Männer in einem Korb am Ausleger eines Krans
Forschung am Auwaldkran in Leipzig: Bäume sondern chemische Signale ab, mit denen sie Vögel oder Insekten um Hilfe rufen. Bildrechte: iDiv

Biologie Erstmals nachgewiesen: So rufen Bäume um Hilfe

23. Januar 2022, 05:00 Uhr

Dass Bäume keine stummen Gesellen sind, wissen wir schon lange. In Leipzig ist es jetzt erstmals geglückt nachzuweisen, wie sich die grünen Riesen bei Schädlingsbefall Hilfe holen.

Wenn uns Menschen eine Zecke oder eine Mücke sticht, informiert uns unser Körper recht spät über den Schädlingsangriff. Bestenfalls erwischen wir die Biester gerade noch bei der Arbeit. Dümmstenfalls entdecken wir die pappsatte Zecke erst Tage später in der Kniekehle. Und zwischendurch haben sich vielleicht schon wieder die nächsten Kollegen an uns rangemacht.

Eien Frau mit rotem Schal steht auf einer Wiese
Prof. Nicole van Dam entschlüsselt die Chemie der Natur Bildrechte: Stefan Bernhardt, iDiv

Wären wir Bäume, würde uns das nicht passieren. Dann würden wir mit chemischen Stoffen dafür sorgen, dass wir schlechter schmecken oder anders riechen, und Mücke oder Zecke fänden uns uninteressant. "Das ist die Strategie der Bäume mit Schädlingen umzugehen, anders als wir Menschen müssen sie ja an einem Platz verharren und können ihre Extremitäten nicht bewegen um Schädlinge abzuschütteln", sagt Professorin Nicole van Dam, die am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig arbeitet und den Lehrstuhl für Molekulare Interaktionsökologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena innehat. Doch das ist nur ein Teil der Abwehrstrategie der Bäume. Für den anderen suchen sie sich Verbündete.

Per Duft-Annonce informiert der Baum: Heute gibt's hier Raupen!

eine Blaumeise an einem zweig hat eine Raupe im Schnabel
Blaumeisen können chemische Duftstoffe von Bäumen entschlüsseln Bildrechte: iDiv

Die Chemie-Ökologin hat zusammen mit ihrem Team untersucht, wie genau Bäume dabei vorgehen, um sich gegen Schädlinge zu wehren. Sie konnten mit ihrer Untersuchung nun erstmals in der Natur nachweisen, dass Bäume chemische Stoffe benutzen, um eine Art Hilferuf abzusetzen. Per Geruchsabsonderung solcher Botenstoffe informiert der Baum Vögel oder andere Räuber darüber, dass es bei ihm Futter gibt. "Das kann man sich vorstellen wie ein Reklameschild, das geschwenkt wird, eine unsichtbare Duft-Annonce, die Vögel zum richtigen Ast lenkt", veranschaulicht die Forscherin einen Prozess, der par excellence vorführt, wie perfekt in der Natur alles aufeinander abgestimmt ist. Schließlich wäre es ohne die Duft-Annonce des Baumes auch für Vögel schwer, Raupen in einem dichten Blättergewirr zu finden.

Nadelbäume annoncieren: Eier, frische Schädlingseier!

Dieser Prozess vom Schädlingsbefall bis zum Hilferuf geht sehr schnell, erklärt die Biologin. Eigentlich sind es sogar zwei Prozesse, denn der Baum unterscheidet zunächst, woher die Verletzung kommt und wenn er feststellt, es sind Fraßschädlinge, dann setzt er seine Duftnote an die Vögel ab. Lässt sich diese Art von Reaktion verallgemeinern für alle Bäume, oder unterscheiden sich Nadel- und Laubbäume in ihren Reaktionen? "Von Nadelbäumen weiß man auch, dass sie, wenn sie die Eiablage von Schädlingen registrieren, entsprechende Parasiten anlocken, wie Schlupfwespen", sagt die Wissenschaftlerin.

Eichenzweig mit grüner Raupe
Hier gibt's Raupen! Bäume annoncieren das per Duftstoff Bildrechte: T. Volfová

Was genau hat man da in Leipzigs Auwald gemacht? Zweige in den Kronen ausgewachsener Eichen wurden mit Methyljasmonat besprüht, einem Pflanzenhormon, das beim Baum eine Abwehrreaktion auslöst. Zusätzlich wurden die Blätter der Zweige mit Raupen-Attrappen aus farbiger Kinderknete als Lockmittel ausgestattet. Die ist nämlich geruchlos, ungiftig und man kann die "Picks" der Vögel schön zählen und danach glattstreichen für die nächste Zählung. So wurden also regelmäßig die Biss- und Pickspuren durch Vögel und andere Räuber gezählt und mit denen anderer, nicht-besprühter Zweige und Blätter verglichen, also mit der Zahl der echten Raupen von Eichenschädlingen. Parallel wurden die von den Ästen abgegebenen flüchtigen Stoffe im Labor analysiert. Dabei zeigte sich, dass besprühte Äste wesentlich stärker von Fraßfeinden wie Vögeln, Schlupfwespen und Raubwanzen angeflogen wurden als unveränderte Äste. Entsprechend war dort auch die Zahl der Eichenschädlinge wesentlich geringer. Und es zeigte sich auch: Im Fraßtest mieden die Raupen des Schwammspinners besprühte Blätter. Molekulare Analysen zeigten zudem, dass Bäume Abwehrstoffe wie Tannine abgeben, wodurch die Blätter den Raupen nicht mehr schmecken.

Wir müssen Obstbäume für Vögel besser "riechbar" machen

Nur wie hilft das jetzt weiter für die Landwirtschaft, zum Beispiel beim Obstanbau? "Wenn wir wissen und verstehen, worauf Vögel reagieren, können wir die Bäume besser sichtbar machen, indem wir sie mit entsprechenden Geruchsstoffen anlocken. Dann können wir Vögel zur Schädlingsbekämpfung einsetzen." Die Chemie ist die Sprache der Natur, sagt die Wissenschaftlerin. Ein Bruchteil dieser unsichtbaren, flüchtigen, chemischen Baumsprache hat man nun in Leipzig entschlüsselt.

Ein großer Baum mit grünen Blättern steht auf einer Plantage mit vielen anderen Bäumen.
Im Obstanbau könnte man die Erkenntnisse der Leipziger Forschung nutzen. Bildrechte: MDR/Teresa Herlitzius

Volf, M., Volfová, T., Seifert, C. L., Ludwig, A., Engelmann, R. A., Jorge, L. R., Richter, R., Schedl, A., Weinhold, A., Wirth, C. & van Dam, N. M. (2021): A mosaic of induced and non-induced branches promotes variation in leaf traits, predation and insect herbivore assemblages in canopy trees. Ecology Letters

lfw

Animation 1 min
Bildrechte: MDR/Robert Rönsch
Blätter einer von mehreren Viren befallenen Birke: Die Blätter haben große, ausgefranste gelbe Stellen. 3 min
Bildrechte: Carmen Büttner, Humboldt-Universität zu Berlin

2 Kommentare

MichaGo am 24.01.2022

"Wären wir Bäume, würde uns das nicht passieren. Dann würden wir mit chemischen Stoffen dafür sorgen, dass wir schlechter schmecken oder anders riechen, und Mücke oder Zecke fänden uns uninteressant."

Darwin würde sich im Grabe umdrehen.

NormalNull am 23.01.2022

Der Prozess des Anlockens von Fressfeinden hat sich in Millionen Jahren Evolution etabliert und bewährt. Wenn nun, nach Erforschung des Prozesses, mit Menschenhand eingegriffen wird: "...Wenn wir wissen und verstehen, worauf Vögel reagieren, können wir die Bäume besser sichtbar machen, indem wir sie mit entsprechenden Geruchsstoffen anlocken...." , dann wird in ein sehr komplexes System einseitig eingegriffen, mit noch nicht erforschten Folgen. Wir müssen endlich lernen, dass wir Teil der Natur sind und nicht deren Beherrscher.