Streik der IG Metall 1974 in Bremen
Werftstreik in Bremen 1974 (Archivbild). Bildrechte: imago images / Klaus Rose

Aktionen statt Passivität Arbeitnehmer entwickeln in Krisen ungeahnte Kräfte

23. Mai 2019, 05:00 Uhr

Gerät eine Firma in die Krise, bangen Arbeitnehmer um ihre Jobs. Bislang dachten Forscher, dass die Menschen eher passiv reagieren, Motto: "Man kann nichts machen". Doch das ist ein Irrtum, deckt eine neue Studie auf.

Wirtschaftskrisen sind für Beschäftigte eine schlimme Zeit. Die Menschen fürchten um ihren Arbeitsplatz. Das Leben könnte aus den Fugen geraten, womöglich kann der Kredite fürs Haus nicht mehr bedient werden, weil am Ende des Monats das Geld fehlt. Das macht den Menschen Angst und sie sind zu vielen Kompromissen bereit, Hauptsache sie behalten ihren Job.

Felix Bluhm vom soziologischen Forschungsinstitut in Göttingen zeigt nun in einer Studie, dass dabei bisher ein wichtiger Teil übersehen wurde. "Wir können feststellen, dass es in Krisensituationen keineswegs so ist, dass Beschäftigte in Passivität verfallen oder ihren Kolleginnen und Kollegen das Leben schwer machen und nach unten treten", sagt er.

Unterschied zwischen Worten und Taten

Für die Studie wertete Bluhm 120 teilweise mehrstündige Interviews mit Menschen aus, die große Angst um ihre Arbeit hatten. Konkret stand dabei die Werftkrise in den 1970er Jahren im Mittelpunkt. Damals mussten mehrere Werften schließen und tausende Menschen entlassen. Noch während der Krise befragten Forscher die Angestellten, werteten die Befragung aus und archivierten die gesammelten Daten, mitsamt den Interviews.

Felix Bluhm holte sie wieder hervor und sah: "Die Forscher legen aus meiner Sicht einen zu starken Fokus auf diese verbale Artikulation von Handlungsunfähigkeit und gucken sich zu wenig an, was tatsächlich passiert und wie die Beschäftigten dann tatsächlich handeln."

Dies holte der Arbeitspädagoge nach. Erstmals hörte er nicht nur Interviews durch. Er schaute auch, was tatsächlich in diesen Wochen und Monaten in der Werft geschah und erkannte dabei eine ganz klare Diskrepanz zwischen dem, was die Menschen sagen und dem, was sie tun.

Zusammenhalt und Ausschluss

In durchaus vielen Fällen wird formuliert: Wir sind ja gar nichts mehr, heute können wir gar nichts machen, auf uns wird nur noch rumgehauen. Und kurze Zeit später wird klar, dass die gleichen Beschäftigten die Arbeit niedergelegt haben und gestreikt haben, beispielsweise um durchzusetzen, dass sie im Sommer zu bestimmten Zeitpunkten nicht arbeiten müssen, wenn es zu heiß ist.

Felix Bluhm, Soziologisches Forschungsinstitut Göttingen

Bluhm sah auch, dass sich einige Arbeitnehmer sogar mit der Gewerkschaft anlegten. Sie forderten von ihrem Betrieb, Gewinne für diese schwere Zeit zu nutzen, um die Beschäftigten zu halten und agierten gegen ihren Betriebsrat. "Von Teilen der Belegschaft wurde gesagt, wir müssen gucken, wie wir uns retten. Das richtete sich gegen die Leiharbeiter", sagt der Forscher. Die Belegschaft hielt zusammen, die Leiharbeiter waren aber außen vor.

Hinweis für andere Wissenschaftler

Menschen, die um ihren Arbeitsplatz bangen, entwickeln ungeahnte Kräfte und ein unerwartetes Selbstwertgefühl, so ein Fazit der Studie. Das sind Kräfte, die in den Gesprächen nie ersichtlich wurden.

Diese Erkenntnis sei wichtig für zukünftige Studien und grundsätzlich für wissenschaftliche Methodik, sagt Bluhm. Denn da dürften nicht nur Interviews einfließen, die von Soziologen und anderen Wissenschaftlern geführt würden, sondern auch Fakten wie sich Arbeitnehmer in Krisensituationen tatsächlich verhielten.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 23. Mai 2019 | 07:51 Uhr