Mal angenommen:Was wäre, wenn jeder einen Baum pflanzen würde?
Was wäre, wenn jeder in Deutschland einen Baum pflanzen würden? Klingt auf den ersten Blick nach einer Menge Holz. Aber was würde das bringen?
Wenn der Neunjährige beim Frühstück entsetzt verkündet: "Es sind eine Million Pflanzenarten vom Aussterben bedroht!" und beim Abendessen schluchzt: "Das macht keinen Sinn, wir Menschen machen alles kaputt, die Pflanzen, die Bäume, die Tiere!", dann verflucht man zum einen als Eltern die eigene Mediennutzung. Warum lassen wir die Radionachrichten nicht einfach mal aus?
Und sucht zum anderen nach praktischen Beispielen, die uns Erwachsene nicht ganz so alt aussehen lassen: "Jeder macht im Kleinen, was er kann. Wir haben Dir zur Geburt zum Beispiel einen Baum gepflanzt." Hm, das ist handfest, den Baum besuchen wir regelmäßig, schauen nach, ob er tatsächlich gewachsen ist. Immerhin: So eine ausgewachsene Rotbuche versorgt zwanzig Menschen mit Sauerstoff, das ist doch schon was? - "Und was, wenn das alle machen würden", fragt der Drittklässler, "was wäre dann?"
Was können 83 Millionen zusätzliche Bäume?
Was wäre, wenn wir alle in Deutschland einen Baum pflanzen würden: Mehr Wald, mehr Sauerstoff, haben wir dafür genug Wasser, genug Platz? "83 Millionen Bäume machen 16.000 Hektar Fläche", rechnet uns Dr. Thomas Riedel vom Thünen-Institut vor. Er leitet die Fachgruppe Inventur, Waldressourcen und Klimaschutz. Seine Einschätzung einer solchen Pflanzaktion ist eher ernüchternd, denn allein die Baummenge und Fläche ist nicht wirklich viel angesichts der kompletten Waldfläche Deutschlands: 11,4 Millionen Hektar.
In Zahlen heißt das: 83 Millionen Bäume sind ein tolles Zeichen - aber nur knapp 0,1 Prozent des deutschen Waldes (rund 90 Milliarden Bäume). Wenn sie denn groß werden. Schaffen aber nicht alle, weil sie "unterwegs", also im Laufe ihres Lebens, an Krankheiten eingehen, Bauarbeiten im Weg stehen, von Tieren gefressen oder von Parasiten durchlöchert werden.
Weder Effekt, benötigte Wassermenge, Pflegearbeiten, noch "Erlös" in Form von gebundener C02-Menge ließen sich für das Szenario "Jeder pflanzt einen Baum" exakt berechnen. Und auch nicht die jährlich anwachsende Menge herunterfallender Blätter, die im Herbst dafür sorgt, dass sich die Erde schneller dreht. Wenn man denn Laubbäume pflanzen würde, statt Nadelhölzern. Und wenn die dann auch noch mit dem Klima zurechtkämen. Oder müssen wir in Zukunft nicht mehr auf Apfel-, sondern Feigenbäume setzen? Fragen, die sich jeder Baumpflanzer dann stellen kann.
Wie viel Waldfläche braucht Deutschland?
Aber wie ist das überhaupt mit Deutschlands Waldfläche? Es ist immerhin das waldreichste Land in Mitteleuropa und die Fläche auch politisch gewollt stabil. Eher der Zustand der Wälder ist besorgniserregend - aber das wissen alle, ob Bürger, Wissenschaft oder Politik. Spätestens seit den 1980er-Jahren mit ihren Saure-Regen-Waldsterben-Horror-Szenarios. Bis in die Popmusik fraßen sich Ohrwürmer wie "Karl der Käfer", dessen Lebensraum, Baum und Wald, für Autobahntrassen abgeholzt wurde.
Der Wald wächst schon lange nach Plan. Bloß, ob es immer gute Pläne waren ...
Warum lässt man der Natur nicht einfach ihren Lauf und den Wald wachsen, wie er will?
Bewirtschaftet werden muss der Wald, sagt Dr. Thomas Riedel ganz deutlich: Ohne aktive Forstwirtschaft würden Wälder verwildern und zuwachsen. Ohne Licht im Gehölz fiele der Wald zusammen und würde schließlich CO2 ausstoßen statt binden. Aus Sicht des Forstwissenschaftlers braucht der Wald also den Menschen.
Vielleicht auch um das gerade zu biegen, was zwar vor vielen Jahrzehnten gut gemeint war: Deutschland wurde in den 50er-Jahren bewusst aufgeforstet mit Blick auf die Zukunft. Die Wirtschaft brauchte Holz und setzte auf schnellwachsende Arten mit hervorragendem Industrie-Ertrag wie die Fichte. Bis heute sind sie die wichtigste Grundlage der Holz- und Waldwirtschaft. An ihre technischen Eigenschaften kommen andere Gehölze kaum ran.
Das dichte Fichtendickicht hat einen Haken
Aber reine Fichtenwälder sind eben auch anfällig - bei Stürmen knicken sie leichter um als gemischte Wälder. Fichtenwälder sind reinste Paradiese für Borkenkäfer: Jeder Baum ein potentieller Wirt, gleich ob als gesundes Exemplar oder als toter, in Form von Bruchholz. Die Probleme, die aus Nadelbaum-Monokulturen erwachsen, sind seit Jahrzehnten bekannt.
Das Problem hat die Forstwirtschaft seit Jahrzehnten im Blick: Thomas Riedel weiß:
Angefangen hat das mit dem Waldumbau hin zu natur-näheren Wäldern und weg von gleichaltrigen Fichten- bzw. Kiefernreinbeständen.
Thomas Riedel, Thünen-Institut
Der Anteil der Laubbäume ist seit 2002 um etwa sieben Prozent gestiegen - 315.00 Hektar Waldfläche - und der Anteil der Nadelbäume um vier Prozent gesunken – 267.000 Hektar. Waldumbau dauert eben so lang, wie die Bäume wachsen. Entsprechend muss Waldplanung über drei Förster-Generationen gedacht werden.
Wie beeinflusst der Klimawandel die Forstwirtschaft?
Waldspezialist Riedel sagt: "Es gibt viele Untersuchungen zur Verschiebung von 'Anbaugebieten' unterschiedlicher heimischer Baumarten bis zur vermehrten Pflanzung nicht-europäischer Baumarten wie Douglasie oder Roteiche. Auch die Robinie könnte eine Rolle spielen." Eine Lösung für extreme Wetterbedingungen ist der Umstieg auf andere Baumarten auch nicht, sagt der Experte: "Eine Dürre wie 2018 setzt allen Baumarten zu und macht sie anfällig für Schädlinge wie Borkenkäfer oder Pilze. Deshalb bringt es künftig sicher wenig, nur eine Baumart zu propagieren."
Ein Schritt könnte auch sein, über die Verkürzung von Umtriebszeiten nachzudenken, also wie lange ein Wald durchschnittlich wachsen darf bis zu seiner Ernte. Das könnte die Produktions-Risiken durch Wetterextreme für die Forstwirtschaft senken.
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Garten | 23. September 2018 | 08:30 Uhr