Diese Fischaugenobjektivansicht zeigt die südliche Milchstraße, vom Skorpion, der unten links im Osten aufgeht (hier jedoch teilweise hinter Bäumen), bis zum Orion, der oben rechts im Westen untergeht. 4 min
Bildrechte: IMAGO / VWPics

Astrophysik Interstellarer Tunnel in der Milchstraße entdeckt

20. November 2024, 09:23 Uhr

Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) haben eine erstaunliche Entdeckung gemacht: In unserer Milchstraße gibt es interstellare Tunnel, die verschiedene Sternenbilder miteinander verbinden. Grundlage dafür sind sogenannte Local Hot Bubbles - in denen sich auch unser Sonnensystem befindet.

Ein solcher interstellarer Tunnel verbindet uns mit dem Sternenbild Centaurus. Zum ersten Mal ist solch ein Tunnel überhaupt beobachtet worden. Für Prof. Dr. Günther Hasinger, designierter Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz, ist diese Entdeckung durchaus bedeutsam.

Das ist einfach ein weiteres Puzzlestück in dem Verständnis, wie unsere Milchstraße aufgebaut ist und sich entwickelt.

Prof. Dr. Günther Hasinger Designierter Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz

Wir leben in einer Blase

 Ein interstellarer Tunnel verbindet die lokale heiße Gasblase mit dem Sternenbild Centaurus.
Ein interstellarer Tunnel verbinden die lokale heiße Blase mit dem Sternenbild Centaurus. Bildrechte: Michael Yeung/Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik

Grundlage der Studie ist dabei die Erkenntnis, dass sich unser Sonnensystem im Zentrum einer heißen Gasblase befindet - die Forschenden bezeichnen das als Local Hot Bubble (LHB). Vermutet wird, dass diese aus mehreren Explosionen und Supernovas entstanden ist. Diese Annahme ist nicht neu, bereits in den 70er-Jahren gab es erste Theorien dazu. Dass sich unsere Sonne in der Mitte dieser Blase befindet, hat dabei gar keinen tieferen Sinn: Die Sonne durchquert auf ihrem Weg durch die Milchstraße nur zufällig diese Gasblase, erklärt Hasinger. Denn die große Frage sei gewesen, warum die Sonne überhaupt inmitten dieser Blase sitze.

Da hat sich herausgestellt, dass es einfach Zufall ist. Diese Explosion oder diese Reihe von Explosionen, die dort diese Blase geformt haben, die müssen vor ungefähr 14 Millionen Jahren passiert sein. Die Sonne hat sich inzwischen einfach auf ihrem Weg durch die Milchstraße in diese Blase begeben und zufällig sitzt sie jetzt genau in der Mitte.

Prof. Dr. Günther Hasinger Designierter Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik in Görlitz

Zum Größenvergleich:

  • Unser Sonnensystem ist 0,0016 Lichtjahre groß.
  • Die Local Hot Bubble (LHB) ist 300 bis 1000 Lichtjahre groß, je nach Ausprägung.
  • Die Milchstraße hat einen Durchmesser von 90.000 bis 120.000 Lichtjahren.

Die Gasblase, in der sich unsere Sonne befindet, ist dabei aber nicht die einzige ihrer Art in der Milchstraße. In ihrer Nachbarschaft befinden sich weitere Blasen. Der Mitautor der Studie, Michael Freyberg vom Max-Planck-Institut für extraterretrische Physik, nennt dieses Blasenmodell auch "Schaum", der durch viele Supernova-Explosionen von lokalen Sternhaufen entstanden ist. Insbesondere die Grenzgebiete dieser Blasen ist dabei interessant.

Wenn sich zwei solcher Blasen berühren stellt sich die Frage: Was passiert an der Grenzfläche? Es können Instabilitäten auftreten, die die Wände quasi porös machen. Es können Verdichtungen auftreten, an denen dann später wieder neue Sterne entstehen.

Dr. Michael Freyberg Mitautor der Studie und Wissenschaftler am MPE

Genau an einer solchen Grenzfläche hat das Forschungsteam nun auch einen interstellaren Tunnel entdeckt.

Ein Netzwerk an interstellaren Tunneln?

Freyberg und seine Kolleginnen und Kollegen vermuten sogar ein weitreichendes System an solchen Tunneln. Problem nur: Die sind gar nicht so leicht nachzuweisen. Der nun entdeckte Tunnel zum Sternenbild Centaurus ist das Werk einer Analyse von Karten der Verteilung von interstellarem Staub und dem Röntgenteleskop "eROSITA". Für die jetzige Studie haben die Autorinnen und Autoren auch nur die Daten der ersten Himmelsdurchsuchung des Teleskops nutzen können - weitere Daten folgen. Freyberg schränkt aber ein, dass auch neue Daten von eROSITA nicht zwangsläufig zur Entdeckung neuer Tunnel führen.

Wir beabsichtigen unsere Analyse auf die weiteren Durchmusterungen auszudehnen, was aber aufgrund der erhöhten Sonnenaktivität noch mehr Bereinigung der Daten erfordert. Selbst dann dürften nicht deutlich mehr derartige Tunnel zu finden sein. Man wird staerkere Teleskope wie "Athena" benötigen, um potentielle Tunnel mit höherer Empfindlichkeit zu beobachten und gegebenfalls zu bestätigen.

Dr. Michael Freyberg Mitautor der Studie und Wissenschaftler am MPE
Röntgenteleskop: eROSITA
Das Röntgenteleskop eROSITA hat die Daten für die Studie erhoben - inzwischen ist sie aber inaktiv. Bildrechte: IMAGO / Reiner Zensen

Erschwerend kommt hinzu: Das Teleskop eROSITA, das erst 2019 in All gestartet ist, ist gar nicht mehr aktiv. Das Projekt ist eine russisch-deutsche Koproduktion - seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine wurde das Projekt aber von deutscher Seite in den Ruhezustand versetzt. Das von der ESA geplante Röntgenteleskop "NewAthena" wird erst seit 2023 neu konzeptuiert. Von einem Start wird Stand jetzt 2037 ausgegangen. Spätestens ab da können laut Freyberg mehr Erkentnisse über die interstellaren Tunnel erwartet werden.

Links/Studien

Die Studie "The SRG/eROSITA diffuse soft X-ray background" können sie in der Fachzeitschrift "Astronomy" & Astrophysics" kostenfrei nachlesen.

sh

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 19. November 2024 | 10:12 Uhr

20 Kommentare

Eddi58 vor 2 Wochen

@Ilse
„ Eddi, beschäftigen Sie sich mal mit man-in-the-middle-Angriffen, die technisch minimal verzögert, den Datenverkehr weiterleiten ( hier 2x Ihrer angesetzten 2 Lauscher )“

Wäre ich paranoid, würde ich mir vielleicht Sorgen machen…👀

Anscheinend halten Sie mich für wichtiger, als ich tatsächlich bin?!🤷‍♂️
Übrigens: unsere Kommunikation ist etwas einseitig. Sehen Sie das auch so?

Ilse vor 2 Wochen

Eddi, beschäftigen Sie sich mal mit man-in-the-middle-Angriffen, die technisch minimal verzögert, den Datenverkehr weiterleiten ( hier 2x Ihrer angesetzten 2 Lauscher )

MDR-Team vor 2 Wochen

@kagewe (3)
Jetzt hat uns auch der Studienautor geantwortet:
"Laut dem Modell von Cox & Smith aus dem Jahre 1974, sollten solche Tunnel (also das Innere) eine Dichte von weniger als 0.01 pro Kubikzentimeter haben, eine Temperatur von etwa 1 Million Grad, ein sehr niedriges Magnetfeld, und einen Tunnelradius von etwa 10pc (Durchmesser 60-70 Lichtjahre). Magnetfelder haben wir bisher nicht geprüft bzw. prüfen können, die anderen Eigenschaften passen im Großen und Ganzen für den Centaurus-Tunnel.
Mit unserer Dichte von 0.004 pro Kubikzentimeter würde es bis zu 300-400 Parsec ausgedehnt sein (etwa 1200 Lichtjahre)."

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