war früher sogar ansichtskartentauglich. Bildrechte: Springer

Drastisch ist die Zahl aus dem Ruhrgebiet, das durch den Bergbau und die daraus folgende Landabsenkung heute zu 40 Prozent unbewohnbar wäre, ohne ein riesiges Pumpensystem zur Grundwasserableitung. Und es gibt immer wieder absurde Geschichten wie z.B., dass in Berlin 1932 eine Skisprungschanze errichtet wurde und 1963 ein Skilift mit Flutlicht und Beschneiungsanlage. Außerdem, wie versprochen, das Gesamtgewicht der Schienen der Deutschen Bahn: Stand 2019 sind es rund 3,3 Millionen Tonnen. 

Albrecht Wagner
Bildrechte: Tobias Thiergen

Der Rezensent Macht Wissen hörbar bei MDR Aktuell, MDR Kultur und MDR Jump. Seit Juni 2021 bei MDR Klassik. Spezialgebiet: Kompliziertes leicht und unterhaltsam. Und: Denkt in Schüttelreimen: "Besser im Schilf beim Küssen ausflippen – als seinen Müll in Flüssen auskippen."


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