Röntgenscanner aus der Zahnmedizin Historische Briefe lesen, ohne sie zu öffnen

02. März 2021, 16:43 Uhr

Früher wurden Briefe mit einer speziellen Technik gefaltet, damit sie nicht heimlich gelesen werden konnten. Diese funktionierte gut – bis jetzt. Denn britische Forscher öffneten diese nun virtuell mit Röntgenstrahlen, einer Technik aus der Zahnmedizin.

Den Wissenschaftlern der Queen Mary University in London gelang dabei nach eigenen Angaben eine weltweit einzigartige Aktion: die Öffnung eines Briefs aus der Renaissance ohne sein Siegel aufzubrechen oder ihn sonst irgendwie zu beschädigen. Ein zusätzliches Problem bestand im sogenannten "Letterlocking", einer alten Technik, mit der Briefe früher so eingewickelt wurden, dass sie nicht heimlich entfaltet werden konnten. Dabei wurde ein Teil der Blätter zu ihrem eigenen Umschlag – ein analoger Vorläufer der heutigen digitalen Verschlüsselung.

Animierte Darstellung der virtuellen Öffnung eines Briefs 1 min
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Di 02.03.2021 10:38Uhr 00:05 min

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Scanner umgebaut für "bisher nicht gekannte Genauigkeit"

In ihrer im Fachmagazin "Nature Communications" veröffentlichten Studie beschreiben die Forschenden, wie sie dafür vorgingen. Die Grundlage bildete ein Röntgengerät, das sonst in der Zahnmedizin genutzt wird. Ein interdisziplinäres Team baute dieses so um, dass mit seiner Hilfe der Brief durchleuchtet werden konnte.

"Wir haben den Röntgenscanner so designt, dass er eine bisher nicht gekannte Genauigkeit beim Aufzeichnen des Mineralgehalts von Zähnen erreichte, was in der Zahnmedizin sehr wichtig ist", erklärte Prof. Graham Davis von der Queen Mary University. Diese hohe Genauigkeit habe es dann auch ermöglicht, bestimmte Arten von Tinte auf Papier und Pergament hochauflösend zu betrachten.

Es ist beinah unglaublich, dass ein Gerät, das eigentlich dazu gedacht war, Zähne zu betrachten, uns so weit gebracht hat.

Prof. Graham Davis, Studienautor

Dieser Brief wurde virtuell geöffnet und zum ersten Mal seit mehr als 300 Jahren gelesen. Darin sendet Jacques Sennacques seinem Cousin Pierre Le Pers eine beglaubigte Kopie der Nachricht vom Tod von Daniel Le Pers.
Dieser Brief wurde virtuell geöffnet und zum ersten Mal seit mehr als 300 Jahren gelesen. Darin sendet Jacques Sennacques seinem Cousin Pierre Le Pers im Jahr 1697 eine beglaubigte Kopie der Nachricht vom Tod von Daniel Le Pers. Bildrechte: Unlocking History Research Group archive

Möglicher Kandidat für virtuelle Öffnung in Leipziger Universitätsarchiv

Die Studienautoren betonen, dass mit ihrer neuartigen Methode des "virtuellen Entfaltens" durch die von ihnen angewandten Algorithmen große Fortschritte bei der Kategorisierung von alten Dokumenten gemacht werden könnten, die noch physisch verschlüsselt also lettergelockt sind – während dieses kulturelle Erbe gleichzeitig bewahrt werden kann. "Wir könnten diese Briefe einfach aufschneiden", schreiben sie. Aber stattdessen hätten sie sich die Zeit genommen, um ihre versteckten, unzugänglichen Eigenschaften zu untersuchen.

Wir haben gelernt, dass Briefe manchmal viel mehr offenbaren, wenn sie ungeöffnet bleiben.

Autoren der Studie

Als prinzipiell interessant bezeichnet die Technik auch Jens Blecher, der Direktor des Universitätsarchivs Leipzig. Er kennt auch ein Werk in den eigenen Beständen, das sich dafür eignen würde und zwar ein Statutenbuch der Universität Leipzig aus dem Jahre 1512, das bei einem Bombenangriff im 2. Weltkrieg schwer beschädigt wurde. Den Mitarbeitern der berühmten Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar sowie des Universitätsarchivs Halle sind dagegen keine ungeöffneten Briefe in ihren Beständen bekannt.

cdi

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