Heuschnupfen und Co. Mikrobiom: Ohne Bakterien bekommen wir Allergien

24. November 2020, 14:19 Uhr

Immer mehr Menschen leiden unter Allergien. Die Zahl der Allergiker ist seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts um 40 Prozent gestiegen. Mediziner suchen nach Ursachen. Eine davon könnte im Darm liegen.

Illustration: Darmbakterien bei einer Frau 5 min
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Immer mehr Menschen entwickeln Allergien. Die Suche nach den Ursachen führt Mediziner zu den komplexen Lebensgemeinschafzen der Bakterien im menschlichen Darm.

MDR AKTUELL Fr 26.04.2019 16:19Uhr 05:28 min

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Immer mehr Menschen reagieren auf sogenannte Allergene, eigentlich harmlose Proteine, allergisch. An unseren Genen allein kann das nicht liegen, sagt Regina Treudler, Leiterin des Allergiezentrums am Universitätsklinikum Leipzig. "Allergische Erkrankungen werden durch das, was wir tun, irgendwie begünstigt und nehmen deshalb zu. Irgendetwas in unseren Lebensbedingungen ist nicht günstig."

Vielleicht haben die kleinsten Bewohner in und auf uns etwas damit zu tun, die Welt des Mikrobioms. Mit diesem Begriff meinen Mediziner die Gesamtheit an Mikroorganismen, die zum Beispiel als Bakterien auf und im Menschen leben. Lange wurden sie von der Forschung nur wenig beachtet. Erst durch Fortschritte in der DNA-Sequenzierung wurde der Zusammenhang von Kleinstorganismen und verschiedenen Krankheiten erkannt, etwa Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Depressionen.

Bauernhofkinder sind gesünder

Frau schnäuzt vor blühenden Haselstrauch in Taschentuch.
Pollen von Bäumen sind ein häufiger Reiz für Allergiker. Bildrechte: imago/Steffen Schellhorn

Mehr und mehr Studien der letzten Jahre zeigen, dass das Mikrobiom auch die Autoimmunreaktionen unseres Körpers beeinflusst, sagt Caspar Ohnmacht. Er ist Arbeitsgruppenleiter am Zentrum Allergie und Umwelt der Technischen Universität und des Helmholtz Zentrums in München. "Wir wissen heutzutage, dass dieses Mikrobiom ein wichtiger Umweltfaktor dafür ist, ob man eine Allergie bekommt und wie schwer sie wird".

Ausschlaggebende Hinweise für einen Zusammenhang zwischen dem Darmmikrobiom und Allergien fanden unter anderem Mediziner vom Klinikum der Universität München. Sie hatten Kinder, die auf Bauernhöfen aufwuchsen mit Kindern aus einem anderen Umfeld, wie der Stadt, verglichen. Die sogenannten "Bauernhofkinder" erkrankten seltener an Asthma als ihre Altersgenossen. Und: Sie hatten mehr und verschiedenste Bakterien in ihrer Darmflora.

Überreaktion des Immunsystem

Die Bauernhofkinder waren von Anfang an einer großen Vielfalt an Bakterien und anderen Einflüssen ausgesetzt, durch Tierhaare, Pflanzen oder einfach Dreck. Deshalb fanden sich die Mikroorganismen auch in und an ihrem Körper wieder. Wissenschaftler vermuten, dass die Stoffwechselprozesse von Bakterien einen Einfluss auf den Körper und seinen Umgang mit körperfremden Stoffen haben. Wie das Darmmikrobiom die Immuntoleranz beeinflussen kann, erklärt Caspar Ohnmacht an einem Beispiel:

"Das Mikrobiom im Darm bildet aus komplexen Kohlenhydraten kurzkettige Fettsäuren. Und wir wissen, dass diese kurzkettigen Fettsäuren zum Teil einen erheblichen Einfluss, ein eher antientzündliches Potenzial haben. Sie können tatsächlich dämpfend wirken auf das Immunsystem."

Denn dass ist ja das eigentliche Problem der Allergie, dass das Immunsystem überreagiert gegen das, was eigentlich harmlos ist.

Caspar Ohnmacht, Universitätsklinikum München

Komplexe Lebensgemeinschaft

Doch das ist nur eines von wenigen, gesicherten Beispielen. Denn die große Oberfläche der Schleimhäute im Darm sorgt für eine hohe Besiedlungsdichte. Dazu kommt eine besonders große Vielfalt an verschiedenen Bakterien-Spezies. Gerade diese mikrobiotische Vielfalt macht es der Wissenschaft schwer zu erkennen, welche Mikroorganismen welchen Effekt auf unser Immunsystem haben. Die Bakterien leben von und miteinander.

Sie müssen sich vorstellen, im Darm gibt es bis zu tausend verschiedene Bakterienarten, die alle miteinander kommunizieren.

Caspar Ohnmacht, Universitätsklinikum München

Und eine Art, so Ohmnacht, produziert dann etwas, das die andere Art verwendet. "Das Ganze führt zu einem extrem komplexen Zusammenspiel. Teilweise kann man diese Arten gar nicht im Labor kultivieren, weil die Bedingungen im Darm so speziell sind. Einige Bakterien brauchen ganz genau definierte Bedingungen, etwa Ausschluss von Sauerstoff und bestimmte Nahrungsmittel und dann eben noch bestimmte andere Bakterienstämme, die aufeinander aufbauen."

Was ist zuerst?

Im Rahmen des europäischen Projekts "Allergut" versucht Caspar Ohnmacht das Rätsel um das Zusammenspiel von Mikroorganismen und Immunsystem zu lösen. Doch obwohl Ohnmacht und sein Team mittlerweile die einzelnen Bakterien erkennen können, verstehen sie noch nicht gänzlich die Wirkungsweisen. So bleibt beispielsweise die Frage, ob die Zusammensetzung des Mikrobioms Ursache oder Symptom einer Erkrankung ist, heute noch unbeantwortet.

Man weiß zum Beispiel, dass auch eine Veränderung der Mikrobiome auf der Haut bei allergischen Erkrankungen wie Exzemen eine Rolle spielt.

Caspar Ohnmacht, Universitätsklinikum München

Doch dabei ist nach Meinung des Experten noch nicht genau geklärt, ob das Ursache oder Konsequenz der Entzündung ist. "Denn bei jeder Entzündung passiert auch irgendwas mit dem Mikrobiom. Das ist immer ein Wechselspiel."

Kindheit entscheidet

Trotz dieser Unklarheiten hat die Industrie das Thema "Mikrobiom und Allergie" bereits für sich entdeckt. Im Internet finden sich zahlreiche probiotische Nahrungsergänzungsmittel, die Bakterienkulturen gegen allergische Symptome in den Darm bringen sollen. Doch die Wirksamkeit solcher Präparate ist nicht belegt, zumindest nicht endgültig. "Sie kennen vielleicht die Lacto-Bazillen, Joghurt-Kulturen, die Schwangeren und kleinen Kindern empfohlen wurden mit der Hoffnung das Immunsystem günstig zu beeinflussen. Das scheint bei einzelnen zu wirken, aber in den Studien war das nie so abschließend überzeugend", sagt Regina Treudler vom Universitätsklinikum Leipzig.

Ein Mädchen läuft über eine Wiese auf einer Waldlichtung.
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Derselbe Effekt könne auch mit einem Joghurt erzielt werden. Eine gesunde Lebensweise sei generell aber wichtig, um mit unserem Mikrobiom in einem natürlichen Gleichgewicht zu leben, sagt Caspar Ohnmacht vom Zentrum Allergie und Umwelt der TU München. Denn wir und unser Mikrobiom sind Eins.

Wir bilden eine Art von Symbiose mit unseren Bakterien, die im gewissen Gleichgewicht zu uns stehen.

Caspar Ohnmacht

Allerdings zweifelt Ohnmacht, dass ein Allergiker durch eine für das Mikrobiom günstige Ernährung irgendwann geheilt werden könnte. "Wir denken, dass es ein kritisches Zeitfenster in der frühen Kindheit gibt, in dem sich entscheidet, ob man später Allergien bekommt oder nicht. Da wird dieses Gleichgewicht zwischen Mikrobiom und Immunsystem vermutlich etabliert."

Dementsprechend bleibt die Chance das Mikrobiom der eigenen Kinder in die richtige Richtung zu erziehen. Was nichts anderes bedeutet, als sie möglichst frühzeitig Bakterien und anderen Mikroorganismen auszusetzen. Eben wie bei Bauernhofkindern.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Wissen | 28. April 2019 | 09:20 Uhr