Ein typisches hölzernes Räuchergefäß und verbrannte Steine aus dem Pamir-Gebirge. Das Räuchergefäß ist rund 2500 Jahre alt.
In diesem 2.500 Jahre alten Räuchergefäß fanden sich Rückstände des Cannabiskonsums. Bildrechte: Xinhua Wu

Über die Seidenstraße nach Europa Vorchristliche Kiffer: Ursprünge des Cannabisrauchens in China entdeckt

12. Juni 2019, 20:00 Uhr

Cannabis ist bis heute eine der beliebtesten psychoaktiven Drogen überhaupt. Doch wo der Rausch, der die Menschheit schon seit Jahrhunderten begleitet, seinen Ursprung nahm, ist unklar. Forscher haben jetzt einen Hinweis: In China wurde offenbar schon vor 2.500 Jahren - also im ersten Jahrtausend vor Christus - Cannabis als Teil eines Rituals geraucht.

Die Cannabispflanze gehört zu den berühmt-berüchtigtsten der Welt: Von den einen für seine psychoaktive oder schmerzlindernde Wirkung heiß geliebt, von den anderen als gefährliche Droge verabscheut. Trotz der vielen Mythen, die sich um sie ranken, ist über ihre Kultivierung und den frühen Gebrauch als Rauschmittel wenig bekannt. Das ändert jetzt eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte in Jena, der Chinesischen Akademie der Wissenschaften sowie der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, die im Fachblatt "Science Advances" erschienen ist.

2.500 Jahre alte Räuchergefäße in Gräbern

In Ostasien ist die Cannabispflanze seit mindestens 4.000 v. Chr. bekannt, schreiben die Forscher. Sie wurde wegen ihres öligen Samens und der Pflanzenfasern angebaut, um daraus Öle und Stoffe herzustellen. Als Rauschmittel war sie da aber noch nicht zu gebrauchen: Der Anteil an THC- und anderen Cannabinoid-Verbindungen, die für die psychoaktive Wirkung verantwortlich sind, war nur geirng. Aber wann hat sich das geändert?

Dichtwachsende, wilde Cannabispflanzen
Diese wild wachsenden Cannabispflanzen wurden in den Tian-Shan-Bergen Kasachstans fotografiert. Bildrechte: Robert Spengler

Viele Historiker hätten vermutet, dass Sorten mit höheren Anteilen in der zentralasiatischen Steppe aufgekommen seien. Diese Vermutung stützt sich auf eine einzelne Passage eines historischen Textes aus dem späteren ersten Jahrtausend v. Chr. vom griechischen Historiker Herodot, schreiben die Forscher. In seinen "Historien" berichtete er von einem Nomadenvolk aus dem heutigen Südrussland, das sich am Dampf von erhitztem Cannabis berauscht habe. Archäologen wollten deshalb unbedingt einen Beleg für das Cannabisrauchen in Eurasien finden.

Das ist dem Forscherteam jetzt offenbar gelungen - und zwar per Zufall: Das Team wollte eigentlich nur die Funktionsweise hölzerner Räuchergefäße herausfinden, schreiben die Forscher. Zehn Stück davon hatten chinesische Archäologen bei Ausgrabungen im Hochgebirge Ostchinas entdeckt. Sie wurden aus Gräbern im Pamir-Gebirge geborgen, die 2.500 Jahre alt sein sollen. Das Team analysierte daraufhin die darin konservierten Verbindungen und fand die chemische Signatur von Cannabis - und zwar von solchen Pflanzen mit einem höheren THC-Wert als für wilde Cannabis-Pflanzen üblich. Die Daten belegten eindeutig, dass die Menschen im Pamir-Gebirge damals Cannabissorten mit höherem THC-Gehalt verbrannten, schreibt das Team.

Die Ergebnisse unterstreichen die Annahme, dass Cannabispflanzen erstmals in den Bergregionen im Osten Zentralasiens ihrer psychoaktiven Bestandteile wegen verwendet wurden und sich ihr Gebrauch von hier aus auf andere Regionen der Welt ausweitete.

Prof. Dr. Nicole Boivin, Direktorin am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte

Über eine frühe Seidenstraße nach Europa

Die Räuchergefäße stammen den Forschern zufolge aus der Begräbnisstätte Jirzankal. Das ist im abgelegenen Westen des heutigen China. Doch einige der menschlichen Überreste aus der Fundstätte weisen ähnliche Merkmale auf wie zeitgenössische Bevölkerungsgruppen weiter westlich in Zentralasien, schreiben sie weiter.

Gebeine liegen in einer kreisförmigen Grube, rundherum liegen Steine
Das Grab "M12": Hier wurden die Räuchergefäße entdeckt. Bildrechte: Xinhua Wu

Auch gefundene Artefakte scheinen die Menschen, die hier begraben wurden, eher mit weiter westlich lebenden Populationen zu verbinden. Außerdem zeigten Analysen, dass nicht alle Menschen, die dort bestattet wurden auch vor Ort aufgewachsen sind.

Aufgrund dieser Analysen haben die Forscher eine Vermutung, wie das THC-haltige Cannabis den Weg hinaus in die Welt gefunden hat: Denn die Daten belegten die Idee, dass die Bergpässe Mittel- und Ostasiens eine Schlüsselrolle im frühen Austausch zwischen Europa und Asien gespielt haben könnten. Damit wäre die heute abgelegene Pamir-Region damals Teil der Hauptroute einer frühen Seidenstraße gewesen, so die Forscher. Über diese Route seien nicht nur Waren ausgetauscht worden, sondern auch kulturelle Merkmale, erklärt der leitende Archäobotaniker der Studie, Dr. Robert Spengler.

Unsere Studie impliziert, dass das Wissen über das Rauchen von Cannabis und spezifische Cannabissorten mit hohem Wirkstoffgehalt zu den kulturellen Traditionen gehört, die sich entlang dieser Routen ausbreiteten.

Dr. Robert N. Spengler, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte

Die Austauschrouten der frühen Seidenstraße funktionierten eher wie die Speichen eines Wagenrads als wie eine Fernstraße und rückten Zentralasien in den Mittelpunkt der damaligen Welt, erklärt Spengler weiter.

Woher kam der hohe THC-Gehalt?

Ein Rätsel bleibt den Forschern zufolge: Im Vergleich zu kultivierten Cannabispflanzen enthalten wilde Pflanzen weniger THC - also die am stärksten psychoaktive Verbindung der Pflanze. Deshalb sei unklar, ob die Menschen in der Region das Cannabis angebaut oder die Sorten gezielt gesammelt haben. Eine Theorie sei, dass die Pflanze als Reaktion auf erhöhte UV-Strahlung und andere Stress-Faktoren aufgrund des Wachstums in höheren Lagen größere Mengen an Wirkstoffen produziert haben könnte.

Die Forscher glauben, dass die Cannabis-Pflanze ganz unterschiedlich verwendet worden sein könnte. So deuteten die Funde in der Grabstätte darauf hin, dass es bei Ritualen zum Gedenken an die Verstorbenen verbrannt worden sei. Die Menschen hätten ihre Verwandten damals in Gräbern beigesetzt, über denen sie kreisförmige Hügel, Steinringe und Steinmuster aus hellen und dunklen Steinen platziert hatten. Ob Cannabis in der damaligen Gesellschaft schon zu medizinischen Zwecken genutzt worden sein könnte, sei unklar. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass die Wirkung gegen Krankheiten und ihre Symptome frühzeitig erkannt wurde, erklärt Yimin Yang von der Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking.

Diese Studie zum frühen Cannabiskonsum hilft uns, frühe kulturelle Praktiken des Menschen zu verstehen, und spricht für das intuitive menschliche Wissen um natürliche chemische Bestandteile in Pflanzen.

Dr. Yimin Yang, Universität der Chinesischen Akademie der Wissenschaften

Heute werde Cannabis in erster Linie als Freizeitdroge oder für medizinische Zwecke genutzt, so die Forscher. In Deutschland ist Cannabis nur für Schmerzpatienten mit Rezept erlaubt. Für alle anderen sind Anbau, Verkauf oder Besitz verboten. Ihre Arbeit könne nun in der politischen Debatte um die Pflanze ergänzend dazu beitragen, "die Ursprünge der zeitgenössischen kulturellen Praxis und Glaubensstrukturen zu verstehen, die wiederum die Politik beeinflussen können", so MPI-Direktorin Boivin. Und Wissenschaftler Sprengler ergänzt, dass die modernen Perspektiven auf Cannabis kulturübergreifend enorm varrieren würden. "Aber es ist klar, dass die Pflanze über Jahrtausende hinweg durch den Menschen genutzt wurde, sei es medizinisch, rituell oder zur Entspannung."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 20. Mai 2019 | 20:37 Uhr