Aus der Praxis Scham ist reine Kopfsache

05. Februar 2019, 10:00 Uhr

Unter den Top Ten der Momente, in denen sich Menschen schämen, liegt der Arztbesuch wohl ganz vorne. Wie peinlich, zu erklären, dass man Läuse oder Würmer hat, oder Krankheiten im Genitalbereich. Im Sprechzimmer mus man sich "nackig" machen, wenn man wirklich Hilfe will.

Beim Thema Scham und schämen liegt die Urologie wahrscheinlich ganz weit vorn. Das Fachgebiet von Dr. Sandra Mühlstädt am halleschen Universitätsklinikum sind Blasenfunktionsstörungen. Bevor die Patienten zu ihr kommen, ist der Leidensdruck schon relativ hoch.

Vom Kampf zwischen Scham und Leidensdruck

Meist haben die Patienten schon länger als ein Jahr Beschwerden, erzählt die Spezialistin. Sie hatte sogar schon einmal einen Patientin, die seit 17 Jahren unter ungewollten Urinverlust litt, bevor sich sich einem Arzt anvertraute. Die Ärztin vermutet, dass die Frau bei Fieber oder akuten Rückenschmerzen nicht so lange gewartet hätte. Wie viele Menschen sich mit ähnlichen Problemen durch den Alltag quälen, sich nie weit von einer Toilette wegbewegen, sich nicht mehr ins Theater oder Kino trauen, ist nicht bekannt.

Scham ist reine Kopfsache

Psychologen und Experten, die sich mit Scham auskennen, wissen: Wir schämen uns vor allem wegen Dingen, derentwegen wir uns eigentlich gar nicht schämen müssten: Über den Fleck auf der Bluse, den offenen Hosenstall, wenn wir öffentlich stolpern oder wegen anderer ähnlicher Banalitäten. Dabei ist die bange Frage "Was wird der Arzt von mir denken?" nur in unseren Köpfen ein Problem. Dr. Mühlstädt sagt, sie als Urologin schaue auf die speziellen Körperregionen ihres Fachgebiets wie der Zahnarzt auf die Zähne:

Da braucht sich keiner zu schämen. Das ist ein natürlicher Körperbereich, wo sich im Laufe des Lebens Probleme entwickeln können. Wir gucken auf diesen Behandlungsbereich ähnlich wie ein Zahnarzt auf die Zähne. Es gehört zum Körper, es ist ganz normal, es wird behandelt.

Dr. Mühlstädt

Wo Vertrauen wächst, schwindet die Scham

Klingt theoretisch gut, in der Praxis ist es für Patienten oft anders. Es liegt in der Professionalität der Behandelnden, aber auch am Patienten - durch regelmäßige Kontrolltermine oder Behandlungen stellt sich mit der Zeit ein Vertrauensverhältnis ein, das die Scham verschwinden lässt.

Dieses Thema im Programm: MDR aktuell | Radio | 04. Februar 2019 | 19:50 Uhr