Steiniger Stand in karger, arktischer Landschaft bei sonnigem Wetter mit Schneeflecken in Bergen. Nivea-Tube und anderer Plastimüll im Vordergrund. Im Hntergrund menschen in roter Kleidung, die Müll sammeln.
Keine tausend Kilometer vom Nordpol entfernt, aber mülltechnisch ganz in der modernen Zivilisation: Entlegener Strand im Norden von Spitzbergen. Im Hintergrund: Touristen, die Müll einsammeln. Bildrechte: imago/Cavan Images

Umweltverschmutzung Deutscher Plastikmüll setzt in der gebeutelten Arktis noch einen drauf

20. März 2024, 16:01 Uhr

Die Arktis hat's angesichts des Klimawandels hart getroffen. Hier wird es besonders schnell warm. Und nicht nur das. Der Norden unserer Welt ist auch stark vermüllt, insbesondere mit Plastik. AWI-Forschende haben jetzt Müll von Spitzbergens Stränden ausgewertet und zeigen, warum wir beim Joghurtessen besser an die nördlichen Gefilde der Welt denken sollten. Denn der Abfall kommt nicht nur aus den Nachbarstaaten und von der Fischerei, ein beachtlicher Teil stammt aus Deutschland.

Das Perfide an Plastikverpackungen macht sie auch irgendwie praktisch: Sie verrotten vorerst nicht – und somit auch nicht ihr Absender. Der ist an arktischen Stränden besonders häufig Deutschland, was dem Bild der recyclingwütigen Biodeutschen wieder einmal nicht sonderlich zuträglich sein dürfte. Sondern eher dem der konsumorientierten Ferkel.

Aber der Reihe nach: Seit fünf Jahren begleitet das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut (AWI) ein bürgerwissenschaftliches Citizen-Science-Projekt, bei dem Arktisreisende angeschwemmten Müll aus dem arktischen Ozean an den Stränden von Spitzbergen eingesammelt haben. 23.000 Teile mit einem Gesamtgewicht von 1.620 Kilogramm kamen da zusammen. Das AWI hat diesen Müll nun analysiert – und schlägt einen Ton an, den wir so auch schon aus wärmeren Gefilden der Welt kennen: Plastik ist dort, wo es nicht hingehört und ohnehin schon gebeutelte Ökosysteme weiter schwächt.

"Unsere Auswertung zeigt, dass mit achtzig Prozent der weitaus größte Teil Plastikmüll ist", so Studienerstautorin Anna Natalie Meyer vom AWI. Das meiste lasse sich zwar der Fischerei zuordnen, ließe aber eben kaum Rückschlüsse auf deren Herkunft zu. Aber immerhin: Bei einem Prozent konnten noch Aufschriften oder Einprägungen erkannt werden mit häufiger Verbindung zu Arktis-Anrainerstaaten wie Norwegen und Russland. Aber: "Aus Messkampagnen und Computermodellen wissen wir, dass es für die Plastikverschmutzung in der Arktis lokale und ferne Quellen gibt", sagt Anna Natalie Meyer. "Von Schiffen und aus arktischen Siedlungen gelangt lokal Plastikmüll ins Meer. Aus der Ferne wird Plastikmüll und Mikroplastik über zahlreiche Flüsse und über Ozeanströmungen aus dem Atlantik, der Nordsee und dem Nordpazifik in den Arktischen Ozean transportiert."

Steiniger Stand in karger Landschaft bei sonnigem Wetter. Tourist mit dicker, roter Jacke und Kamera sammelt Müll ein. Im Hintergrund weitere Menschen.
Im Urlaub mal mit anfassen: Touristen sammeln Müll an einem entlegenen Strand im Norden von Spitzbergen, keine tausend Kilometer vom Nordpol entfernt. Bildrechte: imago/Cavan Images

Müllweltreise auf Spitzbergen

Das führt dazu, dass auch Brasilen, China und die Vereinigten Staaten Spitzbergens Küsten zumüllen. Und natürlich das nicht ganz so ferne Europa. Allein der deutsche Anteil liegt bei acht Prozent. "Vor dem Hintergrund, dass Deutschland Europameister sowohl in der Plastik-Produktion als auch in Müllexporten ist, erscheint dieser verhältnismäßig hohe Beitrag weniger verwunderlich", so die Einschätzung von AWI-Wissenschaftlerin Melanie Bergmann. Auch an anderen, weit entfernten Küsten der Erde war deutscher Müll in der Vergangenheit bereits nachweisbar.

Eine Boje des Projekts 'Flaschenpost aus Dresden' im Meer vor einem verschneiten Küstengebirge. Text: Wie sich unser Müll über die Elbe verbreitet 45 min
Bildrechte: ravir Film / MDR

Die Forschenden bezeichnen die arktischen Strände als eine Art Endlager. Und die sind sowas wie das Salz in der Wunde: Die Arktis ist durch den Klimawandel besonders gebeutelt, hier erwärmt sich die Erde viermal schneller als im globalen Durchschnitt. "Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass selbst reiche und umweltbewusste Industrienationen wie Deutschland, die sich ein besseres Abfall-Management leisten könnten, signifikant zur Verschmutzung ferner Ökosysteme wie der Arktis beitragen", so Bergmann. Unbedingt erforderlich seien Verbesserungen beim Abfallmanagement, besonders auf Schiffen und in der Fischerei.

Zudem müsse die Plastikproduktion, insbesondere in den Industrienationen, massiv heruntergefahren werden. Bergmann: "Das unterstreicht einmal mehr die Dringlichkeit für ein ambitioniertes und rechtsverbindliches UN-Plastik-Abkommen, das aktuell verhandelt wird und 2024 in Kraft treten soll." Denn die Aufschrift 2023 wird man auf den Verpackungen an den Stränden der Welt wahrscheinlich noch lange lesen können.

flo

Links/Studien

Die Studie Where does Arctic beach debris come from? Analyzing debris composition and provenance on Svalbard aided by citizen scientists erschien in "Frontiers in Marine Science".

DOI: 10.3389/fmars.2023.1092939

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Flaschenpost aus Dresden | 05. Dezember 2021 | 22:20 Uhr

23 Kommentare

MDR-Team am 09.02.2023

Hallo Pegauer,
beim zweiten Anlauf haben sie ja auch versucht, sich an unsere Kommentarrichtlinien zu halten. ;)
Das, was sie anführen, mag ja stimmen, ist allerdings nicht viel mehr als Whataboutism. Das ändert doch nichts an der hier beschriebenen Tatsache, dass allein der deutsche Anteil des Plastikmülls an den Stränden Spitzbergens bei acht Prozent liegt.
Freundliche Grüße aus der MDR-Wissen-Redaktion

Der Pegauer am 08.02.2023

Zweiter Anlauf: Die zehn dreckigsten Flüsse mit hohen Lasten an Plastikabfällen befinden sich in Afrika und Asien. Kann man im Internet nachlesen. In welche Meere und Ozeane diese Flüsse münden, weiß man im Allgemeinen, wenn man in der Schule im Fach Geografie aufgepasst hat. Und durch welche Länder diese Flüsse verlaufen, kann man mit einem Blick in einen gut sortierten Atlas auch herausfinden.

AlexLeipzig am 08.02.2023

Wenn man es ernst meint, kann man schon mal mit dem Plastebecher und dem Wattestäbchen anfangen, bei Millionen dieser Einwegartikel jedes Jahr allein in Deutschland. Sagt ja keiner, daß das allein schon ausreichen würde.