Forschung Mücken: Dürfen wir eine ganze Spezies mit Gentechnik verändern?

Jährlich erkranken etwa 200 Millionen Menschen an Malaria, hunderttausende sterben daran. Bis zum Jahr 2025 will die Weltgesundheitsorganisation die Krankheit in zwanzig betroffenen Ländern ausrotten. Nur wie will man der Hauptüberträgerin der Krankheit, der Anopheles-Mücke, beikommen? Bisher versuchte man das in Indien zum Beispiel mit Pestiziden und nahm die Nebeneffekte des Insektenvernichtungsmittels DDT in Kauf. Aber wäre es nicht einfacher, die Anopheles-Mücke auszurotten?

Fiebermücke, Makroaufnahme: Mücke mit langem Körper und nach hinten geklappten Flügeln sitzt auf der Haut
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Theoretisch könnte man die Anopheles-Mücke mithilfe von Gentechnik resistent gegen Malaria machen. Praktisch müssten dazu möglichst alle wildlebenden Mücken genetisch verändert werden. Was klingt wie ein Ding der Unmöglichkeit, könnte in den nächsten Jahren tatsächlich gelingen: Mit dem "Gene Drive", den Forscher derzeit entwickeln. Mit dieser Technik kann prinzipiell das Erbgut kompletter Spezies beliebig umgeschrieben werden. Aber dürfen wir unsere Umwelt wirklich derart verändern? Müssen wir es vielleicht sogar, wenn so tausende Menschen gerettet werden können? Oder spielt es überhaupt noch eine Rolle in Zeiten des menschengemachten Klimawandels, Insektensterbens und der Vermüllung der Ozeane?

Biologische Kettenreaktion in Spezies einbauen

Im Herbst 2018 wurde der Gene Drive zum ersten Mal erfolgreich eingesetzt - im Labor. Forscher aus England brachten damit zwei in Käfigen eingesperrte Mücken-Populationen zum Kollaps. Sie hatten Mückenmännchen mit zwei genetischen Veränderungen geschaffen: Zum einen waren alle weiblichen Nachkommen dieser Männchen unfruchtbar. Zum anderen zeugten die männlichen Nachkommen ebenfalls unfruchtbare Weibchen und neue Gene-Drive-Männchen. Wie in einer Kettenreaktion pflanzte sich die genetische Veränderung in den Mücken fort und breitete sich immer weiter aus. Nach sieben und zehn Generationen waren alle Weibchen im Käfig unfruchtbar, beide Mückenpopulationen brachen zusammen.

Möglich wird diese Technik durch die Gen-Schere CRISPR/Cas. Mit ihr werden nicht nur die ersten Exemplare erzeugt, die dann ausgesetzt werden - die Gen-Schere selbst ist in den Tieren einprogrammiert. Sie sorgt dafür, dass die Nachkommen die gewünschte Eigenschaft samt Gen-Schere in sich tragen. Dadurch wird der Gene Drive weitervererbt, und zwar immer und immer wieder. Die Regeln der Vererbung, wie man sie aus dem Biologie-Unterricht kennt, werden dadurch umgangen.

Dürfen wir alles, was wir können?

Wie weit dürfen wir gehen? Die möglichen Anwendungen des Gene Drives sind fast grenzenlos: Wir könnten nicht nur gefährliche Krankheiten bekämpfen, die durch Tiere übertragen werden. Denkbar wäre auch die Ausrottung invasiver Arten, die sich durch die Globalisierung und den Klimawandel auch hierzulande ausbreiten. Auch der Einsatz in der Landwirtschaft wäre möglich, etwa um Schädlinge zu bekämpfen. Uta Eser vom Büro für Umweltethik in Tübingen ist skeptisch:

Je tiefer ein Eingriff geht und desto weitreichender die Folgen sind, desto vorsichtiger sollte man damit sein.

Uta Eser, Biologin

Die Biologin und Umweltethikerin gibt zu bedenken, dass schon mit dem Einsatz von Insektengiften ins Genom der Malaria-Mücken eingegriffen wird. So werden nämlich, wenn auch ungewollt, genetische Resistenzen in den Mücken erzeugt. Auch das Ausrotten von Krankheitserregern ist schlussendlich ein Eingriff in die Natur. Die Frage an sich ist also gar nicht so neu, meint Eser:

Weil wir so einen tiefgreifenden Einfluss ausgeübt haben und die Folgen für viele Arten nicht nur positiv waren, haben wir eine besondere Verantwortung, gut zu überlegen, was wir da tun. Grundsätzlich sind gezielte Eingriffe klüger, die zu erwünschten Effekten führen, als ungezielte Veränderungen mit unerwünschten Effekten. Es kommt mir schlüssiger vor, dass man das tut, als wenn man unbeabsichtigt das Genom verändert.

Uta Eser, Biologin

In jedem Fall sei vorher gut abzuwägen, ob der erhoffte Nutzen die möglichen Risiken wirklich überwiege. Schließlich sterben in armen Ländern Menschen nicht nur an Malaria, sondern auch anderen Krankheiten, Hunger oder Mangelernährung. Langfristig könnten Eser zufolge lokale Gesundheitszentren helfen, in denen Menschen vor Ort beraten werden. Andererseits helfe das denen wenig, die derzeit von Malaria bedroht sind. Und was für die Gene Drive Technik spricht: Sie ist kostengünstig, schnell und umweltfreundlicher als der Einsatz von Chemikalien.

Wenn man jetzt die kurzfristige Lösung haben könnte, kann ich auch verstehen, dass Leute dem etwas abgewinnen und sagen: 'Das wollen wir haben'.

Uta Eser, Büro für Umweltethik in Tübingen

Ausrottungen unwahrscheinlich

Dass mit dem Gene Drive der Übertragungskreislauf von Malaria durchbrochen werden kann, hält Entwicklungsbiologe Nikolai Windbichler vom Imperial College in London für möglich - dass dabei aber die Spezies komplett ausgerottet wird dagegen für sehr unwahrscheinlich:

Die Anzahl der Moskitos ist riesig. Sie spaltet sich in viele geographisch isolierte Subpopulationen auf und die Evolution von Resistenz ist sehr wahrscheinlich.

Nikolai Windbichler

Möglich sei auch, dass sich nach dem Auslöschen einer Population dieselbe Art einfach neu ansiedele. Deshalb sei es unwahrscheinlich, dass eine ganze Spezies versehentlich ausgerottet werde:

Wenn wir aber mal an dem Punkt angelangt sind, würde das bedeuten, dass Gene Drives effizient genug sind, um Insektenpopulationen zu dezimieren und Krankheitsübertragungen zu verhindern. Dann würden die Sektkorken knallen.

Entwicklungsbiologe Nikolai Windbichler

Gene Drive - denkbar für jede Spezies?!

Blattläuse am begrünten Ast
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Windbichler, dessen Forschungsgebiete Synthetische Biologie, Genome-Chirurgie und Insektenkontrolle sind, hält es für möglich, dass der Gene Drive gegen invasive Arten oder Schädlinge eingesetzt werden kann, wobei das bei jedem Problem und jeder Art einzeln abgeschätzt werde müsse. Bei Blattläusen etwa biete sich Gene Drive nicht an, denn die Blattlaus-Arten pflanzen sich nicht sexuell fort.

Auch bei Mäusen ist nach bisheriger Datenlage der Einsatz wohl schwieriger ist als gedacht. Das ändert aber nichts daran, dass wir unsere Forschung irgendwann anwenden und vielleicht auch ganze Spezies verändern werden. Denn der Mensch ist schon längst zum Gestalter der Natur geworden, meint Windbichler. Seine Prognose lautet:

Wir sind nach circa zehn Jahren Forschung an dem Punkt, wo wir wissen, dass Gene Drives prinzipiell funktionieren. Jetzt gilt es, noch bessere Gene Drives zu bauen, zu zeigen, dass sie sich auch in größeren Populationen so verhalten, wie es die Modelle vorhersagen, und zu etablieren, wie genau man sie sicher einsetzen kann. Viele dieser Fragen lassen sich jetzt noch im Labor beantworten, aber irgendwann müssen dann auch Feldversuche folgen, um den nächsten Schritt zu tun.

Entwicklungsbiologe Nikolai Windbichler

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 19. November 2018 | 10:55 Uhr