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Bildrechte: imago/Jan Huebner

PerspektivwechselUrban Mining: Müll von gestern, Kapital von morgen 

von Liane Watzel

05. Februar 2019, 17:41 Uhr

Recycling war gestern, Urban Mining ist heute. Theoretisch jedenfalls, denn praktisch fehlen dann doch noch Daten, Fakten, konsequentes Material-Kreislauf-Denken über das, was auf dem Müllberg landet.

Nachrichten über Metalldiebe, die Eisenbahnschienen klauen: Sie erinnern an die meist zum Scheitern verurteilten Coups der legendären Olsenbande-Gangster. Doch das Schmunzeln vergeht einem, wenn man Eisenbahnschienen aus dem Blickwinkel des Urban Mining sieht: Danach sind Eisenbahnschienen, Gebäude, aber auch Alltagsgegenstände wie Autos oder Elektrogeräte Teil der städtischen "ungeschürften", nicht gehobenen Schätze. Urban Mining begreift jedes benutzte Material als Kapital.

Aber was genau ist Urban Mining?

Urban Mining bedeutet übersetzt so viel wie "städtischer Bergbau" und steht für das systematische Management von Sekundärrohstoffen. Städte und Siedlungen werden als Rohstoffminen betrachtet, die verschiedene Nutzungszyklen durchlaufen. Hier sind vor allen Dingen Rohstoffe gemeint, die in Gebäuden, in der Infrastruktur – Stichwort Eisenbahnschienen – oder im täglichen Gebrauch vorkommen. Dabei sind die Nutzungszeiträume der verbauten Rohstoffe verschieden lang, die von Gebäuden erstrecken sich über Jahrzehnte, die von Konsumgütern aus dem Alltag wie Autos oder Elektrogeräten dagegen nur über wenige Jahre.

Alte Streitquelle: Um- und Weiternutzung statt Neubau

Neu ist die Idee der Stadt als Ressourcenquelle nicht: Schon 1969 verfasste die Architekturkritikerin und Stadtforscherin Jane Jacobs das Buch "The Economy of Cities". Sie forderte statt neuer Großsiedlungen gewachsene Stadtstrukturen und vorhandene Gebäude weiter zu nutzen. Das Echo auf ihre Streitschrift war groß, auch in Europa, denn Jacobs spuckte mit ihren Forderungen damaligen Architektur-Granden in die Suppe. Es sollte aber noch lange dauern, bis das wertgeschätzt wurde, was bereits da war - und zum "Kapital von Morgen" wurde.

Müll – die schwer nutzbare Kapitalquelle

Urban Mining ergänzt sich mit der gängigen Abfallwirtschaft, braucht aber einen Überblick über den Gesamtbestand verbauter Materialen. Und über den gibt es heute noch viele Unbekannte: Wo wurde wann welches und wieviel Material verbaut? Wann wird was davon frei für die nächste Verwertung? Wann sind wo welche Materialströme zu erwarten? Wie gewinnt man es für die nächste Verwertung? Gibt es schon entsprechende Technik zur Rückgewinnung des jeweiligen Materials? Und wer hat da eigentlich den Überblick? - Kurz gesagt: keiner. Das Kind - besser, der Müll - ist schon lange in den Brunnen gefallen und zu gewaltigen Müllbergen angewachsen. Aber das Konzept des Urban Mining bedeutet auch, eine Basis für den Umgang mit Ressourcen für die Generationen nach uns zu schaffen.

In der Politik hat das Thema Urban Mining langsam Fahrt aufgenommen: 2011mit dem "Fahrplan für ein ressourcenschonendes Europa" , in dem die Europäische Kommission den EU-Ländern Strategien zur effektiven Rückgewinnung von Rohstoffen ins Stammbuch schrieb. Österreich war 2012 das erste EU-Land mit einem eigenen Aktionsplan.

Aber wir trennen, re- und up-cyceln doch schon alles?

Rein rechnerisch verbraucht jeder Einwohner in Mitteleuropa täglich etwa 40 Kilo Bodenschätze und Rohstoffe: Sand, Kies, Erdöl, Gas und Kohle, aber auch Kunststoff, Metalle und Holz. In Österreich beispielsweise verbraucht jeder Einwohner pro Jahr 417 Kilo Eisen - aber nur 169 Kilo werden zurückgewonnen.

In Deutschland hat sich die Zahl der Mülldeponien von 2005 bis 2016 halbiert. Und das obwohl wir 220,5 Kilo Abfall pro Kopf in Deutschland (Stand 2016) produzieren - der europäische Schnitt lag bei 167,3 Kilo. Allerdings zeigt diese Statistik auch, dass im selben Zeitraum die Bau- und Abbruchabfälle um knapp 22 Millionen Tonnen angestiegen sind.

Bildrechte: Statista.de

Wer schafft den Überblick?

Systematisch geordnetes Wissen gibt es dazu noch nicht, aber Planungen für eine Datenbank, die all das Wissen zusammenführen soll. Laut Bundesumweltamt lagert in Deutschland von vielen Rohstoffen bereits mehr auf Deponien als in natürlichen Quellen. Kluges Materialmanagement beginnt bestenfalls schon in der Produktion: Wenn nämlich das Ende eines Nutzungszyklus' – also die Wiederverwertung – gleich mitgedacht wird. Vieldiskutiertes Beispiel sind die Häuserdämmstoffe, für deren Wiederverwertung es noch keine Technologie gibt. Eine Investition in die Zukunft ist auch eine normierte Dokumentation des verbrauchten Materials.

Aber wo sind die Rohstoff-Manager, die Daten der unendlich vielen Rohstoffe, ihre künftigen Nutzungen und möglichen Verwendungsarten sammeln und steuern? Es gibt zig verschiedene Ausbildungen und Studienabschlüsse im Bereich Abfall- und Ressourcenmanagement: Man kann "Umweltschutz- und Entsorgungstechnik" studieren, "Recycling- und Entsorgungsmanagement", "Abfall- und Entsorgungswirtschaft" oder "Abfall- und Ressourcenmanagement". Die Liste ist lang und ähnelt in ihrer Fülle und Breite dem Stoff, der voller Rohstoffe steckt und über den keiner einen Überblick hat: dem Abfall.

Dieses Thema im Programm:MDR Wissen Youtube | Was wäre, wenn? | 06. Februar 2019 | 07:00 Uhr