Michelangelo Sixtinische Kapelle Erschaffung Adams
Erschaffung Adams durch Gott: Gemälde von Michelangelo Buonarroti in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Bildrechte: imago/CHROMORANGE

Religionsgeschichte Schöpfungsmythen der Menschheit

25. Dezember 2022, 05:00 Uhr

Wie entstand das Universum und das Leben auf der Erde? War am Anfang das Nichts oder das Chaos? Seit tausenden Jahren beschäftigen diese Fragen die Menschen. In ihren Schöpfungsmythen versuchten sie, Antworten zu finden. Eine kleine Auswahl aus aller Welt.

Sumerer

Zu den ältesten bekannten Schöpfungsmythen gehören jene der Sumerer, eines Volkes, das ab dem 3. Jahrtausend vor Christus in Mesopotamien lebte. Als erstes Volk der Welt brachten die Sumerer eine Hochkultur und eine Schrift (Keilschrift) zustande. Laut der sumerischen Religion erschuf die Göttin Nammu, die das Urmeer darstellte, zuerst die Erdgöttin Uras und den Himmelsgott An. Aus ihnen gingen zahlreiche weitere Götter hervor. In dem etwa 1.800 v. Chr. entstandenen sumerischen Atrahasis-Epos wird berichtet, wie ein Ältestenrat der höchsten Himmelsgötter nach einer Rebellion der ihnen zur Fron verpflichteten niederen Götter, der Igigu, die Menschen schuf. Fortan sollten diese die Mühsal der Igigu tragen und allen Göttern – hohen wie niederen – zu Diensten sein.

Antikes Griechenland

Nach der "Theogonie" (Entstehung der Götter) des im 7. Jahrhundert v. Chr. lebenden griechischen Dichters Hesiod nahm der Kosmos (Welt-Ordnung) seinen Anfang aus dem Chaos (Unordnung). Aus ihm entstanden fünf Urgottheiten, von denen eine Gaia - die gebärende Mutter Erde - war. Aus ihr entstanden Himmel, Berge und das Meer. Gaia ist aber auch die Ahnin aller Götter, die wiederum die Menschen nach ihrem Ebenbild schufen. Der im 5. Jahrhundert v. Chr. lebende Philosoph Platon sah die Welt von einem göttlichen Handwerker - einem "Demiurgen" - erschaffen. Der im 4. Jahrhundert v. Chr. lebende Gelehrte Aristoteles ging von einem "unbewegten Erstbeweger" als Anfangspunkt der Schöpfung aus.

Zoroastrismus

Als älteste monotheistische Religion (Glaube an einen allumfassenden Gott) entstand im 2. oder 1. Jahrtausend v. Chr. im Iran der Zoroastrismus. Im Zentrum des nach dem Religionsgründer Zarathustra (Lebensdaten unbekannt) benannten Glaubens steht der Schöpfergott Ahura Mazda. Dieser schuf zuerst den Himmel, die Erde und die Pflanzen und in einem zweiten Akt die Urtiere und den Urmenschen. Geprägt ist der Zoroastrismus vom immerwährenden Gegensatz zwischen dem für das Gute stehenden Ahura Mazda und seinem Widersacher Ahriman, der das Zerstörerische repräsentiert und später als Satan und Widersacher Gottes auch Eingang ins Judentum und damit auch in das Christentum fand.

Judentum und Christentum

Laut dem Buch Genesis des Alten Testaments, dessen Schriften sowohl für das Judentum wie für das Christentum heilig sind, erschuf ein allmächtiger einziger Gott aus dem Nichts an sechs Tagen den Himmel (Universum) mit Sonne und Mond, die Erde mit Land und Meeren, Pflanzen und Tieren, den Tag und die Nacht. Und er erschuf mit Adam und Eva den ersten Mann und die erste Frau – und zwar nach seinem Ebenbild. Mit dem Paradies gab er dem ersten Menschenpaar einen schönen Ort zum Leben, an dem es ihm an nichts fehlte. Nur die Früchte vom Baum der Erkenntnis sollten sie meiden. Doch in der Gestalt einer Schlange schlich sich der Satan ins Paradies und verführte die beiden. Sie naschten von den verbotenen Früchten und erzürnten Gott derart, dass er sie aus dem Paradies vertrieb. Fortan mussten die Menschen für ihr tägliches Leben hart arbeiten und kämpfen.

Islam

Koran Islam
Im Koran wird der Schöpfungsmythos übere mehrere Suren verteilt erzählt. Bildrechte: Colourbox

Auch in der islamischen Mythologie, die viele biblische Ereignisse mit einbezieht, dauert der Schöpfungsprozess sechs Tage. Laut dem Koran, der Heiligen Schrift des Islam, erschuf Gott die Welt, den Kosmos und alle Lebewesen sowie die Engel. Aus Lehm, Erde, Sand und Wasser formte Gott schließlich Adam, den ersten Menschen, dem er Leben einhauchte und den er in das Paradies setzte. Allen Engeln befahl Gott, sich vor Adam niederzuwerfen. Nur "Iblis", der Satan, verweigerte das. Auch nach islamischem Schöpfungsmythos durfte Adam im Paradies alles essen, außer die Frucht des verbotenen Baumes. Aber "Iblis" überredete ihn, dies doch zu tun, weswegen Adam von Gott aus dem Paradies verbannt wurde. Anders als im Alten Testament wird der islamische Schöpfungsmythos im Koran verstreut über mehrere Suren erzählt.

Hinduismus

Der Hinduismus sieht das Universum in immerwährenden Zyklen des Werdens und des Vergehens. In diesen Zyklen (Kalpa) gibt es weder einen Schöpfungsanfang noch eine endgültige Vernichtung. Das Prinzip der Schöpfung im Zyklus stellt der Hauptgott Brahma dar. Die beiden anderen Hauptgötter Vishnu und Shiva stehen jeweils für das bewahrende und zerstörerische Element. Ein Schöpfungszyklus umfasst nach hinduistischer Auffassung mehrere Trillion Menschenjahre. Danach versinkt der Schöpfergott Brahma zusammen mit all den von ihm erschaffenen Welten im höchsten kosmischen Geist, dem Brahman. Dieses unerschöpfliche, allwissende, allmächtige, allgegenwärtige Wesen ist die anfangslose und ewige Seele des Universums, die kein Davor und kein Danach kennt. Sie war immer da und wird immer da sein. Die Frage nach Anfang und Ende stellt sich nicht.

Buddhismus

Von den fünf existierenden Weltreligionen ist der Buddhismus die einzige, die keine konkrete Schöpfungsgeschichte kennt. Grundsätzlich gilt im Buddhismus die Vorstellung von einem wie auch immer gearteten Schöpfer als nebensächlich. Der Religionsstifter Buddha Siddhartha Gautama (563-483 v. Chr.) begründete dies unter anderem damit, dass ein Nachsinnen über die Schöpfung und die Herkunft des Lebens sinnlos sei, da diese Fragen nie vollständig beantwortet werden könnten. Zwar finden sich in den Schriften des Theravāda, der ältesten noch existierenden Schule des Buddhismus, Gottheiten wie Brahma oder Indra, die sich als ewige Schöpfer der Welt verstehen. Allerdings können sich diese Götter, mit denen Buddha sogar selbst in Kontakt getreten sein soll, wegen ihres hohen Alters nicht einmal an ihren eigenen Ursprung erinnern.

Germanen

Laut dem im Mittelalter verfassten nordgermanischen Edda-Lied Voluspa war am Anfang das Nichts, in dem es weder Erde noch "Aufhimmel" gab. Dort lebte der Urzeitriese Ymir, aus dessen Achselschweiß ein Mann und eine Frau und aus dessen Füßen das Geschlecht der Riesen entstand. Ymir wurde nach einem anderen Lied von der aus schmelzendem Eis geborenen Urzeitkuh Auðhumla genährt, die gleichzeitig aus einem salzigen Stein Buri, den Stammvater der Götter, freileckte. Laut einer weiteren Edda-Dichtung sollen später die Götter, unter ihnen auch der Hauptgott Odin, aus Ymir die Welt erschaffen haben. Aus dem Blut des Urzeitriesen entstand das Meer, aus seinem Fleisch die Erde, aus seinen Knochen die Berge und aus seiner Haut der Himmel. Laut dem römischen Geschichtsschreiber Tacitus (58-ca.120 n. Chr.) war einer der altgermanischen Götter Tuisto, der über seinen Sohn Mannus zum Stammvater der Germanen wurde, die sich - wie viele andere Völker auch - selbst als die einzig wahren Menschen (Mannus = Mensch) sahen.

China

Eine Gravur in der Zeitschrift der Jugend von ca 1884 zeigt - Die Bildung von Welten: Der chinesische Gott Pan-Kou-Che (Pan Kou che) modelliert die Erdkruste.
Der Riese Pangu bearbeitet als Weltenachse die Erdkruste. Bildrechte: imago/Leemage

Nach dem chinesischen Schöpfungsmythos entstand aus dem Urchaos des "Welteneis" das kosmische Prinzip von Yin und Yang, aus dem später Himmel und Erde wurden. Auch Pangu, das erste Lebewesen, schlüpfte aus diesem ersten Ei. Als Weltachse stand Pangu im Mittelpunkt von Himmel und Erde. Nachdem er über 36.000 Jahre zu einem Riesen herangewachsen war, der von der Erde bis zum Himmel reichte, opferte er sich: Pangus Atem wurde der Wind, seine Stimme der Donner, das linke Auge die Sonne, das rechte der Mond. Aus seinem Leib entstanden vier Pole und fünf Hauptgebirge, aus seinem Blut speisten sich die Flüsse. Zähne und Knochen wurden zu Metall, das Haar ergab die Pflanzen und der Speichel den Regen. Seine Samen und sein Knochenmark wurden Perlen und Jade. Und aus dem Ungeziefer an Pangus Körper entstanden die Menschen.

Buschmänner

Die als Buschmänner oder San bekannten Gruppen von Jägern und Sammlern im Süden Afrikas verehren seit Urzeiten einen omnipräsenten, weisen und machtvollen höchsten Gott, der alles erschaffen hat. Nach ihrem Glauben waren in einer mythischen Urzeit alle Tiere und Naturerscheinungen Menschen. Das gilt auch für die Gestirne. Einem jener alten Mythen zufolge war die Sonne einst ein Buschmann. Dessen Achselhöhle war das Licht und wenn er den Arm hob, wurde es hell und warm auf der Erde. Nahm er ihn herunter, wurde es Nacht und kalt. Als der Buschmann alt und schwach wurde, überredeten ihn die Kinder, mit erhobenen Armen etwas zu fangen. Just in diesem Moment warfen sie ihn in den Himmel und beschworen ihn, auf ewig dort oben zu bleiben. Seither sorgt der alte Buschmann als Sonne dafür, dass die Erde warm und hell ist. Auch der Mond war einst ein Mann. Doch obwohl die Menschen auch ihn anbeteten, blieb er kalt.

Maori

In der Schöpfungsgeschichte der Maori Neuseelands sind der Himmel Rangi und die Mutter Erde Papa die Begründer der Welt. Das Paar, das einst in inniger Umarmung eng beisammen lag, hatte viele Söhne, die in der beengten Dunkelheit zwischen ihren Eltern heranwachsen mussten und diesen Zustand beenden wollten. Tumatauenga, der grimmigste der Götter-Söhne, wollte die Eltern töten. Aber sein Bruder Tane, der Gott der Wälder und Vögel, plädierte dafür, Himmel und Erde nur zu trennen, was ihm letztendlich unter Einsatz seiner Füße auch gelang. Doch sein Bruder Tawhirimatea, der Gott der Winde, war verärgert über die Tat und führte fortan Krieg gegen all seine Brüder. Einzig den grimmigen Tumatauenga oder kurz Tu – der für die Menschheit steht – konnte er nicht besiegen. Dieser rächte sich in der Folge an seinen feigen Brüdern, indem er Tanes Vögel und die Kinder seiner anderen Götter-Brüder wie die Fische und Erdfrüchte zu seiner Nahrung machte. Allein den Windgott Tawhirimatea bekam der grimmige Tu nicht zu fassen, weswegen Winde und Stürme die Menschheit bis heute plagen.

Pueblo-Indianer

Im Schöpfungsmythos der Pueblo-Indianer Arizonas und New Mexicos war Awonawilona ("Der Eine, der alles erhält") der Schöpfer der Welt. Er formte die Sonne und den Ozean. Und er schuf Mutter Erde und Vater Himmel, aus denen wiederum die ersten Lebewesen hervorgingen, verborgen in vier Höhlen tief unter der Erde. Die ersten Kinder von Mutter Erde waren Schlangen, Monsterwesen und zwei Riesen, die den Boden umwühlten. Sie bauten eine Strickleiter aus Bäumen und Reben, auf der auch die ersten Menschen aus dem Untergrund emporklettern konnten. Diese ackerten, säten und brachten die erste Ernte ein. Laut dem Mythos der zu den Pueblo-Indianern gehörenden Zuni führte der erste Mensch Poshaiyankya alle Geschöpfe ans Licht.

Inka

Die Inka, die vom 13. bis zum 16. Jahrhundert im südamerikanischen Anden-Raum ein riesiges Reich mit über 200 Völkerschaften beherrschten, nahmen für sich in Anspruch, die Söhne der Sonne zu sein. Doch neben dem Sonnengott verehrten sie auch den Schöpfergott Pachakamaq, was in der Quechua-Sprache "Schöpfer der Welt" bedeutete. Dieser schuf seinem Mythos zufolge den ersten Mann und die erste Frau. Allerdings gab er seinen beiden Menschen-Geschöpfen kein Essen, weswegen der Mann schon bald starb. Der Frau, die den Schöpfergott ob seiner bösen Tat verfluchte, gab er immerhin die Fruchtbarkeit. Doch den erstgeborenen Sohn der Frau schlug Pachakamaq in Stücke, um daraus die verschiedenen Obst- und Gemüsepflanzen zu schaffen. Der zweite Sohn, Wichama, entkam, woraufhin der Schöpfergott dessen Mutter tötete. Wichama rächte sich für die Bluttat, indem er Pachakamaq ins Meer trieb. Wohl auch deshalb wurde Pachakamaq im Inka-Reich auch als Viracocha ("Schaum des Meeres") verehrt.

Inuit

In Felsen gemeißelte Gesichter in Qaqortoq Grönland
Die Menschen kamen aus der Erde: In Felsen gemeißelte Gesichter in Qaqortoq, Grönland. Bildrechte: IMAGO / Panthermedia

Nach dem Schöpfungsmythos der im Nordosten Kanadas und in Grönland lebenden Inuit stürzte die Erde vor langer Zeit vom Himmel. Aus der Erde kamen später die ersten Menschenkinder. Sie lagen mit geschlossenen Augen zappelnd unter Weidebüschen und bekamen ihre Nahrung von der Erde. Eine mythische Frau fand die vielen Kindlein, zog ihnen selbst genähte Kinderkleider an und brachte sie zu sich nach Hause. Die Sonne kannten die frühen Menschen nicht, nur Dunkelheit in der Welt. Doch sie vermehrten sich immerfort. Und weil es keinen Tod gab und die Menschen uralt wurden, überfüllten sie die ganze Erde. Da sprach eine alte Frau zu einer anderen: "Wir wollen beides haben, Licht und Tod." Fortan starben die Menschen, stiegen auf zum Himmel und begannen zu leuchten. Und so kamen mit dem Tod auch Sonne, Mond und Sterne in die Welt.

Der Artikel erschien erstmals am 24. Dezember 2018. Er wurde später um die Schöpfungsmythen im Islam und bei den Inuit erweitert.

(dn)