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Trotz CoronaSommersemester findet statt - aber wie?

05. April 2020, 18:39 Uhr

Am 6. April beginnt das neue Semester auch an vielen Universitäten und Hochschulen Mitteldeutschlands. Und es soll überall stattfinden. Darauf haben sich die Bundesländer geeinigt. Doch das Coronavirus zwingt zum Umdenken. Mehrere Universitäten setzen auf digitales Lernen von Zuhause aus, andere haben den Start verschoben. Doch was wird aus Studierenden, deren Studium sich nicht digitalisieren lässt?

von Thilko Gläßgen

Wenn an den Universitäten das Semester beginnt, strömen allein an der Technischen Universität Dresden mehr als 30.000 Studierende in die Hörsäle. Die umliegenden Parks werden zu Lernorten umfunktioniert und in den Mensen tauschen sie sich aus. In diesem Semester ist das jedoch nicht nur an der größten Universität Mitteldeutschlands anders. Viele Universitäten haben den Beginn der Präsenzlehre nach hinten verschoben, wollen aber mit alternativen, digitalen Lehrformaten starten. Einige plädieren für ein sogenanntes "Nichtsemester".

Integrative Modelle in Sachsen-Anhalt

Besonders integrativ geht die Hochschule Magdeburg-Stendal vor. Wie andere Universitäten plant auch sie, in der zweiten Aprilwoche mit der Online-Lehre zu beginnen. Allerdings ermittelt sie derzeit per Fragebogen bei Studierenden und Professoren, wie die Erwartungen und Anforderungen an die Online-Lehre sind. So werden die Studierenden gefragt, ob sie sich in der Lage sehen trotz der Corona-Pandemie zu studieren und welche digitalen Lehrformate sie bevorzugen. Umgekehrt sollen die Lehrenden über ihre Computer-Kenntnisse Aufschluss geben: Wobei brauchen sie Hilfe, was können sie schon? Die Ergebnisse kommen ab dem 20. April zum Einsatz, sollte bis dahin ein regulärer Vorlesungsbetrieb noch immer nicht möglich sein.

Prof. Dr.-Ing. Jens Strackeljan - Rektor der Uni Magdeburg Bildrechte: Jana Dünnhaupt/Uni Magdeburg

An der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg gilt derzeit: Studenten müssen draußen bleiben. Nur Mitarbeiter, die einen Schlüssel haben, dürfen die Gebäude betreten. Das soll mindestens bis 20. April so bleiben, so lange ist Präsenzlehre an Universitäten und Hochschulen in Sachsen-Anhalt ausgesetzt. Rektor Jens Strackeljan hält dabei auch weitere Verschiebungen für denkbar:

Wo es jetzt nicht geht, werden wir ins Wintersemester ausweichen müssen.

Jens Strackeljan, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Diese Option sei für praktische Prüfungen denkbar, allerdings nur, wenn die Studierenden ohnehin im Wintersemester immatrikuliert sind. Digitale Lehre solle nicht so aussehen, dass jemand glaube, er könne sich 90 Minuten filmen und das wäre eine geeignete Vorlesung, sagt Strackeljan. Die Lehrenden sollten stattdessen durchdachte digitale Konzepte entwickeln.

In Thüringen sollen die Präsenz-Vorlesungszeiten bis zum 30. September flexibel gehalten werden. Das betrifft auch die "üblicherweise vorlesungsfreie Zeit in den Ferienmonaten Juli/August", so der Sprecher des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft Stephan Krauß. Eine Verschiebung des Semesterendes wäre noch besser, so Krauß. "Wichtig ist für Thüringen, jetzt kein Semester komplett ausfallen zu lassen."

Musikhochschulen in der Krise

Historiker Prof. Dr. Christoph Stölzl Bildrechte: imago/Lars Reimann

Anders ist die Situation bei Musikhochschulen. Denn sie tun sich naturgemäß schwer damit, digitale Formate in die Lehre einzubinden. Der Präsident der Weimarer Hochschule für Musik FRANZ LISZT, Christoph Stölzl, betont in einem internen Brief an die Lehrenden die Unwägbarkeiten der Krise, zuverlässige Aussagen über das Ende der Vorlesungszeit seien noch nicht möglich. Problematisch sieht Stölzl auch die digitale Lehre:

Unsere Hochschule lebt in allen ihren Bereichen von der Präsenzlehre.

Prof. Dr. Christoph Stölzl

Axel Köhler, Rektor der Hochschule für Musik in Dresden Bildrechte: Lutz Edelhoff

Sein Rektoren-Kollege Axel Köhler von der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden pflichtet ihm bei: "An musikalischen Gruppenunterricht ist gar nicht zu denken." Die klanglichen Defizite von Skype seien zu groß. Dennoch sollen die Möglichkeiten für musiktheoretische Grundlagen vollends genutzt werden. Köhler plädiert für ein einheitliches Vorgehen der Musikhochschulen in der Krise. Selbst die Verschiebung des Semesters könne ein Ansatz sein: "Auch wenn ich hoffe, dass Corona uns nicht so sehr beutelt, dass wir im August noch auf dem jetzigen Stand sind."

Digitale Lehre als Ausweg

Andere Universitäten in Sachsen haben es einfacher, digitale Lehrformate anzubieten. An der TU Dresden gibt es in diesem Semester fast alle Lehrangebote digital. Rektor Prof. Hans Müller-Steinhagen meint: "Die Nutzung der Digitalisierung wird in einem Ausmaß intensiviert, wie wir das sonst wahrscheinlich nicht getan hätten." Auch werde alles getan, um Nachteile für Studierende zu vermeiden. Umgekehrt werfen Studierendeninitiativen ihren Universitäten Versagen in der Digitalisierung vor. Martin Zeiler von der Studierendenräte-Konferenz Sachsen-Anhalt meint:

E-Learning wurde  in den letzten Jahren regelrecht verschlafen.

Martin Zeiler

Auch derzeit geschlossene Universitätsbibliotheken hätten in den vergangenen Jahren stärker auf E-Books setzen müssen. Jetzt sei die Literatur, die viele Studierende als Klausurvorbereitung oder für Abschlussarbeiten bräuchten, nicht verfügbar.

Franziska Naether Bildrechte: privat

Die Mittelbauinitiative (MULE), eine Interessenvertretung der Nachwuchswissenschaftler der Universität Leipzig, möchte Nachteile insgesamt möglichst klein halten. Allerdings merkt Sprecherin Dr. Franziska Naether an, dass Praktika in Laboren, Museen und Anatomiesälen in diesem Semester nicht stattfinden könnten. Als eine der ersten Initiativen hat die MULE auch einen offenen Brief zum sogenannten "Nichtsemester"" unterzeichnet. Darin wird dafür plädiert, dass es "kreative, solidarische Lösungen" geben müsse, beispielsweise das Prüfungen verschoben würden, oder Nachteile ausgeglichen. Auch solle Rücksicht auf Studierende genommen werden, die sich in der Krise sozial engagieren. Aber auch die ausländischen Studierenden, die in ihren Heimatländern festsitzen, rückt der offene Brief in den Fokus, den inzwischen mehr als 1.300 Professoren unterzeichnet haben.

3.000 Euro Soforthilfe für Studierende

Der Sprecher der Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS), Paul Senf, hält die digitale Lehre aufgrund schlechter Infrastruktur für nur schwer umsetzbar: "Die KSS fände es daher gut, wenn das Semester nicht gezählt wird."

Martin Zeiler Bildrechte: Privat

Vorab müsse allerdings der Einfluss auf die Zahlung von BAföG geklärt sein. Auch Senfs Amtskollege Martin Zeiler von der Studierendenräte Konferenz Sachsen-Anhalt, meint, dass "dieses Sommersemester nicht als konventionelles Sommersemester behandelt werden kann und darf". So fordert er konkret, dass es nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet wird. Es solle den Studierenden freigestellt werden, ob sie an Vorlesungen und Prüfungen teilnehmen oder nicht.

Daneben drängt Zeiler auch darauf, dass die Landesregierung die Hochschulen mit dem Notwendigsten für die digitale Lehre ausstatte. Besonders bereitet ihm allerdings die finanzielle Situation der Studierenden große Bauchschmerzen:

Viele sind verunsichert und in existenziellen Nöten, da ihre Nebenjobs weggebrochen sind.

Martin Zeiler

Senf und Zeiler unterstützen daher eine Petition, die Studierenden 3.000 Euro Soforthilfe ermöglichen soll. Auch hier haben sich bundesweit bereits 46.000 Unterstützer angeschlossen.

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Hilfen aus der Politik?

Falk Lange, Sprecher des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft, Kultur und Tourismus, beurteilt finanzielle Soforthilfen für Studierende eher ablehnend. Stünde den Eltern weniger Einkommen zur Verfügung, könnte sich allerdings für Studierende eine Anspruchsberechtigung für BAföG ergeben. So seien Nebenjobs ohnehin meist nur ein Zubrot zur Förderung durch BAföG oder die Eltern.

In Sachsen-Anhalt sei zwar keine generelle Rückzahlung der Semesterbeiträge angedacht. Allerdings hält Pressesprecher Matthias Stoffregen vom Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitalisierung, derartige Regelungen im Einzelfall für möglich. Finanzielle Förderungen für die Hochschulen schließen beide Ministerien aus und verweisen auf vorherige Förderprogramme, die die digitale Ausstattung bereits verbessert hätten. Stoffregen hält dabei fest, dass es "keiner akuten zusätzlichen Förderung bedarf."

In Thüringen können bedürftige Studierende ab sofort ein Sozialdarlehen beantragen. Darauf haben sich am Freitag (3.4.) das Thüringer Wissenschaftsministerium, die Thüringer Hochschulen und das Thüringer Studierendenwerk verständigt. Das zinslose Sozialdarlehen in Höhe von maximal 800 Euro wird an bedürftige Studierende vergeben und kann innerhalb eines Jahres in Raten zurückgezahlt werden.

Fraglich bleibt, wie im Einzelfall mit Studierenden umgegangen wird, deren Studiengänge sich nicht digitalisieren lassen. Rektor Axel Köhler in Weimar denkt dabei besonders an die Pianisten, Harfenisten und Schlagzeuger, die in der heimischen Wohnung keine Instrumente haben. Ihnen sei derzeit auch der Zugang zu universitären Übungsräumen verboten: "Was gar nicht geht über die digitale Lehre sind Gruppen- oder Ensembleunterrichte", hierfür sei die physische Präsenz unverzichtbar. Für alle Universitäten und Hochschulen in Mitteldeutschland zeigt sich die digitale Lehre als ein großes Experiment. Dennoch betonen alle gleichermaßen, dass es die oberste Prämisse sei, Nachteile für Studierende zu vermeiden.

Musikhochschule Franz Liszt in Weimar im Sommer 2013 Bildrechte: imago/Karina Hessland