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Artenschutzkonferenz COP1530 Prozent mehr Schutzgebiete bis 2030 – welche Arten wollen wir schützen?

06. Dezember 2022, 14:10 Uhr

Es geht uns Überleben. So sehen Forschende den Auftrag der UN-Biodiversitätskonferenz COP15 vom 7.-19. Dezember in Montreal. Eines der großen Themen sind die 30x30 Ziele. Bis 2030 soll es an Land und im Meer 30 Prozent mehr Schutzgebiete geben, um dem Verlust der Artenvielfalt entgegenzuwirken. Ein wichtiges und ambitioniertes Ziel, dass aber nur sinnvoll ist, wenn es richtig umgesetzt wird. Expertinnen und Experten erläutern, wo die Fallstricke liegen und warum das Ziel trotzdem wichtig ist.

Eines der wichtigsten Ziele, das auf der kommenden Artenschutzkonferenz in Kanada besprochen werden soll, ist das sogenannte 30x30 Ziel. Konkret heißt das, dass bis 2030 30 Prozent der weltweiten Land- und Ozeanflächen, die für die biologische Vielfalt wertvoll sind, geschützt werden sollen. Sehr ambitionierte Ziele, wenn man bedenkt, dass bisher nur 17 Prozent der Landflächen und sieben Prozent der Meere unter Schutz stehen. Drei Expertinnen und Experten tauschten sich darüber in einem Gespräch mit dem Science Media Center aus und informierten über den Stand der Wissenschaft.

Nicht die Zahl ist das Ziel, sondern die zielgerichteten Maßnahmen

Bildrechte: HIFMB/Monika Feiling

Thomas Brey vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) sieht schon in der Fokussierung auf eine bestimmte Zahl ein Problem. Denn irgendwelche Flächen zum Schutzgebiet zu machen, um diese Zahlen zu erreichen, wäre möglich, aber eben überhaupt nicht zielführend, um tatsächlich einen Nutzen für den Artenschutz daraus zu ziehen. "Man muss auch da schützen, wo es wichtig ist", mahnt Brey.

Und hier ergibt sich schon die nächste wichtige Frage, die laut Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum vorab geklärt werden muss: Was genau soll denn da geschützt werden? Geht es uns um seltene Arten, die erhalten bleiben sollen? Geht es um Biodiversitäts-Hotspots, wo unglaublich viele Arten vorhanden sind? Geht es um die unangetastete Wildnis? Je nachdem wie diese Fragen beantwortet werden, ergeben sich Konflikte. Und, betont Böhning-Gaese außerdem, bei der Frage, wo und was geschützt werden soll, kommen nicht nur naturwissenschaftliche Entscheidungen zum Tragen, sondern es sind auch Werteentscheidungen. Hier wird auch ganz klar gefragt: Was ist uns eigentlich wichtig?

Biodiversität lässt sich nicht am Menschen vorbei schützen

Prof. Dr. Almut Arneth ist Leiterin der Arbeitsgruppe Modellierung Globaler Landökosysteme und Leiterin der Abteilung Ökosystem-Atmosphäre Interaktionen, Institut für Meteorologie und Klimaforschung Atmosphärische Umweltforschung, Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Bildrechte: Gabi Zachmann/ Karlsruher Institut für Technologie

Aber auch wenn diese Frage beantwortet ist, ist das Problem mit dem Schutz der Biodiversität noch längst nicht gelöst. Denn er erfordert nicht nur das Know-how, sondern auch den Handlungsspielraum und den Willen der Menschen, die ihn umsetzen sollen.

Es gibt zum Beispiel extrem schützenswerte Flächen, auf denen die Biodiversität sehr profitieren würde, wenn der Mensch gänzlich davon ausgeschlossen würde. Doch hier ergeben sich auch erhebliche Flächenkonflikte. "Es führt auch dazu, dass die Nahrungs- und Futtermittelproduktion auf kleineren Flächen stattfinden muss und das bei einer wachsenden Weltbevölkerung. Das führt zu Preisanstiegen und zu Intensivierung. Es gibt Modellstudien, die zeigen, dass in diesem extremen Fall Millionen von Menschen diesen Preisanstieg nicht zahlen können“, erklärt Prof. Dr. Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Sie führt weiter aus, dass man es sich ganz genau überleben müsse, wo man extreme Schutzgebiete einrichtet, bis zu welchem Grad man die menschliche Nutzung erlaubt und wo man zeitgleich an anderer Stelle Flächen einsparen und anderweitig bereitstellen könnte. "Autos werden immer größer, die Flächen für Wohnraum steigen stetig an, der Fleischkonsum – all das sind Stellschrauben, die man betätigen kann, um solche Konflikte zu lösen." Aber, und das ist eben unumgänglich, Maßnahmen müssen immer zusammen mit den Menschen geschaffen werden, sei es die indigene Bevölkerung, die um ihre Landrechte fürchtet, oder die Bevölkerung, die in diesen Regionen lebt.

Management und Finanzierung – Grundpfeiler für Erfolg

Doch das sind nicht die einzigen Stellschrauben, die gedreht werden können und müssen. Ganz entscheidend für den Erfolg solcher Schutzgebiete ist laut der Expertinnen und Experten vor allem auch die adäquate Finanzierung und das Management dieser Flächen. Nur so kann verhindert werden, dass weiter Paperparks, also Schutzgebiete, die nur auf dem Papier existieren, installiert werden.

Die Verantwortung dafür sieht Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese vor allem bei den reicheren Ländern, zumal diese hauptverantwortliche für den Verlust der Biodiversität und den Klimawandel sind. "Wenn Schutzgebiete in Madagaskar liegen, wo die Menschen arm sind und einfach in den Wald gehen müssen, um zum Beispiel zu jagen, sind wir als globaler Norden natürlich gefordert hier bei der Finanzierung, Ausbildung und beim Management zu helfen." Nur wenn die Menschen unterstützt werden und es Kontroll- und Qualitätsmechanismen gibt, kann auch sichergestellt werden, dass sie tatsächlich dem Schutz der Biodiversität dienen.

Biologin und Vogelkundlerin Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese. Sie leitet das Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum. Bildrechte: MDR WISSEN/Laura Becker

Wichtig zu wissen: Der Artenverlust und der Klimawandel lassen sich nicht getrennt voneinander betrachten. Das gilt laut Prof. Dr. Almuth Arneth auch bei der Installation von Schutzgebieten, denn es müsse genau geschaut werden, wo der Klimawandel großen Einfluss auf die Artenvielfalt hat, wo sich die Schutzgebiete in 20 Jahren auch noch lohnen und wo sie eventuell innerhalb kürzester Zeit schon verloren gehen würden.

Fürs Meer sieht es düster aus

Für die Meeresflächen sieht es in diesem Hinblick laut Prof. Dr. Thomas Brey nicht gerade rosig aus. Er sagt sogar ganz klar: Die 30x30 Ziele werden hier nicht klappen. Das Hauptproblem bei der Sache sei nämlich dieses: "Wir müssten die globale Fischerei in den Griff bekommen."

Fischerei, das sei laut Brey nämlich nicht der kleine Krabbenkutter, der über die Nordsee schippert, sondern das ist eine hochtechnisierte Industrie, die so effizient ist, dass ein einziges modernes Hochsee-Versorgungsschiff in der Lage ist, einen ganzen Bestand zu gefährden. Und diese Schiffe können überall auf der Welt umherfahren und fischen.

Brey erklärt weiter, dass die Nachfrage Prozesse in Gang setzt. China zum Beispiel baut seine Fernfischerei stark aus. Aber auch Deutschland hat Verträge mit afrikanischen Ländern, um vor deren Küste zu fischen. Dort müsste man schauen, wie sich dieses Verhalten auf die Bestände, aber auch auf die lokale Fischerei auswirkt. Und dann müsste dort gehandelt werden. Allerdings lassen sich Maßnahmen nur dort umsetzen und kontrollieren, wo auch eine Zuständigkeit besteht, wo sich jemand verantwortlich fühlt. Im Offshore-Bereich, also außerhalb nationaler Hoheitsgewässer, ist das extrem schwierig.

Prioritäten, Verhältnismäßigkeiten und politischer Willen

Aber auch an Land ist das eine große Herausforderung. Denn alle wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Welt sind im Grunde nichts wert, wenn es am Willen fehlt sie umzusetzen. Und hier spielt die Politik eine entscheidende Rolle. Aber natürlich können auch politische Entscheidungen nicht im luftleeren Raum getroffen werden. Auch sie erfolgen in Verbindung mit der Bevölkerung, wirtschaftlichen- und politischen Interessen. Aber hier lohnt ein Blick auf die Prioritätensetzung und Verhältnismäßigkeiten.

"Deutschland ist da schon sehr ambitioniert vorangegangen. Herr Scholz hat auf der UN-Versammlung erklärt, dass Deutschland fünf Milliarden in den Topf für internationalen Naturschutz legt. Das ist prima. Wenn wir aber sehen, dass allein die Ahrtal-Katastrophe 30 Milliarden Euro gekostet hat, dann sieht man, dass die Summen im Vergleich auf einer anderen Größenordnung stattfinden", gibt Katrin Böhning-Gaese zu bedenken.

Ambitioniertes Ziel mit vielen Fallstricken - aber wichtig

Fest steht also, das 30x30 Ziel zu formulieren ist nur der erste Schritt und es gibt viele Fallstricke, die nicht gerade leicht aus der Welt zu schaffen sind. Aber, da sind sich die Expertinnen und Experten einig, die Verpflichtung zu einem solchen Ziel schafft Bewusstsein und Handlungsgrundlagen. Noch wichtiger ist aber, dass dann auch tatsächlich etwas passiert und die vorhandenen Herausforderungen aktiv und unter Einbeziehung des wissenschaftlichen Know-hows angegangen werden. Und das bedeutet auch, dass wir als Gesellschaft endlich umdenken und handeln müssen. Die Wissenschaft hat ihre Arbeit gemacht und führt sie kontinuierlich fort, jetzt ist es an der Bevölkerung und an der Politik ihren Beitrag zu leisten und das nicht nach dem Motto "Macht ihr erst mal, dann machen wir vielleicht auch", sondern jetzt, gemeinsam und zeitgleich.

JeS

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR um 11 | 05. Dezember 2022 | 11:05 Uhr

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