Migration in der Frühzeit Jäger, Bauern und Viehhirten: Die europäischen Gene

28. Mai 2019, 09:27 Uhr

Wir Deutschen sehen uns gerne als Volk lang zurückreichender Herkunft. Ist das wirklich so? Gibt es so etwas wie eine europäische genetische Identität oder sogar "deutsche Gene"? Archäogenetiker haben darauf neue Antworten.

Nachbildung eines Urmenschen in einem Museum 6 min
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2017 machten Forscher vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena eine aufregende Entdeckung. Sie untersuchten Knochen aus einem tausende Jahre alten Familiengrab in Eula nahe Naumburg. Die darin enthaltene DNA sorgte für Aufsehen. Sie wirft ein völlig neues Licht auf die Besiedlungsgeschichte Mitteleuropas

"Wir sind immer davon ausgegangen, dass sich frühbäuerliche Gesellschaften genetisch nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Wir dachten, beim Umbruch von der Jungsteinzeit zur frühen Bronzezeit hat sich genetisch nichts groß verändert", sagt der Wissenschaftler Wolfgang Haak. "Die große Überraschung war aber, dass sich hier in dieser Region vor 4.500 Jahre die genetische Signatur der Bevölkerung fast vollkommen ausgewechselt hat."

Eine Millionen Verwandte

Haak ist Archäogenetiker und leitet am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte die Arbeitsgruppe „Molekulare Anthropologie". Ihr Ziel ist es, die genetische Herkunft der Europäer und somit auch die der Deutschen mittels DNA-Analysen genauer zu untersuchen. "Wir bringen die zeitliche Tiefe in die moderne Populationsgenetik. Wir können zurück reisen in der Zeit und eine willkürliche Epoche rausgreifen und können sagen, wie sahen die Menschen, Tiere oder Pflanzen in der Vergangenheit aus."

Das Erbgut einer heute lebenden Europäerin zum Beispiel liefert Daten über ihre beiden Eltern, ihre vier Großeltern, die acht Urgroßeltern und so weiter. Geht man 20 Generationen zurück (eine Generation sind rund 25 Jahre), dann lassen sich aus diesem einen Genom genetische Rückschlüsse auf mehr als eine Million Verwandte ziehen, die in den letzten 500 Jahren gelebt haben.

Neanderthalergene in modernen Menschen

Vergleicht man die Gene heutiger Europäer mit den Genen von Menschen, die vor Jahrtausenden lebten, dann zeigt sich, dass es mehrere große Einwanderungswellen nach Europa gab, die uns genetisch geprägt haben. "Vor 5.000 und vor 8.000 Jahren sahen wir nochmal anders aus als heute, also in Europa hat sich einiges getan", sagt Haak.

Begonnen hat alles vor rund 40.000 Jahren, als der moderne Mensch in kleinen Jäger- und Sammler- Gruppen aus dem Nahen und Mittleren Osten, der sogenannten Levante nach Europa einwanderte. Seinen Verwandten, den Neandertaler, hat er dort verdrängt, bis dieser schließlich vor 30.000 Jahren ausstarb. Offensichtlich haben beide Gruppen aber auch ein paar Mal gemeinsam Nachkommen gezeugt.

"Alle Nicht-Afrikaner heute tragen im Schnitt zwei Prozent Neandertalergene in sich und innerhalb dieser zwei Prozent gibt es auch noch sehr relevante Dinge, die für uns heute noch von Bedeutung sind, beispielsweise ein Teil des Immunsystems", sagt Wolfgang Haak.

Wie Ackerbau nach Europa kam

Der älteste Fund aus der Zeit der Jäger und Sammler in Mitteldeutschland ist das Skelett eines modernen Menschen, das in Bad Dürrenberg entdeckt wurde. Es ist eine 25 bis 35 Jahre alte Frau, eine Schamanin. Sie hat vor rund 9.000 Jahren unter nomadischen Wildbeutern gelebt. Der Übergang von diesen Jäger-Sammlern hin zu sesshaften Ackerbauern und Viehzüchtern fand in Europa vor rund 8.000 Jahren statt. Die Wissenschaftler waren sich lange nicht einig darüber, wie sich das Frühbauerntum entwickelt hat. Es gab zwei grundsätzliche Theorien.

Auf der einen Seite könnte es einen Ideentransfer gegeben haben, bei dem die Technologie des Ackerbaus und der Viehzucht von einer Gruppe an die andere weiter gereicht wurde. Auf der anderen Seite könnten die Frühbauern ihr Siedlungsgebiet einfach nach Europa ausgedehnt haben.

Wolfgang Haak, Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte

Die Jenaer haben diese Frage mit Hilfe der DNA-Analyse gelöst: Demnach kamen die Frühbauern vor rund 8.000 Jahren aus West-Anatolien nach Europa, brachten ihr domestiziertes Vieh und ihre Kulturpflanzen mit.

Yamnaya eroberten Europa

Doch die wohl größte und folgenreichste Einwanderung nach Europa entdeckten Wolfgang Haak und sein Team bei der Analyse des Erbgutes der rund 4.500 Jahre alten Skelette aus Eulau. Diese Menschen gehörten zur sogenannten Schnurkeramik-Kultur. Ihre Gene unterschieden sich völlig von denen der Frühbauern, die aus Westanatolien nach Mitteleuropa kamen. "Das hat uns total überrascht, weil wir letztendlich in einer Region bleiben und am Anfang der frühen Bronzezeit nicht noch einen neuen genetischen Umsturz erwartet haben."

Vor 4.500 Jahren passierte aber genau das. Eine neue Gruppe, die Yamnaya, ein halbnomadisches Viehhirten-Volk, eroberte Europa. Sie breiteten sich in nur wenigen Jahrhunderten enorm aus , bis in die Region um Eulau bei Naumburg. Vor allem sie prägten Europa genetisch nachhaltig. "Letztendlich tragen wir alle die genetische Dreifaltigkeit der Vorgeschichte, also der Stein- und der Bronzezeit in uns, 30 Prozent Jäger Sammler, dann 30 Prozent anatolische Frühbauern und 40 Prozent dieser Steppen-Viehhirten."

Blondes Haar aus der Steppe

Eine europäische genetische Identität, die sich über Jahrtausende hinweg kontinuierlich herausgebildet hat, gibt es also aus Sicht der Archäogenetiker nicht. Wir Europäer sind ein genetischer Mischmasch, der auch unser Äußeres geprägt hat. Denn die blauen Augen haben wir von den noch dunkelhäutigen Jägern und Sammlern, die helle Haut von den anatolischen Frühbauern und die blonden Haare von den Yamnaya aus der Steppe.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Wissen aktuell | 26. Mai 2019 | 11:17 Uhr